Roger Federer sieht im Davis Cup nicht mehr das, was er war. Boris Becker postete auf Twitter gar einen Grabstein. Und auch Patrick Kühnen wirkt geschockt. Der ehemalige Davis Cup-Spieler und Davis Cup-Kapitän sagte dem Deutschlandfunk: "Unterm Strich bleibt für mich einfach, dass der Davis Cup in der Form, in der wir ihn als Kind erträumen durften oder wovon wir als Kind geträumt haben und als Spieler gespielt haben oder auch als Kapitän das begleitet haben - das ist passe. Leider."
Dreimal gewann Deutschland die "hässlichste Salatschüssel der Welt" - Kühnen war bei allen Triumphen dabei. Zum Beispiel 1988: "Zweiter Aufschlag ist jetzt gekommen. Becker macht den Punkt. Becker macht den Punkt. Deutschland gewinnt den Davis Pokal 1988." Der Davis Cup ist in dieser Zeit in Deutschland ein Straßenfeger. Und für die Spieler, wie Kühnen, ein ganz besonderer Wettbewerb - wegen der garantierten Heimspiele vor ungewohnt vielen Zuschauern und einzigartiger Stimmung. Aber Davis Cup - das waren auch immer ganz spezielle Herausforderungen. Denn der Gastgeber durfte Bodenbelag und Bälle auswählen.
"Ich erinnere mich noch an eine ganz gute Geschichte, als wir in Schweden gespielt haben. Da hat Schweden damals mit drucklosen Bällen gespielt - das war für uns nicht einfach, uns da anzupassen. Also das war immer eine Herausforderung. Gleichzeitig hat man natürlich immer auch als Heimmannschaft bei Heimspielen in Deutschland den Bodenbelag für seine Spieler wählen können - und eben auch den Spielbelag wählen können. Das war so das Salz in der Suppe des Davis Cup", so Kühnen.
Doch in den vergangenen Jahren hatte der Mannschafts-Wettbewerb an Zugkraft verloren. Immer wieder sagten Stars - wegen Überlastung ab. Schließlich ist ihre Einzel-Saison von Januar bis November schon kräftezehrend genug. Bislang wurde an vier Wochenenden übers Jahr verteilt gespielt - mit dem Finale Ende November.
Es soll viel Geld fließen
Ab 2019 soll es im Februar eine Qualifikationsrunde mit 24 Teams geben - und in der zweiten November-Hälfte dann ein einwöchiges Finalturnier mit 18 Mannschaften an einem neutralen Ort. Zudem gehen die Matches nur noch über zwei Gewinnsätze - und es werden lediglich zwei Einzel und ein Doppel gespielt.
Und es soll viel Geld fließen. Die von Fußball-Profi Gerard Piqué gegründete Investorengruppe "Kosmos" verspricht der ITF in den kommenden 25 Jahren drei Milliarden Dollar. Eine solche Summe hatte es im Tennis noch nie gegeben. Und so meinte ITF-Präsident David Haggerty überschwänglich: "Wir sind begeistert, denn dieses Ergebnis ändert all das, was wir fürs Tennis tun. Jetzt haben wir die Fähigkeit, künftigen Generationen zu ermöglichen, Tennis zu spielen. Denn jetzt haben wir die Mittel, viel Geld zu investieren, um die Spieler der Zukunft zu entwickeln."
Das war selbstverständlich übertrieben, denn es ist nun wahrlich nicht so, dass ohne die von ihm angeschobene Reform der Tennis-Sport keine Zukunft gehabt hätte. Und was der Kosmos-Deal tatsächlich wert ist, muss sich erst noch zeigen. Das Konsortium tritt als Vermarkter auf - sucht Spielorte aus, ist für die Übertragungsrechte verantwortlich, bestimmt Eintrittspreise.
Und hofft so, die zugesagten drei Milliarden Dollar zu generieren. Die ITF wiederum will den Nationalen Verbänden künftig jährlich 25 Millionen Dollar zukommen lassen - dieses Geld soll in Strukturen und Nachwuchsprogramme investiert werden. Für einen Verband wie den seinigen, sagte Ugandas Präsident Babu, sei das "zehnmal mehr Geld als bislang". Doch ob diese Summe tatsächlich ganz unten ankommt?
Insgesamt verspricht Kosmos nicht nur finanziell viel, sondern auch viel Spektakel mit vielen Stars. Allerdings ist noch nicht sicher, ob die Federer, Nadal, Djokovic oder Zverev überhaupt dabei sein werden.
Deutschland stimmte gegen die Reform
Schließlich befinden die sich Ende November, wenn das Finalturnier gespielt werden soll, in der Saisonpause. Und deshalb sieht Gerard Piqué viel Arbeit vor sich: "Wir werden mit Verbänden und Spielern zusammensitzen, haben natürlich schon mit ihnen gesprochen. Aber jetzt, da die Reform Realität ist, wollen wir ihre Meinung hören und versuchen, das Beste möglich zu machen."
Auf der ITF-Generalversammlung seien sich alle Abgeordneten einig gewesen, dass eine Reform notwendig sei, sagt Dirk Hordorff. Das neue Format habe nach Meinung des Vizepräsidenten des Deutschen Tennis-Bundes, jedoch nichts mehr mit dem Davis Cup zu tun. Deshalb hatte der DTB mit seinen 12 Stimmen dagegen votiert. Doch das reichte nicht. Und die Frage lautet nun, wie konnte die ITF auf die nötige Mehrheit kommen? 71,4 Prozent waren letztlich dafür.
"Wir haben gesehen, dass, ich sag’ mal ganz Afrika, mehr oder minder ganz Südamerika, plus Amerika, Kanada auf der einen Seite waren. Und es ist halt auch zu befürchten, dass der eine oder andere anders abgestimmt hat, als es sein Verband entschieden hat. Wir haben ja an sich noch die sehr gute Nachricht bekommen, dass der Englische Tennis-Verband sich entschieden hat, diese Reform abzulehnen - und das auch klar begründet hat. Es ist nicht anzunehmen, dass die Stimmen der hier vertretenen Engländer auf Seiten der Nein-Stimmen zu finden waren", so Dirk Hordorff.
Weitere Pläne auch für Frauen-Tennis
Welcher Verband tatsächlich wie gestimmt hat, ist nicht aufzulösen. Denn das Abstimmungsergebnis wird nicht veröffentlicht. ITF-Präsident Haggerty hat bereits weitere Pläne. Er will den wichtigsten Team-Wettbewerb des Frauen-Tennis, den FED Cup, ebenfalls revolutionieren.
"Wir hatten schon erste Gespräche und haben ähnliche Gedankenspiele wie beim Davis Cup. Eine starke Weltgruppe mit 16 oder mehr Mannschaften. Es muss nicht alles genau gleich sein. Aber jetzt, da wir eine klare Idee haben, wie der Davis Cup aussehen wird, können wir auch den Fed Cup in die Richtung bringen, die wir brauchen", sagt Haggerty.
Und so könnte dem wichtigsten Wettbewerb des Frauen-Tennis womöglich bald nicht nur eine ähnliche Reform wie dem Davis Cup bevorstehen, sondern auch eine ähnlich kontroverse Diskussion.