Geister und Gespenster sind unserer aufgeklärten Welt etwas für Kinder und für Horrorfilme. Allenfalls im Theater lassen wir noch Hamlet mit einem Geist in Gestalt seines toten Vaters sprechen, der tagsüber im Fegefeuer schmort und nachts vor dem Schloß von Helsingør wandelt.
Für die Menschen der Frühen Neuzeit aber waren Geister real. Vor der Reformation galten sie eben als Schatten der Verstorbenen, die bei ihren Verwandten auftauchten, Forderungen stellten und Unruhe verbreiteten. Die den Hausrat durcheinander brachten, Tische und Bänke schweben ließen. Die katholische Kirche bekämpfte sie mit Exorzismus, mit Weihrauch und Messen. Dann aber warf die Reformation alles um, auch den Geisterglauben:
"Luther hat gesagt: Es kann keine Kommunikation zwischen Lebenden und Toten geben! Also kann auch kein Geist eines Verstorbenen zu mir kommen."
Sagt die Historikerin Miriam Rieger, sie hat sich mit den Geistergeschichten unserer Vorfahren beschäftigt. Und mit der Wandlung, die der Geisterbegriff in der Reformation erfuhr.
"Zu Luther kommt ein Pfarrer, ein Pfarrer aus Süptitz bei Torgau. Und der sagt: 'Lieber Luther, ich habe in meinem Haus einen Rumpel- und Poltergeist, das ganze Haus ist in Unruhe. Töpfe und Tassen fliegen umher, und ich kann nicht schlafen. Was soll ich nur tun?' Was sagt Luther jetzt? Der kann ja nicht sagen, das ist der Geist eines Verstorbenen, der umgeht! Nein, Luther sagt zu ihm, 'Laß den Teufel mit den Töpfen spielen!' Also, 'Laß den Teufel mit den Töpfen spielen!', heißt ganz klar: Aus dem ehemaligen Geist eines Verstorbenen ist ein Teufelsgespenst geworden. Das ist die Wandlung, die stattfindet im Luthertum."
Die Angst, die nicht sein darf
Und mit dem Teufel muss man anders umgehen als mit den Geistern der Verstorbenen.
"Und Luther definiert dann auch in seiner Rede an den Pfarrer von Süptitz die neuen Mittel, die jetzt gelten in der Lutherischen Kirche. 'Sage dem Teufel: Trolle dich Satan! Ich bin Herr im Hause und du nicht!' Und das ist quasi das Mantra, das sich dann durch alle lutherischen Gespenstergeschichten zieht.
Damit liegt natürlich die Verantwortung beim Einzelnen. Ich bin natürlich erstmal darauf zurückgeworfen, diese Angst gar nicht haben zu dürfen, weil der Tenor ist: Ein guter Lutheraner muss sich eigentlich vor Tod und Teufel nicht fürchten, weil er im Besitz des wahren Glaubens ist und er ist von Gott angenommen durch die – wir kennen das ja - "sola scriptura", "sola fide" und so weiter. Da ist dann aber trotzdem ein Problem, wenn da eine Besessenheit oder ein Teufelsbericht ist. Und damit muss ich jetzt irgendwie anders umgehen."
Gebete, Gesänge, Fürbitten, Bibellektüre sollten helfen. Allabendlich mit dem Pfarrer, über einige Zeit hinweg, mitunter mit der ganzen Gemeinde - hat Miriam Rieger in reichen, bislang noch unerschlossenen Quellen recherchiert. Ein Geist - und sei es auch der Teufel - erregte Aufsehen und lockte Schaulustige an, auch wenn es nichts zu besichtigen gab als das Haus derer, die von dem Geist heimgesucht werden. Gerade in der Bekämpfung des Geistes mussten sich die Lutheraner beweisen, indem sie auf die papistischen Rituale Roms verzichteten und allein auf ihren Glauben setzten. Und auf Seelsorge.
Frühe Psychoanalyse
"Der Weg ist die Seelsorge bei den Lutheranern im 17. Jahrhundert. Da beginnt so was wie ein Individualismus auch im Reden und Denken. Und ich denke, wenn wir Aufzeichnungen haben, wie Menschen einen Geist beschreiben, dann ist das schon so etwas, was wir später vielleicht in Wien auf der Couch bei Sigmund Freud erleben! Aber es fehlt noch die Artikulationsmöglichkeit. Also ich kann nicht sagen: "Ich bin depressiv, weil ...", sondern ich muss dann sagen, "ich werde vom Teufel geplagt, und da ist etwas Polterndes um mich herum."
Die Seelsorge trifft genau auf das Bedürfnis, das sich in der Geistererscheinung zum Ausdruck bringt, meint Miriam Rieger. Sensible Pfarrer hätten da mitunter wichtige Arbeit geleistet.
"Wir haben Hinweise darauf, dass es manchmal auch um so Sachen wie Gewalt in der Ehe geht. Ich habe einen Fall gefunden von einer jungen Adligen in Nebra, die immer von einem Geist aufgesucht wurde, der sie am ganzen Körper malträtiert hat, die hatte überall Spuren. Und das war immer da, wenn ihr Mann da war. Darüber kann man aber nicht reden. Also sagt man, man hat einen Geist. Und damit mache ich etwas auch behandelbar durch einen Pfarrer. Über Geister zu reden ist auch ein Mittel, über Dinge zu reden, die sonst nicht kommunizierbar sind in dieser Zeit. Ich denke, oft war es auch ein Schrei nach Hilfe. Pfarrer haben dafür gesorgt, dass - und das finde ich sehr, sehr wichtig - dass es bei einem seelsorgerischen Fall geblieben ist und dass es sich nicht ausgeweitet hat zu einem Fall von Hexerei-Anklage."
Für Miriam Rieger sind Geister zunächst einmal Handlungs- und Deutungsmuster. Muster, die nicht in der Frühen Neuzeit aufhören zu existieren, auch wenn uns der Geisterglaube heute reichlich absurd vorkommt.