- Was ist der Kern der Pflegereform?
- Was verdienen Beschätigte in der Altenpflege?
- Welche Kritik gibt es an der neuen Tarifvertrags-Regelung?
- Was können die Gewerkschaften jetzt tun?
- Woran ist ein bundesweiter Tarifvertrag gescheitert?
- Wie ist die Position der privaten Pflegeeinrichtungen?
- Welche Kritik gibt es an der Gegenfinanzierung der höheren Löhne?
"Alle suchen Personal! Wenn es überhaupt jemals ein Jahrzehnt gegeben hat, an dem die Pflege am längeren Hebel sitzt, dann werden es die 20er-Jahre sein. Sie sitzen am längeren Hebel, weil jeder braucht sie in jeder Ecke dieses Landes. Diesen Hebel kann man aber nur nutzen, wenn man sich zusammentut."
Bundesgesundheitsminister Jens Spahn appelliert gerne an die Pflegekräfte, wenn es um höhere Löhne in der Altenpflege geht. So auch in diesem Juni in München. Auf einer Kundgebung der Gewerkschaft Verdi verteidigt er die Pflegereform, die Union und SPD kurz vor der Sommerpause noch durch den Bundestag gebracht haben. Spahns Botschaft: Die Pflegekräfte selbst, aber auch die Gewerkschaften, müssen bessere Löhne jetzt endlich erstreiten.
"Und die Wahrheit ist: Sie brauchen doch nur deswegen staatliche Regelungen zur Lohnfindung, weil sie es nicht schaffen, andere Löhne als Gewerkschaft durchzusetzen. Das wäre eigentlich ihre Aufgabe!"
Altenpflegerinnen und Gewerkschafter zeigen Jens Spahn rote Karten, immer wieder wird er unterbrochen und bittet um einen fairen Umgang. Nicht nur in München, auch in Nürnberg wird der Gesundheitsminister an diesem Tag ausgebuht.
Auch hier hat Verdi zu einer Protestkundgebung aufgerufen. Gut einhundert Menschen haben sich vor dem Nürnberger Gesundheitsministerium versammelt. Sie haben lebensgroße Pappschilder von Pflegekräften aufgestellt: 78 Prozent der Beschäftigten glauben nicht, dass sie bis zur Rente durchhalten, steht darauf. 73 Prozent halten die Personalausstattung für zu gering. Auch Tatjana Sambale ist gekommen, um ihrem Unmut Luft machen. Die 34-Jährige ist Altenpflegerin in einem privaten Pflegeheim.
"Jetzt heißt es auch noch: Ja gut, wenn ihr bessere Arbeitsbedingungen haben wollt, dann kümmert euch halt selbst. Und das ist einfach ein ziemlicher Schlag ins Gesicht."
Genau das aber ist die Kernaussage der Reform. Mit ihr hat die Bundesregierung die Entscheidung über höhere Löhne delegiert: An Arbeitgeber und Gewerkschaften, aber auch an die Pflegekräfte selbst. Denn die Pflegereform sieht keine automatischen Lohnerhöhungen vor. Stattdessen dürfen die Pflegekassen ab September 2022 nur noch Altenheime und ambulante Dienste finanzieren, die nach Tarif zahlen. Die Grundidee: Mehr Tarifverträge sollen zu höheren Löhnen führen. Aber: Damit es zu diesen Tarifverträgen kommt, müssen sich die Pflegekräfte zu Tarifkommissionen zusammenschließen und ihre Arbeitgeber zu Tarifverhandlungen auffordern.
Tatjana Sambale atmet tief durch. Sie ist nicht nur Altenpflegerin, sondern auch Verdi-Mitglied. Und sieht viel Arbeit auf sich zukommen: "Jetzt haben wir die Situation, dass wir da stehen gerade im privaten Bereich und gucken müssen, ob wir die Stärke entwickeln können mit möglichst vielen Kolleginnen und Kollegen doch die Arbeitgeber zu Tarifverhandlungen aufzufordern. Um zu verhindern, dass sich irgendein Tarifvertrag rausgepickt wird, der möglichst schlecht für uns ist, möglichst gut im Sinne der Arbeitgeber. Also sprich mit möglichst niedriger Vergütung weiterhin, um eben uns weiterhin auf niedrigem Niveau zu halten, weil wir eben doch allzu oft nur als Kostenfaktor gesehen werden."
Dabei zahlt ihr Arbeitgeber Pflegefachkräften, wie Sambale es ist, mit 16,72 Euro pro Stunde deutlich mehr als den gesetzlichen Pflegemindestlohn von 15 Euro. Bei einer Vollzeitstelle käme die Altenpflegerin damit auf etwa 2.900 Euro brutto im Monat. Aber: Diese verhältnismäßig guten Löhne bekommen nur gut die Hälfte der Belegschaft, sagt Sambale, nämlich die Fachkräfte. Bei ihnen ist der Mangel an Arbeitskräften besonders groß. Ihren ungelernten Kolleginnen zahle ihr Arbeitgeber nicht mehr als den Mindestlohn für Pflegehilfskräfte von 11,80 Euro die Stunde – also etwa 2.000 Euro brutto im Monat für 40 Stunden Arbeit in der Woche.
Sambales Eindruck ist: Überall dort, wo es marktwirtschaftlich möglich ist, werde nur das gesetzliche Minimum erfüllt: "Ich habe bei unserem Arbeitgeber allgemein das Gefühl, dass sehr genau geschaut wird: Was ist der rechtliche Rahmen und sich daran gehalten wird, aber keinerlei Zugeständnisse darüber hinaus gemacht werden. Es gibt einen Pflegemindestlohn, der lautet 11,80 Euro und dann zahle ich auch keine 70 Cent darüber, obwohl es natürlich in der Entscheidungsbefugnis liegen würde."
Sambales Arbeitgeber zählt zu den 20 größten Pflegeanbietern in Deutschland. Sie arbeitet bei einer privaten Holding, die vor allem in Nord-, Süd- und Westdeutschland vorwiegend Pflegeheime betreibt. Es sind vor allem diese privaten Träger, die durch die Pflegereform zu höheren Löhnen gezwungen werden sollen. Denn im Vergleich zu kirchlichen und öffentlichen Trägern zahlen die Privaten durchschnittlich schlechter. Mit der Pflegereform soll sich das ändern, indem das Gesetz zum Zahlen nach Tarif verpflichtet.
Aber: Es gibt eine bestimmte Regelung in der Reform, die das zunichtemachen könnte. Mit ihr können Arbeitgeber die oft mühsamen Tarifverhandlungen mit den Gewerkschaften umgehen. Die Arbeitgeber dürfen sich nämlich einen beliebigen Tarifvertrag eines Pflegeunternehmens aussuchen, der in ihrer Region schon gilt, und dementsprechend zahlen. Verdi-Tarifexperte Axel Weinsberg: "Dann kann ein Arbeitgeber einen Tarifvertrag aus der letzten Ecke heranziehen und danach zahlen. Und das kann einfach nicht sein."
Die Befürchtung: Während diese regionalen Lohnniveaus in Westdeutschland schon heute häufig über dem Pflegemindestlohn liegen, könnten sich die Löhne vor allem für ostdeutsche und Pflegekräfte in ländlichen Regionen auf niedrigem Niveau verfestigen.
"Und von daher werden wir da unsere gesamte Tarifarbeit in der Altenpflege darauf ausrichten die regionalen Niveaus auch nach oben zu ziehen und den schlechten Tarifverträgen den Kampf anzusagen, durch ein gutes Gegenangebot."
Doch was diese Gegenangebote angeht, hat Verdi selbst ein Problem. Denn in der Altenpflege sind Schätzungen zufolge nur etwa zehn Prozent der Beschäftigten Gewerkschaftsmitglieder. Die Gewerkschaften sind schwach. In dem helfenden Beruf fehle vielen die Art Streitmentalität, die es für den Arbeitskampf braucht, meint Weinsberg. Streiks seien in der sensiblen Pflegebranche für viele undenkbar. Ein hoher Teilzeit- und Frauenanteil sowie viele ausländische Beschäftigte machen die Mobilisierung zusätzlich schwer. Verdi muss also vor allen Dingen eines tun: um neue Mitglieder werben. Ein mühsamer Weg.
"Der große Plan, da werden Sie sich wahrscheinlich auch nicht wundern, den gibt es so nicht. Das Gesetz ist in der Form am 11. Juni verabschiedet worden, das heißt also, ein bisschen Verständnis, dass der Plan noch nicht gänzlich angepasst wurde. Aber diesen Plan wird es natürlich geben."
Einfacher ist der Gang vor die Gerichte. Vor dem Bundesarbeitsgericht haben die Gewerkschaften so Ende Juni gleich zwei Erfolge erzielt, die den Weg für höhere Löhne ebnen. Für viel Aufmerksamkeit sorgte ein Urteil, in dem das Bundesarbeitsgericht urteilte, dass auch für Pflegekräfte in der häuslichen Pflege der Pflegemindestlohn gilt. Davon profitieren werden vor allem Frauen aus Osteuropa, während die Pflege zu Hause für viele Pflegebedürftige unbezahlbar werden dürfte.
In einem zweiten Urteil gelang es den Gewerkschaften, einen eigenen Konkurrenten auszuschalten - die ehemalige Gewerkschaft DHV. Sie galt den Gewerkschaften des Deutschen Gewerkschaftsbunds schon lange als zu arbeitgebernah, um im Sinne der Beschäftigten zu handeln. Für das Bundesarbeitsgericht aber war ausschlaggebend, dass der DHV zu wenig Mitglieder hatte, um tariffähig zu sein.
Die Folge: Alle abgeschlossenen Tarifverträge sind nun ungültig. Eine Lücke, in die die anderen Gewerkschaften nun stoßen könnten. Und: Auch die Pflegereform könnte eigentlich die Stunde der Gewerkschaften sein. Schließlich verpflichtet der Gesetzgeber die Arbeitgeber erstmals in der Geschichte der Branche zum Zahlen nach Tarif. Alle 30.000 Versorgungsverträge zwischen Pflegekassen und Arbeitgebern in der Altenpflege müssen überprüft werden. Potentiell könnten zigtausende Tarifverträge verhandelt werden. Doch bei Verdi sieht man das anders:
"Das können wir als Verdi alleine auch im Moment nicht regeln. Wir können nicht die gesamte Altenpflegebranche regeln. Das würden wir gern, aber das ist aufgrund der Zersplitterung und der Gewerkschaftsfeindschaft von vielen Arbeitgebern zurzeit nicht möglich. Also, wir werden solche gerichtlichen Klärungen auch weiterhin brauchen, solange die Politik auf einen weitestgehend unregulierten Altenpflege- und Pflegemarkt setzt."
Dabei kann es auch anders gehen. Nicht immer müssen sich Arbeitgeber und Gewerkschaften derart feindschaftlich gegenüberstehen. Der Arbeitgeberverband BVAP, dem zum Beispiel die Arbeiterwohlfahrt und der Arbeiter-Samariter-Bund angehören, schloss Anfang des Jahres auf eigene Initiative einen Tarifvertrag mit Verdi. Ihn wollte Bundesarbeitsminister Hubertus Heil eigentlich bundesweit zum allgemeinverbindlichen Standard erklären und so für höhere Löhne sorgen. Das Vorhaben aber scheiterte an der Caritas, die als kirchlicher Träger hätte zustimmen müssen.
Eine Frage jedoch blieb offen: Wenn der Tarifvertrag nicht für alle Pflegekräfte gelten wird, wird er wenigstens zwischen den Tarifparteien gelten - also für die 70.000 Pflegekräfte, deren Arbeitgeber ihn verhandelt haben? Vorstand Gero Kettler: "Die Bundesvereinigung der Arbeitgeber in der Pflegebranche, die BVAP und ihre Mitglieder, halten am Tarifvertrag Altenpflege fest."
Allerdings mit einer Änderung: Die Löhne werden nicht, wie ursprünglich vorgesehen, schon ab August steigen, sondern erst ab Januar 2022. Die Pflegekräfte, deren Arbeitgeber Mitglied bei der BVAP sind, müssen also fünf Monate länger warten als geplant, bis ihre Löhne steigen. Dann werden Fachkräfte mit 17 Euro brutto pro Stunde zwei Euro mehr verdienen als den gesetzlichen Mindestlohn von 15 Euro. Ab Juni 2023 werden es sogar 18,75 Euro sein.
"Wir haben damit ein ganz konkretes Angebot zur Verbesserung der Einkommenssituation der Pflegekräfte, und wir werden sehr genau beobachten, was die Gegner dieses Projektes denn als Alternative anzubieten haben."
Fragt man bei diesen sogenannten Gegnern nach, bekommt man eine deutliche Antwort. Der Bundesverband privater Anbieter sozialer Dienste (BPA) vertritt als größter Arbeitgeberverband Deutschlands laut eigenen Angaben jede dritte Pflegeeinrichtung in Deutschland. Bekanntester Vertreter des Verbands ist wohl sein Präsident - der ehemalige Bundeswirtschaftsminister und FDP-Politiker Rainer Brüderle. Die Arbeitgeber des BPA wollen eher vor Gericht ziehen, als sich mit den Gewerkschaften auseinanderzusetzen.
Vize-Präsident Bernd Meurer sagt: "Den Betrieben wird jetzt allmählich erst mal klar, was auf sie zukommt. Die haben jetzt erfahren, die haben erst mal das blanke Entsetzen im Gesicht stehen. Was daraus wird, ist genau noch nicht zu sagen. Eine Option, die wir als Verband jetzt schon sehr intensiv prüfen, ist die Verfassungsbeschwerde beim Verfassungsgericht."
Denn aus Sicht der Arbeitgeber führt das Gesetz zu Tarifzwang und verstößt somit gegen die grundgesetzlich garantierte Tarifautonomie, gegen die Freiheit also, Tarifverträge abzuschließen oder es zu lassen.
"Das Gesetz schreibt den Unternehmen vor, wie viele Mitarbeiter es hat, welche Qualität diese haben, was die auf Punkt und Komma an Gehalt zu bekommen haben. Und schlussendlich schreibt man uns auch noch die Preise vor, weil diese durch die Pflegekassen genehmigt werden."
Auf Punkt und Komma vorschreiben, was die Pflegekräfte verdienen sollen - das tut das Gesetz nicht. Aber: Die Pflegebranche ist im Vergleich zu anderen stark reguliert, denn sie wird über die Pflichtbeiträge zur Pflegeversicherung von einem Großteil der Bevölkerung gemeinschaftlich finanziert. Die privaten Unternehmer fürchten also um ihre Macht, Entscheidungen im eigenen Betrieb zu treffen. Bernd Meurer geht noch einen Schritt weiter. Er sagt: Das Gesetz schränke den finanziellen Spielraum der privaten Betreiber so stark ein, dass vor allem kleine und mittlere Betriebe in ihrer Existenz gefährdet seien:
"Es reicht für ein Unternehmen nicht aus, wenn man ihm die reinen Lohnkosten erstattet und ansonsten kein Cent mehr übrig bleibt für das Unternehmen selbst, für Innovationen, für Experimentierklauseln. Man muss je nach Situation auch mal mehr Personal reingeben, weil man einen hohen Krankheitsstand hat. Und all diese Dinge. Und eine gewisse Flexibilitär muss erhalten sein. Und nur das Erstatten des Tarifvertrages würde dann zwar die Interessen des Arbeitnehmers, der Pflegekraft berücksichtigen, aber keinesfalls dessen, der für das Unternehmen gerade steht."
Die privaten Träger stehen bei ihrem Modell vor einer Schwierigkeit: Anders als die anderen Träger, beispielsweise die Arbeiterwohlfahrt und die kirchlichen Träger Caritas und Diakonie, wollen sie Gewinne machen. Aber: Sie werden alle auf der gleichen Grundlage finanziert. Einen Teil zahlen die Pflegekassen, die pro Bewohner einen bestimmten Pflegesatz zahlen. Den anderen Teil zahlen die Pflegebedürftigen selbst durch den sogenannten Eigenanteil - doch der ist mit 2.100 Euro jetzt schon so hoch, dass ihn viele nicht mehr stemmen können.
Profit können die privaten Pflegeeinrichtungen also vor allen Dingen darüber erzielen, ihre eigenen Kosten gering zu halten und günstiger zu sein als die Konkurrenz. Altenpflegerin Tatjana Sambale hat den Unterschied, den das in der alltäglichen Arbeit macht, selbst erlebt:
"Ganz banal, ich habe sowohl bei den beiden Trägern der freien Wohlfahrtspflege, bei denen ich gearbeitet hab, Urlaubsgeld bekommen, Weihnachtsgeld bekommen, Einzahlung in die Betriebsrente bekommen. Also das macht sich einfach ganz plastisch, ganz knallhart auf dem Lohn- und Gehaltszettel bemerkbar, ob ich im privaten oder im öffentlichen beziehungsweise im Bereich der freien Wohlfahrtpflege arbeite. Und: Was wird sonst noch so als Kostenfaktor wahrgenommen? Wo einem dann gesagt wird, hier wird mit spitzem Stift gerechnet, also Sachen wie Handschuhe oder ausreichend Handtücher und so etwas. Also, sowas darf einfach nicht sein. Aber da weiß man dann aber, okay, am Ende muss halt die Abrechnung stimmen."
Ob und bei wie vielen privaten Pflegeeinrichtungen diese Abrechnung künftig nicht mehr stimmen wird, ist schwer zu prognostizieren. Bislang war die Gefahr für ein Heim, insolvent zu gehen jedenfalls eher gering: 2019 war sie dem Pflegeheim-Rating-Report zufolge mit 0,61 Prozent deutlich niedriger als bei Krankenhäusern. Klar ist: Pflegekräfte wie Tatjana Sambale stehen in ihrem Kampf für bessere Löhne und Arbeitsbedingungen mitunter mächtigen Gegnern gegenüber. Wie aussichtsreich ist er?
"Ich denke es wird eine Verbesserung geben für Pflegekräfte, aber es ist sicherlich nicht das, was wir ursprünglich wollten, ein flächendeckender Tarif für alle Pflegekräfte", erklärt Gesundheitsökonom Heinz Rothgang. Allerdings: Sollten die Pflegekräfte zu höheren Löhnen kommen, stehen auch die Verlierer schon fest: "Die größten Probleme sehe ich bei der Begrenzung der Eigenanteile. Was da jetzt vorgesehen ist, das funktioniert nicht. Und das heißt, für alles, was in Zukunft passiert, ist der Heimbewohnende selbst in der Finanzierungspflicht."
Denn wenn die Löhne der Pflegekräfte steigen sollten, müssen die Pflegebedürftigen sie durch höhere Eigenanteile bezahlen. Heinz Rothgang hat nachgerechnet, wie lange die von der Bundesregierung beschlossene Gegenfinanzierung reicht, um die Eigenanteile wenigstens stabil zu halten. Sein Fazit: gerade einmal zwei Jahre. Dann werden die vorgesehene eine Milliarde Steuerzuschuss pro Jahr, der erhöhte Beitrag für Kinderlose und die prozentuale Begrenzung der Eigenanteile nicht mehr reichen, um die dann steigenden Löhne der Pflegekräfte zu finanzieren. Die Pflegebedürftigen müssen dann noch mehr als die jetzt schon durchschnittlichen 2.068 Euro im Monat aufbringen.
"Das übersteigt bei weitem das, was an Alterseinkünften im Durchschnittshaushalt vorhanden ist und dann verliert die Pflegeversicherung eigentlich die Funktion, für die sie ursprünglich mal gegründet worden ist, nämlich, Verarmung durch Pflege zu verhindern."
Die Folge: Schon jetzt leben immer mehr Heimbewohnerinnen und -bewohner von Sozialhilfe und es werden immer mehr. Die politischen Konzepte dagegen liegen sowohl bei der Union als auch bei der SPD auf dem Tisch. Bundesgesundheitsminister Jens Spahn wollte eigentlich dafür sorgen, dass kein Heimbewohner mehr als 700 Euro im Monat zahlen muss und das durch einen Steuerzuschuss finanzieren.
Der SPD hingegen schwebte eine sogenannte Bürgerversicherung vor, eine einzige Pflegeversicherung für alle Versicherten also, in die nicht nur gesetzlich Versicherte, sondern auch Privatversicherte einzahlen sollen - wodurch ebenfalls mehr Geld in der Pflegekasse wäre, um die Pflegebedürftigen zu entlasten. (*) Ideen gab und gibt es also genug, allein einigen konnte sich die Große Koalition nie. Stattdessen verkündete selbst Bundesarbeitsminister Hubertus Heil, der die Reform mitverantwortet, am Tag der Verabschiedung:
"Das ist nicht die ganz große Pflegereform für alles und jedes, das muss man ganz offen sagen. Da wird in den nächsten Jahren noch viel zu tun sein. Wir müssen den Weg einer Bürgerversicherung auch in der Pflege gehen. Aber es ist heute wichtig, dass wir die Pflegerinnen und Pfleger nicht enttäuschen, die nicht nur in der Pandemie, sondern alltäglich auch davor, einen unglaublich tollen Job machen."
Bis zu dieser nächsten Reform aber werden Pflegekräfte mehr noch als bisher gegen Pflegebedürftige ausgespielt. Anders als die Pflegekräfte haben sie jedoch nicht die Möglichkeit sich selbst zu organisieren. Sie sind auf die nächste Bundesregierung angewiesen.
(*) Formulierung präzisiert