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Referendum in Kolumbien
"Gegner des Friedensvertrags unterschätzt"

Der Grünen-Politiker Tom Koenigs hat sich enttäuscht darüber geäußert, dass der Friedensvertrag zwischen Kolumbiens Regierung und den FARC-Rebellen von der Bevölkerung abgelehnt wurde. "Bei Referenden ist man offensichtlich auf einem unsicherem Feld", sagte er im DLF.

Tom Koenigs im Gespräch mit Sandra Schulz |
    Tom Koenigs war als Sonderbeauftragter der UNO in Afghanistan, Guatemala und dem Kosovo.
    Der Grünen-Politiker Tom Koenigs, Sprecher für Menschenrechtspolitik, forderte, die Friedenskräfte in Kolumbien weiterhin zu unterstützen. (picture alliance / dpa / Marius Becker)
    Der Beauftragte der Bundesregierung für den Friedensprozess in Kolumbien, Tom Koenigs, rief die kolumbianische Regierung und die Rebellenorganisation FARC dazu auf, trotz des gescheiterten Referendums am Friedensprozess festzuhalten. Jetzt werde es darum gehen, mit den Gegnern des Friedensvertrages zu verhandeln und dafür zu sorgen, dass die Waffenruhe mit der FARC halte, sagte er im DLF.
    Bei der Abhaltung von Referenden sei man offensichtlich auf einem unsicheren Feld. Die Verantwortlichen hätten nicht gedacht, dass nicht alle Seiten ein Ende des Konfliktes wollten. Gerade in den Gegenden, wo der Krieg nicht getobt habe, hätten sich die Wähler gegen Strafmilderungen ausgesprochen. Koenigs betonte aber, dass niemand einen Friedensvertrag unterschreibe, um sofort ins Gefängnis zu gehen. Er appellierte an die Weltgemeinschaft, sich nicht abzuwenden. Alle Friedenskräfte müssten jetzt unterstützt werden, damit die gespaltene Nation wieder zusammenfinde.

    Das Interview in voller Länge:
    Sandra Schulz: Mindestens 220.000 Menschenleben hat der Konflikt in Kolumbien gekostet, mehr als fünf Jahrzehnte hat er gedauert. Auslöser war in den 60er-Jahren die extrem ungleiche Verteilung von Landbesitz. Der FARC-Guerilla standen staatliche Sicherheitskräfte und paramilitärische Gruppen gegenüber. Der Drogenhandel florierte, nicht zuletzt als wichtige Geldquelle für alle Konfliktparteien, und die große Mehrheit der Getöteten waren Zivilisten.
    Das ist die Vorgeschichte, die eigentlich zu Ende gehen sollte. 2012 begann in Kolumbien ein Friedensprozess, den die meisten für vielversprechend gehalten haben und der in diesem Sommer in einen Friedensvertrag mündete, feierlich mit Unterschriften besiegelt vor gut einer Woche. Aber mit einem Makel: Da stand die Zustimmung der Bevölkerung noch aus. Und bei dem Referendum am Sonntag, da haben die Kolumbianer völlig überraschend No gesagt. Eine hauchdünne Mehrheit von 50,21 Prozent gegenüber 49,79 Prozent Unterstützern. Präsident Santos kündigt jetzt einen neuen Dialog an, aber es ist ein schwerer Rückschlag für das Land, und darüber wollen wir in den kommenden Minuten sprechen.
    Am Telefon ist der Beauftragte des Bundesaußenministers für den Friedensprozess in Kolumbien, der grüne Bundestagsabgeordnete Tom Koenigs. Guten Morgen.
    Tom Koenigs: Guten Morgen, Frau Schulz.
    Strafmilderung für schwere Verbrechen wollten viele nicht
    Schulz: Herr Koenigs, der Friedensvertrag, der ist in der vergangenen Woche ja erst formal unterzeichnet worden, der historisch gefeierte Friedensvertrag zwischen der kolumbianischen Regierung und den FARC-Rebellen. UN-Generalsekretär Ban Ki-moon war dabei, mehr als ein Dutzend Staats- und Regierungschefs, 2500 geladene Gäste, Sie waren einer von ihnen. Können Sie Ihre Enttäuschung schon in Worte fassen?
    Koenigs: Ja, durchaus. Man hat sicher unterschätzt, dass die Bevölkerung mobilisierbar ist für diejenigen, die gesagt haben, diese Strafmilderung, die denen, die schwere Verbrechen begangen haben, hier zugesagt worden ist, geht zu weit. Und es hat auch politisch Auseinandersetzungen um ganz andere Fragen gegeben, die dieses Ergebnis vielleicht herbeigeführt haben. Bei Referenden ist man offensichtlich auf unsicherem Feld.
    "Man will nicht zurück zum bewaffneten Kampf"
    Schulz: Sie sind gar nicht so überrascht, wie das jetzt ja seit dem Wochenende eigentlich flächendeckend von vielen kommuniziert wurde?
    Koenigs: Doch, ich bin überrascht. Alle waren überrascht. Aber man versucht, es sich jetzt zu erklären. Es gibt eine positive Entwicklung, die man jetzt in den Vordergrund stellt, nämlich dass alle Seiten, auch die siegreichen Kampagnenbetreiber sagen, es muss ein Friedensprozess weitergehen. Man will nicht zurück zum bewaffneten Kampf. Auch die Guerilla haben das gesagt. Jetzt wird es Aufgabe der Regierung sein, mit denen, die mit Nein gestimmt haben, zu verhandeln und mit ihren politischen Gruppen und zu versuchen, Verhandlungen mit der Guerilla aufzunehmen, die wenigstens dazu führen, dass der Waffenstillstand hält.
    Schulz: Das ist im Moment nicht Ihre Sorge, dass die Gewalt wieder aufbricht?
    Koenigs: Die Sorge ist das immer, aber die Möglichkeit ist gegenwärtig von allen Seiten ausgeschlossen worden. Wie sich das in der Zukunft entwickelt, kann man nicht sagen. Es ist natürlich in hohem Maße gefährlich.
    Schulz: Ich würde mit Ihnen gerne noch mal den Schritt zurückmachen und auf diese spektakuläre und überraschende Entscheidung vom Wochenende schauen. Die Beteiligung bei der Abstimmung, die lag nur bei 37 Prozent. War es da ein Fehler, das Referendum überhaupt abzuhalten oder nicht zumindest ein Quorum einzuziehen, wie in Ungarn wir ja auch am Wochenende gesehen haben? Da lag das Quorum bei 50 Prozent.
    "Niemand wird unterschreiben, dass er sofort ins Gefängnis geht"
    Koenigs: Das Quorum ist verringert worden, um sicherzustellen, dass das Plebiszit wirksam ist. Das wäre aber gar nicht nötig gewesen, weil offensichtlich die Mobilisierung hinreichend war. Was man überhaupt nicht bedacht hatte ist, dass nicht alle Seiten ein Ende dieses Konfliktes wollen, egal unter welchen Bedingungen, wobei ich diese Bedingungen auch noch gar nicht mal so negativ beurteilen würde. Es hat sich aber herausgestellt, dass gerade in den Gegenden, wo in der letzten Zeit der Krieg nicht getobt hat, die Menschen dagegen waren, den Schwerverbrechern Strafmilderung zuzusichern. Das war aber eine Bedingung, um den Friedensvertrag überhaupt mit der Guerilla zu unterschreiben. Niemand wird unterschrieben, dass er sofort ins Gefängnis geht.
    Deshalb ist das eine vertrackte Lage, wo man nur hoffen kann, dass sich die Beteiligten mit Vernunft an einen Tisch setzen, gerade die im Lande tätigen politischen Organisationen, und dann zusammen zu einer Lösung kommen. Die Hoffnung stirbt als Letztes. Dennoch sind sehr viele Leute sehr enttäuscht.
    Schulz: Aber dass die Bedingungen für die FARC-Leute nicht besser werden können, das ist jetzt schon klar, oder?
    Koenigs: Das ist noch nicht klar, weil die FARC-Leute selbst gesagt haben, sie wollen nicht wieder zum bewaffneten Kampf zurückkehren, und darauf setzt man. Man setzt auf der anderen Seite darauf, dass die Partei, die das No vorangebracht hat, nun verhandelt mit denen, mit der Regierung, und zu einem Kompromiss kommt, der in irgendeiner Weise dann mit der Guerilla selbst auch verhandelbar ist.
    Viel mehr Leute in den Friedensprozess mitnehmen
    Schulz: Aber welche konstruktive Rolle kann dieses Lager denn jetzt noch spielen?
    Koenigs: Die konstruktive Rolle besteht darin, dass man sich zusammengesetzt hat. Man hat offensichtlich zu lange auf Konfrontation gesetzt und nicht bemerkt, dass im Lande die Stimmung doch etwas anders ist und dass man viel mehr Leute in diesem Friedensprozess mitnehmen muss, auch solche, die dann letzten Endes am Krieg gar nicht mehr beteiligt waren.
    Schulz: Ist das möglicherweise ein Zwischenschritt, der jetzt auch sein Gutes hat in einem schmerzhaften und schwierigen hoffentlich Aussöhnungsprozess?
    Koenigs: Das kann man hoffen, dass die gespaltene Nation - es ist ja ein sehr knappes Ergebnis über eine Lebensfrage - dann wieder zusammenfindet. Das wird aber sehr schwierig sein, weil die politischen Kräfte doch sehr ausgesprochen und sehr polarisiert waren in der Kampagne um das Referendum. Es wird Zeit brauchen. Man kann nur hoffen, dass die bewaffneten Kriegstreiber diese Zeit auch wirklich zur Verfügung stellen und dass nicht wieder irgendwo Kämpfe ausbrechen.
    "Die Friedenskräfte unterstützen"
    Schulz: Hatten Sie nach dem Referendum jetzt schon Kontakt nach Kolumbien? Haben Sie direkte Reaktionen, von denen Sie erzählen können?
    Koenigs: Ja natürlich! Es gab zahlreiche Reaktionen, die waren auch enttäuscht. Man kann als internationale Gemeinschaft und insbesondere als so wichtiger Partner wie Deutschland nur sagen, wir werden diejenigen, die Frieden durch Verhandlung wollen, weiterhin unterstützen und werden alles versuchen, dazu beizutragen, nun nicht zu sagen, jetzt wenden wir uns aber von dem Land ab, sondern im Gegenteil: Man muss weiter, auch wenn es schwierig wird, auch wenn es schwieriger wird, die Friedenskräfte unterstützen und darauf achten, dass man mit allen Beteiligten in ein Verhältnis kommt, das dem Frieden eher förderlich ist als der Zuspitzung dient.
    Schulz: Tom Koenigs, der Beauftragte des Bundesaußenministers für den Friedensprozess in Kolumbien, heute Morgen hier bei uns im Deutschlandfunk. Ganz herzlichen Dank für Ihre Einschätzungen.
    Koenigs: Danke sehr, Frau Schulz.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.