Christine Heuer: Und in Brüssel am Telefon begrüße ich Florian Eder, Mitglied der Chefredaktion der europäischen Ausgabe des Onlinemagazins "Politico". Guten Tag, Herr Eder!
Florian Eder: Guten Tag, Frau Heuer!
Heuer: Wie wichtig ist Österreich für die Europäische Union, um mit Österreich zu beginnen?
Eder: Ich glaube, die Europäische Union schaut an diesem Wochenende noch genauer nach Italien als nach Österreich, um das zu sagen, weil da potenziell die größeren Auswirkungen drohen.
Heuer: Kommen wir gleich drauf, Herr Eder, ist nicht vergessen, kommen wir gleich drauf.
Eder: Nein, nein, nein, nein. Aber Österreich ist natürlich wichtig, weil es zum ersten Mal, wir haben es gehört, ein Rechtspopulist ins Amt eines Staatsoberhaupts schaffen könnte. Und so wenig das morgen und übermorgen und Mittwoch heißen wird, so sehr würde sich wohl doch das Klima im Land verschieben. Ein weiterer Staat, der anfällig ist für Euro-Kritik und Euro-Skeptizismus, das ist natürlich eine Sorge der Europäer.
Europa habe sich ein dickes Fell im Umgang mit Rechtspopulisten zugelegt
Heuer: Ja, aber welche konkreten Folgen hätte das? Denn der österreichische Bundespräsident hat mehr oder weniger repräsentative Funktionen.
Eder: Das ist das eine. Zum anderen hat sich Europa ein ziemlich dickes Fell zugelegt im Umgang mit Rechtspopulisten. Ich würde nicht erwarten, dass irgendjemand sozusagen die diplomatischen Beziehungen runterkühlen will, wie das vor 17 Jahren, wir haben es gehört, der Fall war. Es wird Gratulationsschreiben geben, die weniger herzlich sind. Es wird eine gewisse Skepsis geben, und man wird sich den Mann mal anschauen müssen. Ich glaube, dass das nicht die schlimmsten Folgen haben würde.
Heuer: Das Referendum in Italien über die Verfassungsreform von Matteo Renzi, Sie haben das gerade ja schon selbst gesagt, das finden Sie wichtiger für die Zukunft der Europäischen Union. Wenn die Italiener Nein sagen zu Renzis Vorschlägen, welche Folgen hätte das dann absehbar für Europa?
Eder: Die Sache ist die, dass man nicht weiß, was sie absehbar für Folgen hat, aber große Folgen fürchtet. Die größte Sorge ist weniger das Schicksal von Matteo Renzi, habe ich den Eindruck, sondern die Frage, wie die Märkte reagieren werden am Montag, wenn das schief geht, wenn die Italiener mit Nein stimmen in dem Referendum: Wetten die Märkte gegen Italien, gegen italienische Banken, gibt es ein großes Durcheinander, gibt es eine neue – kommt Italien ins Straucheln, und gibt es eine neue Eurokrise oder kommt die Eurokrise mit aller Macht zurück in einem der größten Mitgliedsländer und einer der größten Volkswirtschaften der EU – das wäre die schlimmste Furcht.
Heuer: Aber Herr Eder, für wie wahrscheinlich halten Sie das? Ich sag mal so zum Vergleich: Wir haben Ähnliches befürchtet, wenn Donald Trump gewählt wird, da war auch ganz schnell von einem möglichen Crash die Rede an den Märkten. Und dann hat sich die Lage beruhigt und sogar verbessert.
Eder: Und nach dem Brexit war es genauso, wenn ich das hinzufügen darf. Da waren 48 Stunden Unruhe, ein bisschen mehr, aber von dem großen Finanzcrash war nicht die Rede. Es kann gut sein, dass die Märkte das eingepreist haben, dass sie sich die Umfragen angeschaut haben und dass sie längst reagiert und vorgebaut haben. Man weiß es nicht. Aber diese Unsicherheit ist es, was Europa bewegt und ein bisschen quält an diesem Wochenende.
Staatspräsident Mattarellas erste politische Krise
Heuer: Matteo Renzi regiert ein sehr wichtiges Land in der EU, eben im Vergleich zu Österreich auch noch gewichtiger. Wenn er geht, was ja sein kann, welche politische Destabilisierung ist da zu erwarten? Ist das auch dann nur ein Phänomen, das vorüber geht nach Ihrer Einschätzung, oder ist das schon etwas mit Langzeitwirkung?
Eder: Man wird sehen, was passiert, wenn er wirklich gehen sollte, zurücktritt. Das hängt dann sehr vom Staatspräsidenten ab, Sergio Mattarella. Übrigens seine erste politische Krise. Unter dem Vorgänger wusste man, wie er ungefähr reagiert hätte, jetzt wäre Mattarella dran. Als sehr wahrscheinlich gilt, dass er eine technische Regierung einsetzen wird und nicht gleich Neuwahlen ausrufen wird. Dann wird man sehen, wohin das führt. Das hatten wir schon einmal unter Mario Monti. Das gab es in der Vergangenheit in Italien auch schon oft. Es ist nicht so, dass man davon ausgehen muss, dass bei einem verlorenen Referendum automatisch das Movimento cinque stelle an die Macht kommt durch Neuwahlen oder durch Bestellung.
"Wir haben so viele Umbrüche erlebt"
Heuer: Herr Eder, zum Schluss, weil jetzt haben wir über Österreich und Italien gesprochen, und in beiden Fällen verstehe ich Sie so, dass Sie sagen, na ja, erst mal abwarten, muss alles gar nicht so schlimm kommen. Trotzdem haben alle den Eindruck, wir erleben entscheidende Monate auch für Europa. Wo sehen Sie die Gemeinschaft in zwei bis drei Jahren?
Eder: Das ist, glaube ich, die größte Ungewissheit überhaupt, und deswegen – wir haben so viele Umbrüche erlebt, wir haben so viel Neues und gewaltig Umstürzendes erlebt mit dem Brexit und mit den Wahlen in Amerika, und jetzt womöglich an diesem Wochenende noch, dass sich niemand richtig vorzustellen wagt, wo Europa in zwei Jahren ist. Und ich würde auch sagen, es kommt sehr drauf an, wie die Wahlen, die Präsidentschaftswahlen in Frankreich nächstes Jahr ausgehen. Ob bei den Parlamentswahlen in den Niederlanden, die auch im frühen nächsten Jahr sind, tatsächlich auch dort die Euroskeptiker und Eurokritiker gewinnen. Wenn das alles zueinander kommt und die Ereignisse von diesem Wochenende und die, die wir in diesem Jahr schon hatten, dann kann es gefährlich werden für Europa.
Heuer: Florian Eder vom Onlinemagazin "Politico". Herr Eder, Danke fürs Gespräch heute Mittag!
Eder: Danke schön, Wiederhören!
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