Eine Fußgängerzone in Dublin. Fünf junge Leute haben einen Tapeziertisch aufgebaut mit Info-Material und Buttons zum Anstecken. Auf ihnen steht nur ein einziges knappes Wort: "Tá". Es ist Irisch und heißt "Ja". Ja zur Reform des strikten Abtreibungsverbots in der irischen Verfassung.
"Seit Jahrzehnten kämpfen wir dafür, dass der achte Zusatz aus unserer Verfassung gestrichen wird. Das ist jetzt eine Gelegenheit, die es nur einmal in einer Generation gibt. Wer 1983 beim ersten Referendum, das den Zusatz beschloss, Kind war, kann jetzt über seine Zukunft entscheiden."
Viele sind noch unentschlossen
Vor allem junge Frauen bleiben stehen und nehmen einen der bunten Anstecker entgegen. Sie wollen ein modernes Irland. Erst vor drei Jahren hatten die Iren eine andere Volksabstimmung und votierten deutlich mit 62 Prozent dafür, die gleichgeschlechtliche Ehe anzuerkennen. Trotz der klaren Mehrheit 2015 sind die Reformanhänger jetzt unmittelbar vor dem Referendum zur Abtreibung skeptisch, ob sie Erfolg haben werden.
"Das Referendum zur gleichgeschlechtlichen Ehe ist 2015 mit einer deutlichen Mehrheit ausgegangen. Aber jetzt erfordert es doch mehr Überzeugungsarbeit."
Die Fronten beim Abtreibungsrecht verlaufen nicht eindeutig zwischen Jung und Alt oder Mann und Frau. Wenn, dann noch am meisten zwischen Stadt und Land, berichtet eine Helferin am Info-Stand. "Unsere Erfahrung hier und an den Haustüren ist, dass Sie absolut nicht am äußeren Anschein festmachen können, ob jemand für oder gegen Abtreibung ist. Es gibt keine Stereotypen."
Die Befürworter wollen eine Reform des Abtreibungsrechts, wie sie in den meisten europäischen Ländern gängige Praxis ist. Umfragen sehen sie in der Mehrheit, aber es gibt viele, die noch unentschlossen sind. Premierminister Leo Varadkar engagiert sich auch für das Reformlager, früher war er allerdings gegen Abtreibung.
Irland steht an einer Weggabelung und befindet sich, so meinen nicht wenige, in einer Identitätskrise - zum gleichen Zeitpunkt wie England mit seinem Brexit. Für Irland lautet die Frage: Will man das kleine, katholische Land bleiben, dass so viele Opfer erbracht hat? Oder will man den Anschluss an die Moderne finden?
"Diese Heuchelei will ich nicht!"
"Ich liebe mein Land und unsere Kultur, überwiegend jedenfalls." Dann geht der junge Mann auf den spektakulären Fall einer Inderin ein, die vor fünf Jahren an einer Blutvergiftung starb. Die Ärzte hatten sich geweigert, ihren nicht lebensfähigen Fötus zu entfernen. "Unsere Vorväter mussten in der Hungersnot das Land verlassen und wurden angefeindet. Jetzt, wo es Irland besser geht, lassen wir eine Einwanderin sterben. Diese Heuchelei will ich nicht!"
Ein paar Hundert Meter nur entfernt jubeln die Gegner einer Abtreibungsreform den Rednern auf der Bühne zu. Eine große Menschenmenge lauscht aufmerksam der Lebensgeschichte von Bernadette Goulding. Sie hat als junge Frau abgetrieben und bedauert das seitdem zutiefst.
"Ich habe meinem Kind verweigert zu leben. Es war ein Zweig meines Stammbaums, den ich abgetrieben habe. Die Freiheit zur Entscheidung ist heute das Modewort. Sie ist keine Freiheit, sie ist ein Gefängnis."
Die Reformgegner stimmen der Rednerin zu. Für sie gilt: Abtreibung ist Unrecht und nur dann, wenn das Leben der Mutter massiv auf dem Spiel steht, vertretbar. "Jeder Mensch hat das Recht auf Leben. Nur weil das Baby krank ist oder nicht gewollt wird, dürfen wir nicht sagen: Wir wollen sie loswerden, wir wollen sie nicht."
In der Menge sind einige Priester zu sehen und Frauen mit einem Transparent "Abtreibung tötet Menschen". "Wo Leben ist, da gibt es Hoffnung. Ich bin optimistisch, dass das Referendum richtig ausgeht. Aber selbst nach einer Abtreibung geht keine Seele für Gott und unseren Heiland verloren."
Großzügig und hilfsbereit - und stolz darauf
Der Einfluss der katholischen Kirche in Irland ist nach diversen Skandalen zurückgegangen. Geblieben ist trotzdem ein Kampf um das, was das Irisch-Sein ausmacht, meint John, der schon 1983 für das Verbot von Abtreibung auf die Straße ging.
"Es geht nicht um Religion, sondern um ein Gefühl, was falsch ist. Das sitzt tief in unserer Natur. Diese Tiefe unseres Wesens können wir nicht verleugnen." Befürworter der Reform werfen den Gegnern dagegen Scheinheiligkeit vor. Seit 1983 haben geschätzt 160 000 irische Frauen in England abgetrieben. Darauf haben sie nach irischem Recht sogar einen Anspruch. Fintan O'Toole, ein führender irischer Publizist, schrieb dazu kürzlich, Irland delegiere hier ein soziales Problem an seine einstige Kolonialmacht, anstatt selbst Verantwortung zu übernehmen.
"Das beschäftigt mich schon sehr, wenn Frauen in Not nach England fliegen. Aber ich möchte in keiner Umgebung aufwachsen, in der eine Frau unter Erwartungsdruck gerät abzutreiben, weil sie in einer Krise ist. Ich war immer stolz darauf, irisch zu sein. Wir sind großzügig und hilfsbereit. Das möchte ich nicht aufgeben."