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Referendum in Ungarn
"Wir brauchen Ordnung in dem Hause"

Der ungarische Botschafter in Deutschland verteidigt die Flüchtlingspolitik seines Landes. Peter Györkös sagte im DLF, mit dem Schutz der Außengrenzen habe man auch Deutschland geschützt. Andernfalls wären womöglich drei bis vier Millionen Menschen unkontrolliert eingereist.

Peter Györkös im Gespräch mit Christian Kaess |
    Ungarns Botschafter Peter Györkös am 15.02.2016.
    Ungarns Botschafter Peter Györkös verteidigt die Flüchtlingspolitik seines Landes. (dpa / picture-aliiance / Horst Galuschka)
    Györkös betonte, der bisherige Verteilungsmechanismus in der EU funktioniere nicht. Von den geplanten 160.000 Flüchtlingen seien bisher nur 5.500 in den Ländern verteilt worden. In Ungarn findet am Sonntag eine Volksabstimmung statt. Darin geht es um die Frage, ob die Menschen einer verbindlichen Verteilung von Flüchtlingen zustimmen oder nicht. Die Regierung wirbt für ein Nein.
    Györkös sagte, auch der Europäische Rat habe bereits zweimal entschieden, dass eine Verteilung nur auf freiwilliger Basis geschehen könne. Er wies mit Nachdruck den Vorwurf zurück, dass sein Land nicht solidarisch sei. Man schütze die Außengrenzen, und ungarische Soldaten kämpften in Krisenregionen gegen Fluchtursachen. Auch finanziell und humanitär leiste man Hilfe. In Ungarn seien beispielsweise 26.000 Asylbewerber allein in diesem Jahr aufgenommen worden, die legal über die Grenze gekommen seien.

    Das Interview in voller Länge:
    Christiane Kaess: Ungarn will keine Flüchtlinge oder Migranten aufnehmen. Weil in der EU aber schon längst eine Verteilung von Flüchtlingen auf die Mitgliedsländer beschlossen wurde, wehrt sich die Regierung unter dem national-konservativen Ministerpräsidenten Viktor Orbán jetzt mit einem Referendum dagegen, zum Unmut vieler Partnerländer in der EU. Luxemburgs Außenminister Jean Asselborn wollte Ungarn schon aus der EU ausschließen.
    Am Sonntag sollen die Ungarn über folgende Frage abstimmen: "Wollen Sie, dass die Europäische Union ohne Zustimmung des ungarischen Parlaments die verpflichtende Ansiedlung von nichtungarischen Bürgern in Ungarn anordnet?"
    Es ist ja bekannt, dass Ungarn seit Beginn der Flüchtlingskrise im vergangenen Jahr eine Politik der Abschottung betreibt. Amnesty International wirft Ungarn darüber hinaus vor, Migranten zu misshandeln. Sie würden geschlagen, grundlos monatelang eingesperrt oder von Hunden attackiert.
    Darüber sprechen möchte ich jetzt mit dem ungarischen Botschafter in Deutschland, Peter Györkös. Er ist jetzt am Telefon. Guten Morgen!
    "Eine Situation in Europa, wo die Kontrolle absolut verloren gegangen war"
    Peter Györkös: Schönen guten Morgen, Frau Kaess.
    Kaess: Herr Györkös, vor dem Referendum gab es Plakate der Regierung, auf denen steht zu lesen: "Wussten Sie: Seit der Flüchtlingswelle sind über 300 Personen bei Anschlägen in Europa ums Leben gekommen". Es gab 6000 Fernsehspots mit ähnlichem Tenor und eine Broschüre wurde an alle Haushalte verschickt, in der von Hunderten No-Go-Zonen in Deutschland, Frankreich oder Schweden die Rede ist. Warum diese Angstkampagne?
    Györkös: Ob es eine Angstkampagne ist, oder in Europa in dem letzten Jahr wir eine Situation erlebt haben, wo die Kontrolle absolut verloren gegangen war, das ist eine Frage für Diskussionen. Aber bei dieser Volksabstimmung, was auch der Stil der Kampagne ist, geht es um eine konkrete Frage. Übrigens: Sie haben in der Einführung diese Frage konkret zitiert. Aber irgendwie die Berichterstattung aus Budapest von Herrn Ozsváth ging in eine andere Richtung. Ich möchte mal hoffen, dass wir die nächsten Minuten dafür benutzen können, was eigentlich als Thema bei diesem Referendum auf der Tagesordnung steht.
    Laut Europäischen Rat könne Verteilung nur freiwillig geschehen
    Kaess: Ich habe die Frage ja zitiert, die am Sonntag gestellt wird.
    Györkös: Eben! - Eben!
    Kaess: Was ist dann Ihre Kritik?
    Györkös: Meine Kritik ist, dass hier gesagt wurde, dass Ungarn gegen die EU-Flüchtlingspolitik abstimmen will und dagegen, Flüchtlinge und Migranten aufzunehmen. Und ich möchte davon ausgehen, dass das nicht der Wahrheit entspricht.
    Kaess: Sondern?
    Györkös: Wir stimmen hier ab über einen Vorschlag der Kommission. Das zeigt ganz genau korrektiven Allokationsmechanismus oder Verteilungsmechanismus. Das heißt, wenn Sie die Frage noch mal angucken: Wir sind nicht im Prinzip gegen Verteilung, sondern gegen Verteilungsfestsetzungen durch die Europäische Kommission. Und der Europäische Rat, die höchste Institution in der EU, hat schon zweimal entschieden, dass Verteilung nur freiwillig geschehen kann. Das heißt, was die Frage anbelangt und was das Referendum anbelangt, steht dies im Einklang mit den Beschlüssen des Europäischen Rates. Das möchte ich nur einfach festlegen.
    Kaess: Okay, Herr Györkös. Aber wenn ich Sie richtig verstehe, dann sind Sie überhaupt nicht dagegen, auch die Flüchtlinge, die Ihnen über die Quotenregelung zugeteilt werden sollten - es geht um 1.300, haben wir gerade noch mal in dem Beitrag gehört -, diese Flüchtlinge aufzunehmen. Das wäre für Sie in Ordnung?
    "Eine gesunde Reihenfolge von Aktionen aufstellen"
    Györkös: Nein. Was wir sagen, ist Folgendes. Man muss eine gesunde Reihenfolge von Aktionen aufstellen, damit wir diese unkontrollierte Situation in Europa hinter uns haben. Und das beginnt mit dem Schutz der Außengrenzen. Die Kommission hat das irgendwie nie für wichtig gehalten und einige Spitzenpolitiker argumentieren sogar gegen den Schutz der Außengrenzen der EU, und wenn wir das tun, möchten sie uns aus der EU rausschmeißen. Das zeigt schon viel, in welcher ernsten Situation wir sind.
    Kaess: Aber, Herr Györkös, wenn ich hier kurz mal einhaken darf. Ich glaube, der Schutz der Außengrenzen wird eigentlich in großem Maße auch diskutiert. - Aber noch mal zurück zu dieser Quotenregelung. 1.300 Flüchtlinge, die Ungarn aufnehmen müsste, ist es das wert, sich deshalb mit den Partnerländern in der EU so anzulegen, von denen Ihr Land ja eigentlich profitiert?
    "Ein nach oben offener Verteilungsmechanismus"
    Györkös: Diese Frage ist nicht Teil dieses Referendums.
    Kaess: Nein! Aber das war meine Frage jetzt an Sie.
    Györkös: Eben! Aber deswegen ist die Situation so chaotisch, weil einerseits dieses Modell, was die Kommission vorgeschlagen hat und so mystifiziert wird, dieses Modell funktioniert nicht. Von den 160.000, die im September vorigen Jahres entschieden worden sind, für zwei Jahre übrigens, sind bisher überall 5.500 verteilt. Inzwischen sind 1,2 Millionen reingekommen. Das heißt, wir brauchen Ordnung in dem Hause und diese pure Diskussion über virtuelle Zahlen wird uns zu nichts führen.
    Aber die Frage, die in Ungarn gestellt wird, ist nicht mit 160.000 verbunden, sondern mit einem nach oben offenen Verteilungsmechanismus, und dann weiß keiner, über wie viele Millionen man redet, und dabei wollen wir mitreden. Die Frage lautet: Zustimmung des Parlaments ist dazu notwendig.
    Kaess: Herr Györkös, ich glaube, das haben wir verstanden. Aber wenn Sie von der Ordnung sprechen, gehört eben auch eine gewisse Verteilung dazu, und dazu muss die EU als Gemeinschaft auch über Zahlen reden. - Ich möchte Ihnen gerne etwas vorlesen, was auf "Tagesschau.de" zu lesen ist in der Kommentarspalte für Internetnutzer, unter einem Artikel zur Haltung Ungarns zu Flüchtlingen. Dort schreibt jemand unter der Überschrift "Solidarität in der EU":
    "Finanzielle Solidarität anderer EU-Staaten nutzen, humanitäre Solidarität zulasten anderer EU-Staaten verweigern. Ich bin durchaus der Ansicht, die EU könnte und sollte auch Letzteres zu einer Mitbedingung für Ersteres machen. In einer Gemeinschaft teilt man, aber eben nicht nur die finanziellen Vorteile, sondern auch die möglicherweise nicht so vorteilhaften Probleme, die es gemeinschaftlich zu lösen gilt." - Was sagen Sie in diesem Zusammenhang deutschen Steuerzahlern, von deren Geld auch ein Teil über EU-Töpfe nach Ungarn fließt?
    "Wir sind einer der am meisten Solidarität leistenden Mitgliedsstaaten"
    Györkös: Ich könnte eine ganz einfache Antwort geben.
    Kaess: Bitte!
    Györkös: Was sagen die deutschen Steuerzahler dazu, dass wir eigentlich Deutschland geschützt haben durch den Schutz der EU-Außengrenzen.
    Kaess: Aber deswegen bleibt immer noch das Problem der Verteilung der Flüchtlinge, die schon da sind.
    Györkös: Frau Kaess, darf ich einmal ein bisschen länger reden?
    Kaess: Ja bitte!
    Györkös: Ich habe es so erfahren, dass Sie mich fragen wollen und mich dann nicht reden lassen wollen.
    Kaess: Das tun wir ja jetzt.
    Györkös: Okay! Danke sehr! - Was heißt Solidarität? - Wir gehen davon aus, dass wir den größten Anteil von Lastenverteilung an Solidarität auf uns genommen haben, weil wir die gemeinsamen Außengrenzen geschützt haben. Und wenn wir das nicht tun, hätten Sie heute drei, vier Millionen mehr Migranten in Deutschland, unkontrolliert eingereist. Das heißt, insofern sind wir solidarisch. Unsere Soldaten kämpfen gemeinsam übrigens mit der Bundeswehr in den Krisenregionen gegen Fluchtursachen. Wir haben alle unsere finanzielle, humanitäre Hilfe geleistet.
    Übrigens nur in diesem Jahr haben wir 26.000 Asylanten aufgenommen, die legal durch die Grenze, durch die offiziellen Grenzübergänge in die EU gekommen sind. Sie haben 1.200 genannt. Wir haben 3.580 Stipendien angeboten, davon mehr als 2.000 für Länder, woher die Migranten kommen. Das heißt, was die Solidaritätsleistung Ungarns anbelangt, dort sind wir, bitte, einer der am meisten Solidarität leistenden Mitgliedsstaaten.
    Kaess: Herr Györkös, da möchte ich trotzdem noch einmal einhaken. Es geht trotzdem nach wie vor darum, Sie beharren sehr auf den Schutz der Außengrenze. Es bleibt aber dennoch das Problem der Verteilung und Sie haben es selber gesagt: Über eine Million von Flüchtlingen sind schon da. Können Sie verstehen, wenn Menschen sagen, ich halte nichts von einer EU, in der die einen vor allem geben und die anderen vor allem nehmen? Denn wie gesagt, Ungarn ist ein Nettoempfänger und Ungarns Wirtschaft würde es ohne EU-Gelder dramatisch schlechter gehen. Was sagen Sie Leuten in Deutschland, wo im vergangenen Jahr über eine Million Flüchtlinge aufgenommen wurde?
    Kohäsionspolitik funktioniere nicht für osteuropäische Staaten
    Györkös: Ich sage den sehr verehrten deutschen Bürgern, die diese Frage stellen, wir geben ihnen am meisten. Glauben Sie mir! Aber wenn es um Kohäsionspolitik geht als Gegenleistung für Verteilung, was übrigens in Europa nicht funktioniert, weil mehr als 20 Staaten an diesem System nicht teilnehmen, nicht teilnehmen können, und die Migranten nicht verteilt werden wollen, die Kohäsionspolitik ist keine Politik für die osteuropäischen Staaten. Das wurde in den 80er-Jahren entwickelt, steht im Zusammenhang mit dem Binnenmarkt, mit der Vollendung der Freiheiten, und diese Kohäsionspolitik oder Förderungspolitik wurde damals entwickelt, wo wir noch hinter dem Eisernen Vorhang lebten.
    Wir wollen diesen Binnenmarkt, was auch für die deutschen Bürger, für die deutsche Wirtschaft die größte Errungenschaft europäischer Integration ist, schützen, damit wir unser Lebens- und Wirtschaftsmodell beinhalten können. Und Verteilung ist Teil des Solidaritätsmechanismus, aber nur, wenn es unter Kontrolle steht und freiwillig geschieht, und das hat der Europäische Rat bisher zweimal entschieden.
    Herr Asselborn sei nicht bereit, offen miteinander zu reden
    Kaess: Herr Györkös, wenn das so ist wie Sie sagen und Ungarn so hinter der EU steht, wie Sie das jetzt gerade schildern, warum müssen dann eigentlich Regierungsmitglieder vor dem Referendum so gehörig gegen Brüssel schimpfen?
    Györkös: Schauen Sie mal. Sie haben auch, wenn ich Sie richtig verstanden habe, Herrn Asselborn zitiert.
    Kaess: Ja.
    Györkös: Er will mit uns nicht diskutieren, er besucht nicht Ungarn, sondern er schlägt vor, Ungarn rauszuschmeißen.
    Kaess: Er ärgert sich über mangelnde Solidarität bei der Verteilung von Flüchtlingen.
    Györkös: Ne, ne, ne. Er sagt einerseits Blödsinn. Punkt zwei: Er ist nicht bereit, über diese Fragen offen miteinander zu reden, sondern nur irgendwie etwas zu diktieren, und das gehört aus unserer Sicht nicht zu dem besten europäischen Stil.
    Kaess: … sagt Peter Györkös. Er ist ungarischer Botschafter in Deutschland. Vielen Dank für Ihre Zeit heute Morgen, Herr Györkös.
    Györkös: Ich bedanke mich, Frau Kaess. Vielen Dank!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.