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Reformation 500
Gott versus Mammon

Linke Politiker und Intellektuelle haben gestern in Wittenberg ein antikapitalistisches Manifest präsentiert - natürlich in Form von 95 Thesen. "Wir brauchen wieder eine Reformation", sagt Mit-Initiator Gregor Gysi. Diesmal nicht gegen die Kirche, sondern gegen den Machtmissbrauch durch die Finanzwirtschaft.

Von Christoph D. Richter |
    Der Thesenanschlag zu Wittenberg. Illustration aus dem Jahr 1917
    Der Thesenanschlag zu Wittenberg. Illustration aus dem Jahr 1917 (imago stock&people)
    So geht’s nicht weiter, sagen linke Intellektuelle. Der Kapitalismus und die Herrschaft der Finanzmärkte zerstöre die Zivilisation. Wörtlich heißt es: "Die Demokratie ist in Gefahr. …Die Politik ist an den Vorgaben der Finanzmärkte ausgerichtet ….Gott oder Mammon – du kannst nicht beiden dienen". Geschrieben steht es in einem auf 95 Thesen angelegten Papier, das am Sonntag – öffentlichkeitswirksam – in Wittenberg vorgestellt wurde. Auf dem Platz vor der Schlosskirche, wo Martin Luther 1517 – also vor 500 Jahren - seine Thesen angeschlagen haben soll. Die Vermarktung des Reformations-Jubiläums treibt allerlei Blüten. Es setzt nicht nur auf alle denkbaren Luther-Devotionalien, wie Luther-Tomaten, Luther-Münzen oder Luther-Bier. Auch die Thesen führen ein Eigenleben. Erst kürzlich haben Theologen ihre Thesen zur Gewaltfreiheit formuliert. Jetzt legen linke Intellektuelle nach. Ihr Entwurf trägt den Titel: "Gemeinsam wider die Herrschaft der Finanzmärkte über Demokratie, Gesellschaften, Europa und die globalen Verhältnisse." Für die Öffentlichkeit nachzulesen in der aktuellen Ausgabe der Wochenzeitschrift "der Freitag."
    Die Systemfrage soll neu gestellt werden
    Die Autoren sind unter anderem die Brüder André und Michael Brie, Querdenker der Linken, Peter Wahl, Gründungsmitglied von Attac, Theologe Ulrich Duchrow, Gründer der Initiative "Radicalizing Reformation". Er sieht, wie er sagt, im entfesselten, globalen Finanzmarktkapitalismus den großen Zerstörer der Menschen und der Natur, den Motor der imperialen kapitalistischen Globalisierung, weshalb er dringend zu überwinden ist. Formuliert wird harsche Kritik an der Finanzpolitik der EZB, des IWF und der Austeritätspolitik Bundesregierung, die weltweite Armut und Krisen produziere.
    Zugegeben alles - passend zur Kirchentür - ein wenig holzschnittartig: Aber im Grunde genau richtig im Ton, sagt zumindest Mit-Initiator Gregor Gysi. Die Systemfrage müsse neu gestellt werden.
    "Ich möchte deutlich machen, dass wir wieder eine Reformation brauchen", so Gysi. "Diesmal nicht gegen den Missbrauch der Macht durch die katholische Kirche, sondern diesmal den Machtmissbrauch durch die Finanzwirtschaft. Die großen Banken, die großen Finanz-Jongleure bestimmen das Geschehen auf der Erde. Die Politik richtet sich nach ihnen und das wird immer unerträglicher. Das Ganze kann so nicht weiter funktionieren."
    Klar wird an dieser Stelle, wir leben in Zeiten des Wahlkampfs. Und da kommt Linkspolitikern wie Gregor Gysi, das Reformationsjubiläum gerade recht. Denn eigentlich haben die Linken mit dem Kirchenfest wenig zu tun. Doch jetzt können sie es für ihre eigenen Interessen wortgewaltig in Mithaftung nehmen, nutzen das Reformations-Jubiläum als Vehikel für sozial-umstürzlerische Ideen, die sie nun an die breite Öffentlichkeit bringen.
    Lutherfestspiele statt Jubiläum
    Mehr noch: Das Reformationsjubiläum ist für die Linken die Chance, ihrem Kirchenskeptizismus Ausdruck zu verleihen, die Chance, der Kirche einen kritischen Spiegel vorzuhalten. Deutlich wird das, wenn beispielsweise die Linken in Sachsen-Anhalt statt vom Reformationsjubiläum, sondern von "Lutherfestspielen" reden.
    Wulf Gallert, der religionspolitische Sprecher der Linkspartei im Magdeburger Landtag, sagt: "Wir müssen das Reformationsjubiläum so gestalten, dass die Menschen die hier in Sachsen-Anhalt leben, mitbekommen, das hat etwas mit ihnen zu tun. Und die Möglichkeiten gäbe es ja. Revolutionäre Umwälzungen, Angst vor neuen Herausforderungen, die Frage der Volksbildung. All das sind Dinge, die man hätte thematisieren können und die muss man auch noch thematisieren."
    Wulf Gallert ist einer der 95 Mitunterzeichner des Thesenanschlags "Wider die Herrschaft der Finanzmärkte". Und kritisiert, dass 100 Millionen Euro öffentliche Gelder ins Reformationsjubiläum fließen, während es aber kaum Christen im Land gibt.
    Eine der etwas differenzierteren Stimmen im Chor der Reformationsjubiläumskritiker und Mitunterzeichner des aktuellen Thesenanschlags ist Frieder Otto Wolf, Religionskritiker. Honorarprofessor für Philosophie an der Freien Universität Berlin und Präsident des Humanistischen Verbandes.
    "Es gibt die Notwendigkeit eines Durchbrechens eines sehr verengten, ja armen offiziellen Diskurses. Und wir hoffen natürlich, dass auch solche Interventionen, wie wir sie jetzt gerade machen, entsprechend aufgegriffen werden."
    Die vorgestellte Intervention sei überfällig, auch in der Form – des etwas grob holzschnittartigen – genau richtig. Nur so bekomme man Zugang zu öffentlichen Diskursräumen, wo sich dann die Kraft der Argumente wie eine Blume entfalte, so Frieder Otto Wolf weiter.
    "Wenn es gelingt deutlich zu machen, auch im Vorfeld des Bundestagswahlkampfes und anderer Wahlkämpfe in Europa. Das es eben mehr Alternativen gibt, als die gegenwärtig im Angebot sind. Dann wäre es ein Durchbruch."
    Zur Vorstellung des Thesenanschlags linker Intellektueller hat man ein riesigen Plakat mit dem Slogan Banken zu Pflugscharen auf den Wittenberger Schlossplatz gehängt. Ein Spruch in Anlehnung an die spektakuläre Aktion von 1983, als im Innenhof des Lutherhauses in Wittenberg ein Schwert zu einer Pflugschar geschmiedet wurde, das am Ende zum Symbol und Ausgangspunkt der DDR-Friedensbewegung wurde.
    Doch, ob der kapitalismuskritische Thesenanschlag 2017 eine ähnliche Sogwirkung auslöst, ist mehr als zweifelhaft. Denn der Andrang war gestern nicht groß. So kamen gerademal etwa 150 Menschen, die Meisten von ihnen im Renten-Alter.
    Die Schlosskirche zu Wittenberg. An ihre Tür schlug Martin Luther am 31. Oktober 1517 seine 95 Thesen. Seit 1997 gehört die Schlosskirche zu den UNESCO-Welterbestätten.
    Die Schlosskirche zu Wittenberg. An ihre Tür schlug Martin Luther am 31. Oktober 1517 seine 95 Thesen. (imago / Thorsten Becker)