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Referendum in Katalonien
90 Prozent für Unabhängigkeit

Das umstrittene Referendum in Katalonien hat nach Angaben der Regionalregierung eine klare Mehrheit für die Unabhängigkeit ergeben. Ein Regierungssprecher erklärte am frühen Morgen, 90 Prozent der Teilnehmer hätten mit "Ja" gestimmt. Die spanische Regierung in Madrid hatte von einer "Inszenierung" gesprochen.

    Unterstützer des Referendums zur Unabhängigkeit Kataloniens haben sich am 01.10.2017 in Barcelona auf dem Placa de Catalunya versammelt.
    Unterstützer des Referendums zur Unabhängigkeit Kataloniens haben sich am 01.10.2017 in Barcelona auf dem Placa de Catalunya versammelt. (Nicolas Carvalho Ochoa/dpa)
    Kurz zuvor hatte der katalanische Regierungschef Puigdemont in einer Fernsehansprache gesagt, er werde die Unabhängigkeit ausrufen, wenn der Anteil der Ja-Stimmen bei mehr als 50 Prozent liege. Dabei beruft sich Puigdemont auf ein Gesetz des katalanischen Parlaments. Die Wahlbeteiligung lag den Angaben zufolge bei etwas mehr als 42 Prozent. Das entspricht gut 2,2 Millionen Menschen. Insgesamt gibt es in der Region 5,3 Millionen Wahlberechtigte. In diesem Wert dürfte zum Ausdruck kommen, wie tief Katalonien in der Frage der Unabhängigkeit gespalten ist. Die Gegner einer Loslösung von Spanien hatten zum Boykott des Referendums aufgerufen.
    Wie wird Madrid reagieren?
    Spaniens Regierungschef Rajoy erklärte das Referendum für nichtig. Er sagte, es habe keine Volksabstimmung gegeben und sprach von einer "Inszenierung". Das Oberste Gericht in Spanien hatte das Referendum schon vor einiger Zeit für rechtswidrig erklärt und sich auf die Unteilbarkeit des Landes berufen, die in Artikel 2 der spanischen Verfassung verankert sei. Darin heißt es: "Die Verfassung gründet sich auf die unauflösliche Einheit der spanischen Nation, gemeinsames und unteilbares Vaterland aller Spanier; sie anerkennt und gewährleistet das Recht auf Autonomie der Nationalitäten und Regionen, aus denen sie sich zusammensetzt, und auf die Solidarität zwischen ihnen."
    Gewalttätige Auseinandersetzungen
    Die Volksabstimmung wurde von einem massiven Polizeiaufgebot begleitet. Die Sicherheitskräfte gingen mehrfach gewaltsam gegen Bürger vor, die ihre Stimme abgeben wollten, und setzten dabei auch Schlagstöcke und Gummigeschosse ein. Nach Angaben der katalanischen Gesundheitsbehörden waren 844 Zivilisten mit Verletzungen in Krankenhäusern behandelt worden, 33 Polizisten wurden verletzt.
    Videoaufnahmen aus Barcelona zeigen Polizisten, die aggressiv auf unbewaffnete Menschen losgehen.
    Der spanische Außenminister Dastis nannte die Gewalt "unglücklich, aber angemessen". Die Sicherheitskräfte müssten das Gesetz schützen, wenn dieses durch illegale Handlungen bedroht sei, sagte er in einem Interview mit der Nachrichtenagentur AP.
    Katalanische Regionalregierung verurteilt Polizeieinsätze
    Die katalanische Regionalregierung hat die gewaltsamen Polizeieinsätze während des Unabhängigkeitsreferendums verurteilt. Die Konfrontation sei nicht von katalanischer Seite ausgegangen, sagte die Vertreterin der Regierung Kataloniens in Deutschland, Kapretz, im Deutschlandfunk. Die Menschen hätten friedlich abstimmen wollen. Die katalanische Politikerin sieht nach der Abstimmung auch die Europäische Union in der Pflicht. Als Garant für die Einhaltung demokratischer Spielregeln müsse die EU einen Vermittlungsausschuss nach Katalonien schicken, forderte Kapretz.
    "Wir brauchen ein europäisches Konzept"
    Die Europäische Union in der Pflicht sieht auch Bárbara Dührkop, spanische Politikerin der Sozialistischen Arbeiterpartei (PSOE). Die EU brauche ein generelles Konzept, wie mit nationalistischen Bewegungen in Europa umzugehen sei, sagte Dührkop im Deutschlandfunk. Die Verantwortung für die Eskalation der Gewalt sieht sie auf beiden Seiten. Die Situation sei festgefahren, Rajoy und Puigdemont seien keine Verhandlungspartner, die den Konflikt lösen könnten. Sie forderte die beiden Politiker zum Rücktritt auf und schlug vor, eine verbindliche, von Spanien genehmigte Volksabstimmung durchzuführen, ähnlich dem Referendum in Schottland.
    EU-Politiker besorgt über Ausmaß der Gewalt
    Auch Politiker in der EU äußerten sich besorgt über die Gewalt. SPD-Chef Martin Schulz schrieb bei Twitter, Madrid und Barcelona müssten "sofort deeskalieren und den Dialog suchen".
    Gregor Gysi, Präsident der Europäischen Linken, kritisierte das Vorgehen des spanischen Staats: "Die spanische Regierung befördert mit Gewalt das, was sie verhindern will", erklärte er. Der belgische Premierminister Charles Michel twitterte: "Gewalt ist keine Antwort."
    Inzwischen riefen zahlreiche Gewerkschaften und Organisationen für Dienstag zu einem Generalstreik in Katalonien auf, um gegen die Polizeigewalt zu protestieren.
    Wut und Frust der Katalanen
    Den katalanischen Separatisten geht es um mehr politische Macht und Selbstbestimmung. Die Region mit der Hauptstadt Barcelona kommt für etwa 20 Prozent des spanischen Bruttoinlandsprodukts (BIP) auf, wird aber aus Sicht der Separatisten im Gegenzug zu wenig gefördert. Ziel der Regionalregierung ist es, nach dem Vorbild des Baskenlands und der dazugehörigen Provinz Navarra einen Sonderstatus zu erhalten, eigenständig Steuern zu erheben und selbst über die Verwendung der Gelder zu entscheiden. Spaniens rechtskonservativer Regierungschef Mariano Rajoy lehnt das rundweg ab. Die starre Haltung frustriert auch gemäßigte Katalanen.
    (ali/ach)