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Reform des Spitzensports
"Wollen wir uns wirklich mit China und den USA messen?"

Wie geht es mit der Förderung des Spitzensports in Deutschland weiter? Dagmar Freitag, Vorsitzende des Sportausschusses im Bundestag, kritisiert, dass die Reformverhandlungen des Innenministeriums am Parlament vorbeigelaufen seien. Bei den Rahmenbedingungen für Athleten liege "einiges im Argen", sagte die SPD-Politikerin im DLF.

Dagmar Freitag im Gespräch mit Mario Dobovisek |
    Bei ihrem Besuch der Olympischen Spiele in Rio habe sie immer wieder gehört, so Freitag, "wie schwer es ist, sein Leben zu finanzieren, wenn man sich gleichzeitig dem Hochleistungssport verschrieben hat". Die wenigsten Athleten könnten von dem leben, was sie in den vier Jahren zwischen zwei Olympischen Spielen durch ihren Sport verdienten. "Das heißt, wir müssen Rahmenbedingungen schaffen." Dies gehe über die Politik hinaus.
    In der Debatte gehe es auch um die Frage, "welchen Spitzensport wollen wir, wollen wir nur Medaillen zählen, wollen wir uns wirklich mit China, mit den USA messen oder wollen wir realistisch herangehen und schauen, was können wir unter sauberen Bedingungen unseren Athletinnen und Athleten abverlangen?"
    Im Oktober soll die Reform des Spitzensports vorgestellt werden. Die Verhandlungen darüber seien intransparent und ohne Einbeziehung des Parlaments verlaufen, kritisierte die Vorsitzende des Sportausschusses im Bundestag. Man werde sich aber "damit beschäftigen" und "im Zweifel erlauben, Änderungen einzufordern".

    Das Interview in voller Länge:
    Mario Dobovisek: Jetzt muss es aber langsam mal was werden mit einer Medaille, sonst sieht’s schlecht aus mit der Sportförderung. Kommentare, die so und so ähnlich vor allem in den ersten olympischen Wettkampftagen zu hören waren. Da herrschte nämlich noch Ebbe und Enttäuschung in Sachen deutscher Medaillen. Das änderte sich im Verlaufe der Spiele, und im Medaillenspiegel liegt Deutschland relativ weit vorne mit 17 Gold-, 10 Silber- und 15 Bronzemedaillen vor den USA, Großbritannien, China und Russland.
    42 Medaillen sind es insgesamt, aber warum schielen alle Funktionäre immer bloß auf die Medaillenplätze – was heißt das für die Sportförderung in den nächsten Jahren, bis zu den nächsten Olympischen Spielen? Am Telefon begrüße ich Dagmar Freitag von der SPD. Sie ist Vorsitzende des Sportausschusses im Deutschen Bundestag und selbst Vizepräsidenten des Deutschen Leichtathletikverbandes. Guten Morgen, Frau Freitag!
    Dagmar Freitag: Schönen guten Morgen!
    Dobovisek: Sie waren ja selbst in Rio unterwegs, sind grad zurückgekommen. Welche Eindrücke bringen Sie mit, die besonders haften bleiben werden?
    Freitag: Ach, sehr unterschiedliche, muss ich sagen. Es waren ja nicht die ersten Olympischen Spiele, bei denen ich gewesen bin. Und für mich ganz persönlich, aber das ist wirklich ein sehr persönlicher Eindruck, war es schon anders als in der Vergangenheit. Ich bin mit einem gewissen diffusen Gefühl schon nach Rio geflogen aufgrund der wirklich schwierigen Diskussion im Vorfeld, die sich auch über Monate, wenn nicht über Jahre hingezogen haben. Und ich bin auch mit einem ähnlichen Gefühl zurückgekommen. Also der ganz große olympische Spirit, der ist bei mir diesmal bei mir nicht angekommen.
    Dobovisek: Das ist ja auch ein Thema gerade mit Blick auf Doping, über das wir oft schon gesprochen haben hier im Deutschlandfunk. Wenn wir auf die Leistungen der deutschen Athleten blicken, waren sie erfolgreich?
    Freitag: Das kann man nicht in einem Satz beantworten. Licht und Schatten liegen bei solchen großen internationalen Wettkämpfen natürlich immer sehr nah beieinander, aber wenn man sich den Medaillenspiegel anschaut, ist Deutschland da, wo es realistischerweise landen konnte. Und wenn man sich die Nationenwertung anschaut, wo ja auch weitere Platzierungen einberechnet werden, ist es auch ähnlich so, wie man es erwarten durfte. Sicherlich kann man immer mal schauen, ob es einen Platz nach vorne geht, aber es kann genauso gut auch mal einen Platz nach unten gehen.
    "Wollen wir nur Medaillen zählen?"
    Dobovisek: Was bedeutet das für die Sportförderung in den nächsten Jahren?
    Freitag: Das wird sich ja zeigen. Im deutschen Sport wird ja seit rund anderthalb Jahren eine Spitzensportreform diskutiert. Man macht das ohne Einbeziehung des Parlamentes, das hinterher aber die Wünsche bezahlen soll. Das halte ich erst mal für eine schwierige Ausgangslage.
    Dobovisek: Wer klüngelt da mit wem?
    Freitag: Den Begriff klüngeln würde ich mir jetzt in dieser Form nicht so zu eigen machen, aber klar ist schon, es ist intransparent. Es wird nicht offen kommuniziert, und ich glaube, das ist ja auch eine gesellschaftspolitische Frage, welchen Spitzensport wollen wir eigentlich in unserem Land. Dass man bestimmte Eckpunkte vielleicht hinter geschlossenen Türen bespricht, das ist normal, das gibt es in anderen Bereichen auch.
    Aber ich glaube, gerade bei einem Thema, das die Gesellschaft ja insgesamt in einem ganz erheblichen Maße anspricht, denn Deutschland ist ja ein sportbegeistertes Land, wäre es gut, wenn man alle Beteiligten einbeziehen würde. Welchen Spitzensport wollen wir, wollen wir nur Medaillen zählen, wollen wir uns wirklich mit China, mit den USA messen oder wollen wir realistisch herangehen und schauen, was können wir unter sauberen Bedingungen unseren Athletinnen und Athleten abverlangen.
    "Zu kritisieren sind die Rahmenbedingungen"
    Dobovisek: Willi Lemke, einst Manager bei Werder Bremen, heute als Sportdiplomat der Vereinten Nationen unterwegs, sagt, Gier nach Erfolg, Macht und Geld schadet dem Sport und zerfresse seine Werte. Am liebsten würde er deshalb den Medaillenspiegel ganz abschaffen. Den Medaillenspiegel nämlich als internationales Machtinstrument einiger Staaten, aber auch als Messlatte zum Beispiel über das, was wir gerade sprechen, die deutsche Sportförderung nämlich. Wie wäre das, Frau Freitag, ein Ende des sturen Blicks auf die Medaillen?
    Freitag: Wäre vielleicht sehr wünschenswert, ist aber leider aus meiner Sicht unrealistisch. Das wird so nicht kommen, weil eben immer noch viele Nationen ihre Bedeutung im Sport eben auch an der Platzierung im Medaillenspiegel ablesen wollen. Das sind Relikte aus Zeiten des Kalten Krieges, aber auf der anderen Seite ist es ja auch nicht völlig von der Hand zu weisen: Wer zu Olympia fährt, will bestmögliche Leistungen bringen, will im Idealfall vielleicht auch eine Medaille nach Hause bringen – das ist ja auch, in der Regel jedenfalls, der Anspruch der Sportlerinnen und Sportler –, und von daher schaut man natürlich auch auf Erfolge, die es gegeben hat. Das ist grundsätzlich auch gar nicht zu kritisieren. Zu kritisieren sind die Rahmenbedingungen.
    Dobovisek: Achtung, jetzt spricht der Laie hier am Mikrofon – wäre es dann nicht sozusagen sinnvoll, die Sportarten zu fördern, die eben nicht so erfolgreich waren, damit sie erfolgreich werden?
    Freitag: Ja, das ist ein sehr pädagogisches Prinzip, was Sie gerade ansprechen, nämlich die, die besonders schwach sind oder, die Schwächen gezeigt haben, auch besonders zu fördern. Ich kann Ihnen im Moment nicht sagen, welche Strategie der Deutsche Olympische Sportbund hinter den verschlossenen Türen verfolgt, aber Sie können ganz sicher sein, dass wir uns als Parlamente einmischen werden, wenn nun endlich mal die Reformeckpunkte auf dem Tisch liegen sollen. Es soll ja im Herbst passieren, dann wird sich der Sportausschuss des Deutschen Bundestages auch in einer öffentlichen Anhörung damit beschäftigen, und wir werden uns im Zweifel auch erlauben, noch Korrekturen vorzunehmen.
    Freitag: Existenzängste der Athleten müssen gemindert werden
    Dobovisek: Sie haben gerade in Ihrer letzten Antwort erwähnt die Rahmenbedingungen, die will ich noch mal aufgreifen, Frau Freitag. Welche Rahmenbedingungen meinen Sie oder wünschen Sie sich?
    Freitag: Ich wünsche mir erst mal für unsere Athleten die bestmöglichen Rahmenbedingungen in der Vorbereitungsphase. Da liegt einiges im Argen, das geht aber weit über die Sportförderung des Bundes hinaus. Wir haben auch in Rio immer wieder gehört, wie schwer es ist, sein Leben zu finanzieren, wenn man sich gleichzeitig dem Hochleistungssport verschrieben hat. Die wenigsten Athletinnen und Athleten können von dem leben, was sie in den vier Jahren zwischen zwei Olympischen Spielen durch ihren Sport verdienen.
    Das heißt, wir müssen Rahmenbedingungen schaffen, und das geht eben über die Politik hinaus. Da sind Hochschulen, da sind Arbeitgeber angesprochen, die es den jungen Menschen ermöglichen, zusätzlich zum Sport auch eine vernünftige Ausbildung zu absolvieren, dass die Existenzängste wenigstens gemindert werden. Das gehört für mich auch dazu, und deshalb habe ich auch diese gesellschaftspolitische Debatte eingefordert. Es ist nicht nur eine Frage des Sports und der Politik.
    Dobovisek: Schauen wir uns den Erfolg der Briten an. Das Land ist kleiner als Deutschland, hat weniger Einwohner, aber deutlich mehr Medaillen, nämlich 67, Platz 2 auf dem Medaillenspiegel – ein Riesensprung. Waren es 2004 noch 30 Medaillen, dann wurde es immer besser, mit den Spielen von London vor Augen. Was machen die Briten besser, zum Beispiel mit der Sportförderung?
    Freitag: Die Briten haben ein anderes System. Ich habe ja die Vertreter des britischen Verbandes vor anderthalb Jahren auch in den Ausschuss im Bundestag eingeladen, damit wir uns genau das britische System einmal anschauen konnten. Die setzen schon auf eine sehr gezielte Spitzensportförderung und Sportarten und Disziplinen. Die die gesteckten Ziele nicht erreicht haben, müssen erst mal damit rechnen, dass sie weniger Fördermittel bekommen.
    Dobovisek: Ist das begrüßenswert?
    Freitag: Das ist genau die Frage, die ich anfangs angesprochen habe. Das würde ich als Politikerin auch nicht alleine entscheiden wollen. Wollen wir in Deutschland weiterhin eine breite Förderung oder wollen wir uns auf wenige sehr medaillenträchtige Sportarten komplett konzentrieren. Persönlich denke ich nicht, dass wir nur eine Nation von Bob- und Schlittenfahrern, von Kanufahrern, die immer sehr erfolgreich sind bei Olympischen Spielen, was ich auch überhaupt nicht kleinreden will. Aber ich denke, wir sollten schon die Breite dessen abbilden, was Sport in Deutschland eigentlich ausmacht.
    Dobovisek: Nach den Spielen ist vor den Spielen. Die Sozialdemokratin Dagmar Freitag, Vorsitzende des Sportausschusses im Deutschen Bundestag zum Abschluss der Olympischen Spiele von Rio. Vielen Dank für das Gespräch, Frau Freitag!
    Freitag: Sehr gerne!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.