Der Vorsitzende der Türkischen Gemeinde bezeichnete das für den 16. April angesetzte Referendum als Richtungsentscheidung. Deshalb sei es keine Einmischung in innertürkische Angelegenheiten, wenn er nun Stellung beziehe, sagte Sofuoglu im Deutschlandfunk. Viele der hier lebenden Türken seien gut integriert und hätten sich in der Vergangenheit eher ruhig verhalten. Nun aber gehe es um die Existenz des Landes, "das wir alle lieben, die Heimat unserer Eltern", betonte Sofuoglu. Seinen Angaben zufolge können 1,4 Millionen in Deutschland lebende Türken abstimmen.
Er verwahrte sich gegen den Vorwurf, die Stellungnahme der Türkischen Gemeinde trage dazu bei, dass ein innertürkischer Konflikt in Deutschland ausgetragen werde. Deutsche Politiker hätten das Thema durch ihre Kritik an der türkischen Politik selbst nach Deutschland transportiert, sagte Sofuoglu.
Das Interview in voller Länge:
Susanne Schrammar: Seit Wochen wird in Deutschland über die Frage gestritten, ob türkische Politiker hierzulande Wahlkampf machen dürfen für das geplante Präsidialsystem von Staatschef Erdogan. Am 16. April stimmen die Türken über die Verfassungsreform ab, die dem Präsidenten noch mehr Macht verleihen soll. Zur Wahl aufgerufen sind dabei auch rund 1,4 Millionen türkische Staatsbürger, die in Deutschland leben. Letzte Woche ist Premier Yildirim in Oberhausen vor Tausenden seiner Landsleute aufgetreten. Derzeit wird noch über einen Auftritt Erdogans selbst in Deutschland spekuliert. Und nun plant auch die türkische Gemeinde in Deutschland rund 400 Veranstaltungen zu diesem Thema, allerdings mit dem Ziel, das Präsidialsystem zu verhindern. Am Telefon bin ich jetzt mit Gökay Sofuoglu, dem Bundesvorsitzenden der türkischen Gemeinde verbunden. Herr Sofuoglu, Sie sagen nein zu den Plänen Erdogans und rufen auch die hier lebenden Türken dazu auf, dagegen zu stimmen. Warum?
"Das sind Menschen, die sich auch Sorgen um die Zukunft der Türkei machen"
Gökay Sofuoglu: Weil diese Verfassungsänderung die Türkei mehr von der Demokratie entfernt und führt Richtung Autokratie. Es werden alle Grundlagen aufgehoben, eine demokratische Entwicklung voranzutreiben. Deswegen ist es für uns auch wichtig, weil wir auch hier mit abstimmen können. Das sind 1,4 Millionen Menschen, das sind Menschen, die sich auch Sorgen um die Zukunft der Türkei machen, die sich auch eine demokratische Türkei wünschen. Deswegen ist es auch wichtig, da mit abzustimmen. Wir sehen das nicht unbedingt als Einmischung in innertürkische Angelegenheiten. Es ist keine Parlamentswahl, es ist keine Ministerpräsidentenwahl, sondern es ist eine Richtungsentscheidung für die Türkei, und da denke ich, dass wir da auf jeden Fall Stellung nehmen sollten.
Es geht nicht um eine Präsidentenwahl, sondern die Zukunft der Türkei
Schrammar: Sie sagen, die Menschen hier machen sich möglicherweise Sorgen. Beim Auftritt von Ministerpräsident Yildirim in Oberhausen waren vor allem sehr viele glühende Anhänger der türkischen Regierung zu beobachten. Spiegelt das also nicht aus Ihrer Sicht die Stimmung unter den meisten hier lebenden Türken wider?
Sofuoglu: Natürlich, die bestimmen den Alltag, weil sie einfach sehr viele Veranstaltungen machen, die auch sehr großes Medieninteresse bekommen. Aber auf der anderen Seite sind sehr viele Menschen, die sich hier in Deutschland ganz gut integriert fühlen, ganz gut angekommen sind, die jetzt mit der innenpolitischen Situation und Auseinandersetzung in der Türkei nicht so zu tun haben. Dennoch sind die jetzt gerade auch sehr interessiert an der Entwicklung der Türkei, weil es, wie gesagt, diesmal nicht um eine Präsidentenwahl geht, Erdogan ja oder nein, sondern um die Zukunft der Türkei. Und da sind, denke ich, auch sehr viele Menschen, die bisher ganz ruhig waren, inzwischen aktiver geworden.
Schrammar: Seit dem Putschversuch im letzten Sommer sind die Stimmen derjenigen, die Kritik an Präsident Erdogan üben, deutlich leiser geworden. Auch hier in Deutschland fürchten Türken oft Repressalien. Haben Sie jetzt keine Angst davor, wenn Sie aufrufen, gegen die Pläne zu stimmen?
Sofuoglu: Angst ist ja kein guter Ratgeber in dieser Frage. Es geht hier um die Existenz eines Landes, das wir alle lieben und dass die Heimat unserer Eltern ist. Es ist auch Heimat für viele von uns, die natürlich auch ihr Rentenalter in der Türkei verbringen wollen. Und da muss man klare Stellung nehmen. Und diese Verfassungsänderung, wenn die so durchgeht, wie das geplant ist, wird die Türkei in eine ganz andere Richtung bringen, die viele Türken in Deutschland, die jetzt demokratische Verhältnisse gewohnt sind, nicht unbedingt zufriedenstellt.
Türkische Politik wurde von beiden Seiten nach Deutschland getragen
Schrammar: Wir haben es am Anfang gesagt, viele Politiker sagen, innenpolitische Diskussionen, die die Türkei betreffen, sollten nicht in Deutschland ausgetragen werden. Gießen Sie denn mit Ihrem Aufruf jetzt weiter Öl ins Feuer?
Sofuoglu: Ich denke, nicht. Die türkische Politik ist leider seit einiger Zeit sehr präsent in Deutschland. Da tragen die türkischen Politiker dazu bei, aber natürlich auch die deutschen Politiker. Auch die deutschen Politiker kritisieren seit einiger Zeit die Entwicklung in der Türkei, kommentieren diese ganze Entwicklung in der Türkei. Man hat die Politik mehr oder weniger gemeinsam nach Deutschland transportiert. Und diesmal geht es, weil die türkische Gemeinde bisher immer aus den innenpolitischen Diskussionen der Türkei herausgehalten hat. Diesmal haben wir uns gerade auch dafür entschieden, uns einzumischen. Wie ich schon vorher gesagt habe, diesmal geht es um die Türkei, um die Zukunft der Türkei. Es geht nicht um Parlamentswahlen. Und da ist wichtig, auch mal, wenn wir dieses Wahlrecht haben, dieses Wahlrecht so zu nutzen, dass die Hoffnung noch besteht, dass sich die Türkei in Zukunft auch demokratisch entwickeln kann.
Schrammar: Kurzer Tipp zum Abschluss: Was glauben Sie, wie wird die Abstimmung am 16. April ausgehen?
Sofuoglu: Ich gehe stark davon aus, dass Nein-Stimmen mehr werden als Ja-Stimmen.
Schrammar: Das ist die Einschätzung von Gökay Sofuoglu, dem Bundesvorsitzenden der Türkischen Gemeinde in Deutschland. Sie hat die türkischen Staatsbürger in Deutschland dazu aufgerufen, gegen die geplante Verfassungsänderung in der Türkei zu stimmen. Vielen Dank für das Gespräch!
Sofuoglu: Gerne!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.