Weniger Routinekontrollen, dafür mehr und häufigere Überprüfungen von Risikobetrieben – das soll das Ziel der Reform der Lebensmittelüberwachung sein, über die der Bundesrat am Freitag (18.09.2020) entscheidet. Die Neufassung der sogenannten Allgemeinen Verwaltungsvorschrift Rahmen-Überwachung setzt den Rahmen für bundeseinheitliche Lebensmittelkontrollen - zuständig dafür sind die Länder. Das Kabinett hatte die Reform Ende Juli verabschiedet.
Die Verbraucherorganisation Foodwatch versucht die Reform schon seit Längerem zu stoppen. Sie werde das Gegenteil von dem Bewirken, was Klöckner verspreche, kritisiert Geschäftsführer Martin Rücker. Nach dem bestehenden System werde bereits risikobasiert kontrolliert. Durch die Reform würden jedoch gerade die Routinekontrollen bei Risikobetrieben wie etwa Großschlachtereien zurückgefahren, sagte Rücker im Gespräch mit dem Dlf. Weniger Routinekontrollen bedeuteten gleichzeitig, dass weniger Risiken entdeckt würden. Den Medien wirft er vor, zu wenig über das Thema zu berichten.
Christoph Heinemann: Herr Rücker, wogegen laufen Sie Sturm?
Martin Rücker: Es ist ja etwas anders, als die Bundesregierung das darstellt. In der Tat würde es durch die Reform zu weniger sogenannter Regelkontrollen kommen. Es ist deutlich weniger, als das bisher in der Regelung vorgesehen ist. Aber wir haben bei diesen Regelkontrollen schon heute ein System, das risikobasiert vorgeht. Das heißt: Die Betriebe, bei denen man von einem höheren Gesundheitsrisiko, wenn dort die Hygienevorgaben nicht eingehalten werden, ausgeht, dort wird sehr viel stärker geprüft. Und genau bei diesen Betrieben werden die Kontrollen sehr viel stärker zurückgefahren, wenn es nach den Vorstellungen von Julia Klöckner geht.
Das heißt, wir fahren genau bei den großen Schlachtereien, bei Unternehmen der Kategorie des Wurstherstellers Wilke etwa, den wir alle aus dem Lebensmittelskandal des vergangenen Jahres gut in Erinnerung haben, massiv Kontrollen zurück. Und diese Erzählung, dass man dadurch Freiräume in den Behörden schafft, um stärker anlassbezogen nachzuschauen, das halte ich wirklich für ein Ammenmärchen, und alle Praktiker bestätigen das.
Denn wenn es einen Anlass gibt, dann müssen die Behörden schon heute selbstverständlich in den Betrieben nachschauen, und sie werden ja in Zukunft eher weniger Anlässe haben, denn es wird nicht mehr Verbraucherbeschwerden, es wird auch nicht mehr Anzeigen oder auffällige Laborbefunde geben, sondern es wird, wenn die Behörden selbst weniger routinemäßig in den Betrieben zu Kontrollen sind, aus diesen Kontrollen auch weniger Anlässe geben, zusätzlich da zu sein. Mehr noch: Wenn das Pflichtprogramm der Behörden reduziert wird, wird dadurch auch die Berechnung, wieviel Stellenbedarf es in den Ämtern eigentlich gibt, nach unten korrigiert werden.
"Öffentlichkeit wurde gezielt getäuscht"
Heinemann: Das sind jetzt zwei unterschiedliche Dinge. Beginnen wir mal mit der einen Sache. Das Bundesministerium widerspricht ja Ihrer Darstellung dezidiert und sagt, wir konzentrieren uns auf die Risikobetriebe. Was wäre daran falsch?
Rücker: Daran wäre nichts falsch, aber das Gegenteil dessen steht in diesem Entwurf. Wir haben eigens, weil diese Kommunikation so falsch ist und hier ganz gezielt auch von Ministerin Klöckner und ihrem Ministerium die Öffentlichkeit getäuscht wurde über den Inhalt des eigenen Entwurfs, ein juristisches Gutachten vorgelegt, das sehr klar belegt, dass genau dieser Mechanismus nicht in dem Entwurf enthalten ist.
Heinemann: Woher wissen Sie denn, was in Zukunft kontrolliert wird?
Rücker: Gerade bei den Risikobetrieben werden Regelkontrollen zurückgefahren und selbstverständlich verbietet es dieser Entwurf nicht, dass die Behörden zusätzliche Kontrollen in Risikobetrieben machen. Das ist aber auch die geltende Rechtslage. Dort wo die Behörden einen Anlass sehen, zusätzliche Kontrollen machen zu können, können sie das heute und könnten sie es auch nach der Verabschiedung eines Entwurfs, wenn es denn im Bundesrat heute dazu kommt.
"Wir werden weniger präventiv sehen können, wo es Probleme gibt"
Heinemann: Was wäre daran jetzt falsch?
Rücker: Nein, daran wäre nichts falsch. Das Problem ist aber: Wenn wir die Routinekontrollen so massiv zurückfahren, wie das von dem Klöckner-Ministerium vorgeschlagen ist, bedeutet das, die Ämter werden weniger regelmäßig in den Unternehmen sein, und der Ansatz ist, gerade in den Risikobetrieben weniger regelmäßig zu schauen, ob dort alles in Ordnung ist. Das heißt, wir werden weniger präventiv sehen können, wo es Probleme gibt, und häufiger erst dann eingreifen können, wenn das Kind, bildlich gesprochen, schon in den Brunnen gefallen ist. Das halten wir für den falschen Ansatz.
Hinzu kommt: Die Personalplanung in den Kontrollämtern hängt davon ab, wie das Pflichtprogramm einer Behörde ausfällt. In der Vergangenheit waren fast alle Ämter in Deutschland personell unterbesetzt. Sie hatten schon bisher nicht die Stellen, die nötig sind, um die vorgegebene Anzahl an Kontrollen auch tatsächlich durchzuführen. Jede dritte Lebensmittelkontrolle in Deutschland ist deshalb ausgefallen.
"Aufgaben der Ämter werden an Personalmangel angepasst"
Heinemann: Herr Rücker, wir sollten noch mal kurz auf Ihren Vorwurf zu sprechen kommen. Das ist ja ein sehr harter Vorwurf. Warum sollte Frau Klöckner die Öffentlichkeit täuschen?
Rücker: Ich kann über die Motive nicht spekulieren. Am Ende geht es darum: Wir haben unterbesetzte Ämter. Es gibt in der Vergangenheit nicht die Bereitschaft in den Kommunen, die Stellen zu schaffen, die erforderlich sind. Was wir jetzt erleben ist: Es werden die Aufgaben der Ämter an den Personalmangel angepasst, anstatt den Personalstand an die Aufgaben anzupassen. Es wird kaschiert, dass wir hier ein Personalproblem haben, und das ist der völlig falsche Ansatz.
"Medienberichterstattung hat ungute Rolle gespielt"
Heinemann: Das ist aber nicht die Aufgabe des Bundeslandwirtschaftsministeriums. Das ist Ländersache beziehungsweise Sache der Kommunen, wie Sie selber gerade gesagt haben.
Rücker: Das ist korrekt. Deshalb sollte man auch sehr darauf schauen, wie eine solche Vorschrift erarbeitet wird. Ich habe damit nicht nur als Vertreter einer Verbraucherorganisation, sondern auch als Staatsbürger demokratiepolitisch große Bauchschmerzen. Es gibt ja hier einen jahrelangen Vorlauf. Diese Vorschrift ist kein Gesetz, sondern eine Verwaltungsvorschrift. Sie ist über Jahre hinweg hinter verschlossenen Türen zwischen den Bundesländern, also den Landesministerien, und dem Bundesministerium vorbereitet worden. All das ist überhaupt nur deshalb öffentlich geworden, weil uns ein Referentenentwurf aus dem Bundesministerium zugespielt worden ist, den wir dann öffentlich gemacht haben.
Kein Parlament ist an diesem Verfahren beteiligt. Es geht um eine Vorschrift, die rein auf der Exekutivebene zwischen Bundes- und Landesregierungen verabschiedet wird. Am Ende gab es einen Beschluss des Bundeskabinetts, der sicherlich nicht ganz zufällig im Sommerloch platziert worden ist. Ich halte das für höchst problematisch. Bei einem so wichtigen Thema, bei dem es um Lebensmittelsicherheit geht, sollte es, glaube ich, mehr Transparenz und eine stärkere öffentliche Debatte auch darüber geben. Und vielleicht geben Sie mir die Gelegenheit, das noch auszuführen: Ich muss sagen, dass auch aus meiner Sicht die Medienberichterstattung hier eine sehr, sehr ungute Rolle gespielt hat.
"Missverhältnis zwischen Relevanz und Quantität der Berichterstattung"
Heinemann: Inwiefern?
Rücker: Ich denke, dass es ein deutliches Missverhältnis gab in den vergangenen Tagen, insbesondere zwischen der Relevanz dieser Entscheidung, die jetzt im Bundesrat ansteht, und der Quantität der Berichterstattung. Es sollte doch eigentlich selbstverständlich sein, dass diejenigen, die hier diese Entscheidung treffen, die Parteivorsitzenden, die Minister, die Ministerpräsidenten, dazu Stellung beziehen. Das habe ich aber nicht erlebt. Sie konnten sich da weitgehend verstecken und mussten sich nicht äußern, was sie hier eigentlich möchten. Ich habe dargestellt, dass aus meiner Sicht das Bundesministerium, Ministerin Klöckner hier die Öffentlichkeit getäuscht hat. Das sage ich natürlich als Interessenvertreter, der nicht erwartet, dass das ungeprüft einfach von jedem übernommen wird. Aber das wird ja bestätigt von den Fachleuten in den Behörden, von den Amtstierärzten, von den Kontrolleuren. Die haben ein juristisches Gutachten vorgelegt.
Heinemann: Herr Rücker! Das, was Sie sagen, das klingt so, dass alle Leute Unrecht haben, nur Sie wissen, wo es langgeht.
Rücker: Nein! Ich habe Ihnen ja gerade aufgezählt, wer das alles bestätigt hat. Und wenn wir dieses Gutachten eines renommierten Professors für öffentliches Recht an der Universität Trier Medien vorgelegt haben, dann haben wir häufig die Reaktion bekommen: Das ist ja alles interessant, aber es ist uns zu kompliziert, wir verstehen jetzt auch nicht, wer Recht hat, und in der Konsequenz berichten wir gar nicht.
Und da muss ich sagen: Liebe Journalistinnen und liebe Journalisten, ich finde, das ist die Aufgabe im Vorfeld einer so wichtigen Entscheidung. Ich erwarte nicht, dass unsere Sicht ungeprüft übernommen wird oder dass wir recht bekommen, weil wir für eine Organisation arbeiten, die sich für den Verbraucherschutz einsetzt. Das ist nicht mein Punkt. Aber ich finde es wichtig, dass der Kommunikation der Regierung hier auf die Finger geschaut wird, dass das berichtet wird und eine Informationsgrundlage im Vorfeld einer so wichtigen Entscheidung geschaffen wird.
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