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Reform des Unterhaltsrechts
"Das Familienrecht hat Väter lange stark benachteiligt"

Familienanwältin Eva Becker hat den Vorstoß von Familienministerin Giffey, das Unterhaltsrecht zugunsten von Vätern zu reformieren, begrüßt. Auch die Mütter hätten etwas davon, denn sie könnten dadurch mehr arbeiten gehen und mehr Geld verdienen, sagte sie im Dlf.

Eva Becker im Gespräch mit Ulrike Winkelmann |
Schattenriss , Eltern mit Kind. Das Kind ist in der Mitte und wird an beiden Armen von jeweils einem Elternteil gehalten
Väter von Trennungskindern sollen rechtlich bessergestellt werden (imago/photothek)
Ulrike Winkelmann: Wenn Eltern sich trennen, müssen sie sich die Sorge für das Kind oder die Kinder aufteilen. Das Standardmodell ist geläufig: Kind bei Mama, Papa zahlt. Nun war die Wirklichkeit immer schon etwas komplexer als das. Und was hinzukommt: Sie wird immer noch komplexer. Einem Großteil der traditionell lebenden Paare und Ex-Paare stehen immer mehr Menschen gegenüber, die anders leben: So interessieren sich zum Beispiel viele Väter jetzt so für ihre Kinder, dass sie sich nach einer Trennung um sie kümmern wollen - halbe-halbe oder beinahe halbe-halbe.
Diesen Vätern will Familienministerin Franziska Giffey nun entgegen kommen. Bislang sieht das Familienrecht vor, dass nur, wer wirklich 50/50 betreut, auch keinen Kindsunterhalt zahlen muss. Schon ab 60/40 muss der eine, meist der Vater, den vollen oder fast vollen Unterhalt an die andere, meist die Mutter, zahlen - egal, welche Aufwendungen er hat.
Das soll sich ändern, sagt Giffey: Väter, die etwa eine Wohnung mit Kinderzimmern vorhalten, sollten weniger zahlen müssen. Was das für getrennte Eltern und die Kinder bedeutet, wenn daraus ein Gesetz werden sollte - darüber habe ich vor der Sendung mit der Familienanwältin Eva Becker gesprochen. Sie ist Vorsitzende der Arbeitsgruppe Familienrecht im Deutschen Anwaltverein. Meine erste Frage an Frau Becker war: Benachteiligt das Familienrecht bislang die Väter?
Eva Becker: Das Familienrecht hat die Väter eine ganze Zeit lang stark benachteiligt, das ist sicher gar keine Frage, weil wir aus einem sehr althergebrachten Modell kommen, nämlich der Hausfrauenehe und der überwiegenden Betreuung durch Mütter, was auch seinen Grund darin hat, dass Männer in aller Regel immer noch mehr Geld für ihre Arbeit verdienen als Frauen, und so haben sich auch durch die sozialen gesellschaftlichen Umstände diese Betreuungsformen perpetuiert.
Winkelmann: Aber gäbe es denn keine anderen Möglichkeiten, sorgende Väter, die ja schönerweise immer mehr werden, besserzustellen, als das Geld dann den ebenfalls sorgenden Müttern abzunehmen? Danach sieht ja Giffeys Vorschlag bisher aus?
Becker: Ich würde das nicht so betrachten. Der Vorschlag hat weniger im Auge, Vätern mehr Geld zu belassen und Müttern es wegzunehmen, sondern der Vorschlag hat im Auge, dass zwei Elternteile, die sich mehr oder weniger gleichberechtigt zeitlich um ein Kind kümmern, was wir uns eigentlich ja wohl alle wünschen, angemessen wirtschaftlich gleich belastet werden.
Der Umstand, dass diese beiden Elternteile womöglich über unterschiedliche Einkommenshöhen und -verhältnisse verfügen, das kann nicht das Ziel des Unterhaltsfamilienrechts sein, dass man diese Ungleichheit, die besteht und die sicher auch beklagenswert ist, nivelliert. Das Familienrecht guckt nur darauf, ist ein Kind wirtschaftlich angemessen und ausreichend versorgt, und wie sind die Belastungen zwischen den Eltern zu verteilen.
"Frauen werden mehr arbeiten können"
Winkelmann: Der Verband alleinerziehender Mütter und Väter sagt jetzt zum Beispiel, es müsse aber sichergestellt sein, dass die Mütter auch tatsächlich sparten dadurch, dass die Väter etwas leisteten. Wie soll das gehen, wenn die Mütter ja ihre Kinderzimmer auch weiterhin brauchen?
Becker: Das ist sicher richtig. Das ist aber auch heute schon so. Es wird kaum ein Elternteil geben, deren Kind von Donnerstag auf Montag oder Freitag auf Montag betreut, nicht auch ein Kinderzimmer vorhält oder jedenfalls Raum für das Kind. Die Entlastung, glaube ich, durch diesen Vorstoß, die wird sich dadurch einstellen, dass Frauen mehr arbeiten können. Ob sie dann das gleiche Einkommen erzielen können wie Väter in dieser Zeit, das ist wiederum, wie gesagt, nicht eine Frage des Familienrechts, sondern das ist eine Frage der sozialen Gegebenheiten. Da muss der Staat sich überlegen, wie er Frauen und Männer gleich behandelt und die Gleichstellung auf anderem Wege herbeiführt. Das kann das Familienrecht nicht leisten.
Winkelmann: Ein Blick auf die Sozialdaten zeigt doch aber, dass das Armutsrisiko alleinerziehender Mütter nicht nur immer schon hoch war, sondern auch in den vergangenen Jahren noch gewachsen ist, und der Grund dafür waren unter anderem auch Reformen des Familienrechts, etwa die Kürzung des Unterhalts für geschiedene Frauen. Wer das Familienrecht ändert, muss doch gucken, welche Auswirkungen das auf die Betroffenen hat.
Becker: Absolut richtig. Im Fokus steht aber an der Stelle der Schutz des Schwächsten. Der schwächste in der Kette oder das schwächste in der Kette ist natürlich das Kind. Wenn das versorgt ist, dann kann sich das Familienrecht auch leisten, sozusagen auf die Erwachsenen zu gucken und da eine angemessene Lösung finden. Im Unterhaltsrecht ist es ja nicht so, dass nicht berücksichtigt wird, wenn sie in klassischen Modellen leben, die Eltern, einer verdient, der andere betreut, dann findet das natürlich Berücksichtigung, und dann gibt es auch Unterhaltsansprüche in Ehen. Das ist ja keine Frage.
Aber man wird diese Problematik nicht alleine über das Unterhaltsrecht lösen können. Ich würde mir erwarten, dass durch die Motivation und den Respekt vor der Betreuungsarbeit dann auch von engagierten Vätern, dass dadurch mehr Väter in die Verantwortung genommen werden, und wenn sich mehr Väter um Kinder kümmern, dann haben die Frauen, die die Kinder betreuen, auch mehr Zeit, für sich selbst zu sorgen, was ja etwas Schönes ist, nämlich Unabhängigkeit von einem anderen, von dem man wirtschaftlich abhängt.
Winkelmann: Das heißt, Sie versprechen sich auch eine Art erzieherisch motivierende Wirkung dann von dem neuen Recht, dass die Väter sich mehr kümmern, die sich bisher wenig oder gar nicht kümmern.
Becker: Ja, eigentlich sollte Recht nicht erziehen, schon gar nicht Familienrecht, sondern Familienrecht sollte eigentlich nachvollziehen, wie eine Gesellschaft lebt und dafür gerechte und faire Lösungen finden. Tatsächlich denke ich auch, dass wir weniger erziehen mit so einem Vorstoß, sondern durchaus schon nachvollziehen, was ein großer Teil der Bevölkerung, wenn vielleicht auch nicht der überwiegende, aber ein großer Teil der Bevölkerung, jedenfalls nach Studien, die man lesen kann, schon lebt, nämlich eine engagiertere Elterneinbindung in die Betreuung von Kindern, was bedeutet, dass auch mehr Väter mehr Zeit aufwenden, wobei es sicher richtig ist, dass Mütter noch überwiegend Betreuungsleistung erbringen. Das ist sicher richtig.
Winkelmann: Sind die Statistiken nicht eher teils deprimierend andersherum so, dass die Aufgabenverteilung immer noch sehr, sehr traditionell ist bei aller behaupteten Emanzipation?
Becker: Ja, da mögen Sie recht haben. Wenn ich aber zugleich Studien habe, die belegen, dass Eltern sich wünschen jedenfalls, dass die Betreuung gleichermaßen von beiden Elternteilen erbracht wird und beide Elternteile, Väter wie Mütter, sich in die Betreuungsleistung einbringen wollen, nämlich indem sie das Kind tatsächlich betreuen und nicht nur dafür zahlen, dann darf man das sicher als Gesetzgeber zum Anlass nehmen, eine Regelung zu schaffen, die das leichter ermöglicht.
Ich glaube, wenn man die finanziellen Lasten bei einer paritätischen Betreuung, sei es Wechselmodell oder kurz drunter, gerecht gestaltet, dann bekommt man auch mehr Menschen dazu motiviert, also Eltern, sich gleichermaßen um ihr Kind zu kümmern. Das ist ja eigentlich so ein bisschen das Ziel.
Becker: Langfristig positive Folgen für alleinerziehende Frauen
Winkelmann: Und ein Ziel dahinter ist dann aber auch, dass Frauen einen besseren Arbeitsmarkt zugange halten, weil ihr Kind sozusagen einen größeren Teil der Strecke in der Woche betreut wird. Die Erfahrung aber bei der Reform des Betreuungsunterhalts vor knapp über zehn Jahren war ja die, die Verhältnisse, die sind nicht so. Also bei aller offiziell behaupteter Emanzipation hat ein Großteil der Mütter eben nicht den gleichen Arbeitsmarktzugang wie die Väter und sehen für sich weniger Möglichkeiten, Lebensziele, also wie berufliche Erfüllung und gelingendes Familienleben, auch umzusetzen. Ist das denn alles immer nur eine Frage des mangelnden Willens?
Becker: Das steht mir nicht an, das zu beurteilen, und das würde ich auch nicht behaupten wollen. Es ist aber tatsächlich so, dass die äußeren Umstände im Augenblick wohl günstig sind, um an der Situation zugunsten von Frauen und Müttern etwas zu verändern. Der Arbeitsmarkt ist besser denn je.
Es ist leichter denn je, eine Stelle zu finden, bei der man seinen eigenen Unterhalt verdienen kann, und das muss man sicher auch langfristig betrachten, weil die Möglichkeit von Frauen und Müttern, neben der Betreuung eines Kindes arbeiten zu gehen, natürlich auch die Altersarmut und das damit verbundene Risiko, geeignet ist, zu reduzieren, weshalb ich diese Vorstöße, die ein Gesetzentwurf in sich trägt und bringen kann, durchaus auch langfristig und positiv sehe für Frauen, für alleinerziehende Mütter.
Wenn die nämlich mehr Freiräume bekommen durch mitbetreuende Väter, ist für die schon eine Menge gewonnen, weil der Staat nicht hinreichend die Voraussetzungen schafft, um Frauen in eigenverantwortliche Arbeit zu bringen, genau wie Sie das monieren, das ist schon richtig. Aber man muss aufpassen, dass man nicht noch mal das Familienrecht benutzt, um diese gesellschaftlichen Rahmenbedingungen, die nicht besonders gut sind, optimal sind, um die irgendwie aufzufangen. Das ist keine gute Idee.
"Man dreht an den einfachen Stellschrauben"
Winkelmann: Müsste man denn aber, wenn man hier zwischen Arbeitsmarkt und Familie neue Balance schaffen wollte, ganz andere Hürden zunächst mal abräumen? Also ich sage nur Ehegattensplitting – ist das nicht verrückt, dass der Staat dann so widerstreitende Anreize setzt, einerseits für die Frauen zu Hause zu bleiben und nicht zu arbeiten dank des Ehegattensplittings, und andererseits sie in den Arbeitsmarkt zu drängen durch einen Umbau des Familienrechts?
Becker: Ja, das ist auch etwas, was man schon lange kritisiert, und dem schließe ich mich auch an. Man dreht an den einfachen Stellschrauben. Im Familienrecht kann man mal flott eine Justierung der wirtschaftlichen Lasten in Bezug auf Betreuung. Das kriegt man, na ja, nicht schnell, aber zügig hin.
Was ein dickeres Brett ist, ist natürlich, die steuerrechtlichen Themen anzupacken, sozialrechtliche Themen anzupacken, Arbeitsbedingungen zu verändern, noch mehr Kinderbetreuung zu schaffen, und zwar qualifizierte, weil häufig geben die Menschen ja ihre Kinder deswegen nicht so gerne in die Betreuung, weil sie die nicht für qualifiziert genug halten. Das hängt zusammen mit der Bezahlung von Erziehern und Betreuern von Kindern und so weiter.
Das sind sehr dicke Bretter, und da würde ich mir wünschen, dass die Politik sehr viel forscher mit den Reformen voranschreitet, weil dann müsste nicht das Unterhaltsrecht sich mit der Diskussion auseinandersetzen, ob es denn diese sozialen und gesellschaftlichen Ungerechtigkeiten beheben kann oder eben nicht.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.