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Reformation 500
Von der Freiheit des Künstlermenschen

Allein die Schrift, dozierte Luther. Da hatte es das Bild schwer. Doch die Bilderfeindlichkeit ist nur eine Seite der Reformation. Die andere ist ihre befreiende Wirkung. Und die ist bis heute sichtbar.

Von Klaus Englert | 23.08.2017
    Der "Mönch am Meer" und "Abtei im Eichwald" von Caspar David Friedrich aus dem Besitz der Alten Nationalgalerie.
    Der "Mönch am Meer" von Caspar David Friedrich (vorne) hat eine metahysische Bedeutung (imago / Wolf P. Prange )
    Der reformatorische Bildersturm ereignete sich in einer Schwellenzeit, in der die Macht des religiösen Bildes abrupt zu Ende ging. Wie so oft in der Geschichte vollzog sich auch hier der Übergang gewaltsam. Dabei richtete sich die Gewalt weniger gegen die Repräsentanten der Kirche, die man eigentlich treffen wollte. Die Angriffe zielten auf die Gemälde und Skulpturen, die die aufgehetzte Meute in den Kirchen vorfand.
    Es war kein Zufall, dass der Bildersturm ausgerechnet 1522 im Zentrum der Reformation ausbrach, in Luthers Wirkstätte Wittenberg. Hier wurden die Ausschreitungen vom Theologen und Reformator Andreas Karlstadt öffentlich angeheizt.
    Auch anderswo kam es zu Übergriffen auf Kircheneigentum. 1529 wohnte der Humanist Erasmus von Rotterdam einem Bildersturm in Basel bei. Über den Massentumult schrieb er an seinen Freund Willibald Pirckheimer:
    "Als man beschloss, gegen die heiligen Bilder zu wüten, rottete man sich auf dem Platz vor dem Münster mit Brechstangen zusammen und trieb dort nächtelang sein Unwesen, errichtete auch ein gewaltiges Feuer, das allen Furcht einjagte. Von den Skulpturen ist weder in den Kirchen noch in den Vorhallen irgendetwas zurückgeblieben. Was gemalt war, wurde mit weißer Tünche überdeckt. Weder Kostbarkeit noch Kunstfertigkeit bewirkten, dass irgendetwas verschont wurde."
    Ein Porträt von Desiderius Erasmus von Rotterdam von Hans Holbein d.J. (1530). 
    Erasmus von Rotterdam war 1529 in Basel Zeuge eines Bildersturms. (picture alliance / dpa)
    Die führenden Köpfe der Reformation standen dem Wüten der Bilderstürmer im Allgemeinen wohlwollend gegenüber. Allen voran der Theologieprofessor Andreas Karlstadt, der 1522 in einem theologischen Manifest zur "Beseitigung der Bilder" aufrief. Der wichtigste Propagandist der Wittenberger Reformation war in seiner Wortwahl unmissverständlich:
    "Bildwerke sind gräulich, und daraus folgt, dass auch wir gräulich werden, wenn wir sie lieben. Die Künstler sind als Erzeuger der Bilder zu nichts nutze und verstehen davon nichts."
    Der Schweizer Zwingli war zwar weniger fanatisch, bewirkte aber, dass 1524 die Bilder aus den Züricher Kirchen entfernt wurden - wenngleich ohne Gewaltanwendung.

    Das Wort, das Wort, das Wort
    Einflussreicher war zweifellos der Franzose Calvin, der den neuen Glauben im gesamten westeuropäischen Raum verbreitete und seine Macht bis nach Schottland und Skandinavien ausdehnte. Mit Luther stimmte er in der Beurteilung der Offenbarungsreligion überein. Für beide Theologen war Gottes Wort zentral. Nur das Wort, der reine Geist, sollte verehrt und angebetet werden.
    Doch anders als sein Wittenberger Kollege warnte Calvin eindringlich vor den religiösen Bildwerken:
    Die Kunst führt dazu, "Gottes Majestät zu erniedrigen, indem man den Leblosen in körperlichem Stoff, den Unsichtbaren in sichtbarem Bildwerk, den Geist in seelenlosem Gegenstand und den Unermesslichen in einem Stück geringen Holzes darstellt."
    Es gibt wahrscheinlich für die Reformatoren keinen zentraleren Bibel-Vers als den Anfang des Johannes-Evangelium: "Im Anfang war das Wort, und das Wort war bei Gott, und Gott war das Wort." Diese Selbstpräsenz Gottes im Wort hallt in den Äußerungen der Reformatoren wider. Dabei ist die logozentrische Aufwertung des Wortes ja nur die Kehrseite der Abwertung bildender Kunst. Denn die Kunst hat es bekanntlich mit dem Körperlichen, dem Stofflichen, dem Sinnlichen zu tun. Das ist eine der mächtigsten metaphysischen Stränge, die sich seit Platon durch die gesamte Geschichte von Philosophie und Theologie ziehen.
    Luther wertet die bildende Kunst auf - unfreiwillig
    Zweifellos bildet Luther unter der Riege der Reformatoren eine Ausnahme. Das machte ihn für Künstler und Kunsthistoriker interessant.
    Aus diesem Grund veranstaltete die Hamburger Kunsthalle im Lutherjahr 1983 – zum 500. Geburtstag des Reformators – die Ausstellung "Luther und die Folgen für die Kunst". Die zentrale These des Kurators Werner Hofmann lautete: Luther, der die Bilder abzuwerten versuchte, bereitete zugleich den Boden für ihre beispiellose Aufwertung.
    Luther betritt die Wittenberger Bühne in einer Zeit, in der die Druckerpresse bereits verbreitet war, und die politischen und theologischen Machthaber die Vorzüge der Bildpolitik entdeckten. Lucas Cranach stellte in seiner florierenden Werkstatt massenweise Luther-Graphiken her, um das Bild des Reformators in die Öffentlichkeit zu bringen und sein Ansehen zu steigern. Mit ihnen sollten die Ideen der Reformation unters Volk zu gebracht werden. So gab es seit Gutenbergs Erfindung der Drucktechnik einen schwunghaften Anstieg profaner Bilder.
    Holzschnitt Martin Luthers von 1546, angefertigt vom deutschen Renaissance-Maler Lucas Cranach der Ältere.
    Luther nutzte das neue Massenmedium der Druckpresse, um die Idee der Reformation unter das Volk zu bringen. (imago / United Archives International)
    Und dennoch: Die Traditionswelt religiöser Bilder, repräsentiert durch Kirche und Kloster, blieb übermächtig. Hergestellt wurden zwei Arten von Bildern, die Luther streng unterschied:
    Die einen Bilder – die Kultbilder, die sich an die Stelle Gottes setzen – verbietet Gott im Alten Testament. Von der Macht dieser religiösen Bilder, vor denen die Gläubigen niederknieten, möchte Luther seine Zeitgenossen befreien. Als der reformatorische Säuberungsfuror beendet war, blickte man in den Kirchen der Reformierten auf leere Wände. Sie zierten keine vermeintlich "abgöttischen" Bilder mehr. Der leere Kirchenraum zeugte seither von einer gereinigten, entsinnlichten Religion, die einzig auf das Wort schwört.
    Doch die anderen Bilder möchte Luther ausdrücklich zulassen. Nämlich die Bilder, die er dem profanen Bereich zuordnet: Lehr- und Merkbilder der Wortverkündigung, ebenso Porträts und Naturdarstellungen. Mit diesen Bildern entstand allmählich ein neues Bildverständnis.
    "Das Anbeten ist verboten und nicht das Machen"
    Der Wittenberger Reformator stellte heraus, dass allein der Gebrauch der Bilder über ihren Stellenwert entscheidet. Luther wollte nicht den protzigen Reichtum der Papistenkirche, der vom Glauben des Einzelnen ablenkt. Er befreite die Kirchen von ihren Kultobjekten und stellte die Kunst in den Verantwortungsbereich der Einzelnen. In seinen Schriften urteilt er:
    "Um die Bilder ist es so getan, dass sie unnötig, aber frei sind. Wir mögen sie haben oder nicht haben. (…) Es ist möglich, dass ein Mensch mag sein [sic], der die Bilder auf rechte Weise gebrauchen kann. (…) Das Anbeten ist verboten und nicht das Machen. (…) Wo aber Bilder oder Säulen gemacht werden ohne Abgötterei, da ist solches Machen nicht verboten. (…) Denn ich meine, es ist kein Mensch, der nicht den Verstand hätte und sagte: Das Kruzifix, das da steht, ist mein Gott nicht, denn mein Gott ist im Himmel. Es ist nur ein Zeichen" (Luther, zit.n. Belting).
    Als Werner Hofmann die Hamburger Luther-Ausstellung organisierte, stellte er die These auf: Die Geburt der Kunst entstand aus der Zerstörung des kultischen Bildes.
    Für die Künstler hatte das zunächst tief greifende Folgen. Als sich 1525 der neue Glauben auch in Nürnberg durchsetzte, ging Albrecht Dürer im Großen Rat der Stadt auf Distanz zu den meisten Reformatoren. Denn Dürer, der vehement den Kunstcharakter des Bildes verteidigte, sah sich plötzlich in seiner Existenz bedroht. Die kirchlichen Auftraggeber blieben weg.
    Der neue Glaube und die reformatorische Bildpolitik setzten sich mehr und mehr durch. Dennoch war das keine unangefochtene Entwicklung. Das Terrain war bereitet für endlose Kämpfe.
    Auf der einen Seite standen die reformatorischen Städte und Länder – auf der der anderen Seite die Front des katholischen Klerus und der Kaiser des Heiligen Römischen Reichs.
    Blick auf die Silbermann-Orgel im Dom Freiberg (Sachsen). Seit 1714 klingt das barocke Meisterwerk Gottfried Silbermanns nahezu unverändert.
    Die üppige Bildsprache des Barock war ein wichtiger Aspekt der Gegenreformation. (picture alliance / dpa / Hendrik Schmidt)
    Der Schmalkadische Krieg, den Kaiser Karl V. gegen den protestantischen Schmalkadischen Bund anzettelte, und der "Aufstand der Niederlande" führten zur Spaltung der Niederlande: Die nördlichen Niederlande befreiten sich von den katholischen Habsburgern und bekannten sich zur neuen Religion. Die großen holländischen Maler der Kirchenräume und Wohn-Interieurs waren vornehmlich in den neuen calvinistischen Zentren, in Amsterdam, Den Haag und Delft beheimatet.
    Anders das südlich gelegene Antwerpen, das der spanischen Krone untertan blieb. Hier florierten der Barock und die Malerei von Rubens. Mit anderen Worten: Die Kunst der Gegenreformation.
    Für den Bielefelder Kunsthistoriker Johannes Grave hat der Greifswalder Caspar David Friedrich als erster mit aller Deutlichkeit den Kunstcharakter seiner Bilder unterstrichen.
    "Friedrichs Bilder sind immer hochgradig komponiert. Die Bilder geben sich sofort als flächige, begrenzte, bemalte Dinge zu erkennen. Es ist immer klar, dass hier ein Mensch Hand angelegt hat, und in einem Zitat stellt er das auch ganz klar, indem er sagt: ‚Ein Bild muss sich als Menschenwerk zu erkennen geben und darf nicht als die Sache selbst täuschen wollen.’ Darauf legt Friedrich großen Wert, weil er sagt, wir dürfen uns nicht anmaßen, hier mit Gott und seiner Schöpfung konkurrieren zu wollen."
    Der Tetschener Altar appelliert an die Vernunft
    Caspar David Friedrich beharrte auf seiner künstlerischen Freiheit, wenn er religiöse Motive malte. An der Epochenschwelle um 1800 etablierte sich die Hermeneutik der Kunst, die den Ort des Bildes neu bestimmte.
    Im Mittelalter war die Ikone die Präsenz des Heiligen im Werk. Vor ihr knieten die Gläubigen nieder und beteten sie an. Friedrichs berühmter Tetschener Altar stellt deutlich eine Kehrtwende dar: Anfangs als Altarbild für die Hauskapelle des Schlosses Tetschen entworfen, wanderte es danach in die Schlafräume der Gräfin Thun und schmückte später als Kopie die Privaträume zahlloser protestantischer Haushalte.
    Am Tetschener Altar wird noch etwas anderes deutlich:
    "Tatsächlich ist der Tetschener Altar ein religiöses Bild das offenkundig nicht nur darin aufgehen kann wie ein x-beliebiges Exemplar von religiöser Kunst oder einer Kreuzigungs-Darstellung zu funktionieren. (…) Es ist ganz klar: Hier wird kein Christus auf Golgatha gezeigt, sondern hier wird ein Bildwerk gezeigt auf einem Berg. Dieses Kreuz wird auch noch von uns weggedreht gezeigt."
    Friedrich wählt ja nicht – wie bei früheren Malern üblich – die Frontalansicht des Gekreuzigten. Stattdessen werden Bergkuppe und Nadelbäume asymmetrisch angeordnet und das Kreuz verschwindet aus der Mittelachse. Johannes Grave folgert daraus:
    "Es geht auch hier darum, dass uns Gott zwar erscheint in gewissem Sinne, aber hochgradig vermittelt. Ich glaube, letztendlich ist die Pointe dieses Bildes eine zutiefst lutherische Einsicht, nämlich dass sich Gott uns nur dann zeigen kann, wenn er sich uns entzieht."
    Die Komposition des Tetschener Altars brach mit den Grundlagen des traditionellen religiösen Bildes: Sie appellierte an die Vernunft des Betrachters, sich mit der Bildhaftigkeit des Bildes auseinanderzusetzen. Also mit dem Bild, dem signans, und nicht mit dem Dargestellten, dem signatum. Der Betrachter sollte sich nun mit Regeln konfrontieren, die nicht die der Religion, sondern der Kunst sind.
    Der Mönch sieht mehr
    Luthers Liberalität hat folglich nicht nur einen Wandel in der Religion, sondern auch in der Kunst herbeigeführt. Der Wittenberger Reformator hat den Gläubigen – nicht das Dogma einer scheinbar unfehlbaren Kirche - ins Zentrum der Religion gestellt. Er sprach dem Einzelnen eine größere Verantwortung zu, um sein Verhältnis zu Gott zu klären. Ähnlich bewegte Luther die Menschen dazu, sich von der Macht der Bilder zu befreien:
    "Der Betrachter vor dem religiösen Bild im Protestantismus ist eben auch gefordert, überhaupt erst in der Auseinandersetzung mit diesem Bild, in der Betrachtung dieses Bildes seinen Sinn zu entfalten und zur Geltung zu bringen. Wohingegen das liturgisch eingebundene Bild im Katholizismus eher eines ist, das qua Präsenz und Einbindung in die Liturgie funktioniert."
    Caspar David Friedrich malte 1809 ein Bild, das wenig später in die Jahresausstellung der Königlichen Akademie aufgenommen wurde. Für den 35-jährigen Maler war das Ereignis, verbunden mit dem Ankauf des Bildes durch den Preußischen König, der eigentliche Durchbruch. Selbst Schriftsteller wie Achim von Arnim, Clemens Brentano und Heinrich von Kleist, die die Berliner Ausstellung besuchten, waren vom Mönch am Meer fasziniert.
    Der zwergenhaft wirkende Mönch erscheint wie versunken in der dramatischen Naturlandschaft. Es dominieren die mächtigen Dünen, das bewegte Meer und der Himmel, der fast die gesamte Bildfläche einnimmt. Der Mönch am Meer, zusammen mit der ebenfalls ausgestellten Abtei im Eichwald, lädt zu einer bislang ungeahnten religiösen Erfahrung ein:
    "Hier werden ganz gezielt Bilder von Natur gezeigt, und diese Bilder von Natur können am ehesten dazu dienen, dann wiederum zur religiösen Erfahrung zu Gott hinzuführen. Aber immer nur dann, wenn sich der Betrachter bewusst macht, vor einem Bild zu stehen."
    Die Dominanz der Farbflächen und die Übermacht der Naturelemente vermitteln dem Betrachter das Gefühl von Verlassenheit und Ausgeliefertsein. Das, was uns derart fesselt, kann religiös-metaphysisch gedeutet werden. Jedenfalls fordern die Friedrich’schen Figuren, die fast allesamt Schauende sind, den Betrachter auf, es ihnen gleichzutun.
    Friedrichs Mönch am Meer, für Johannes Grave an der Schwelle zur abstrakten Malerei, ist ohne die aktive Teilhabe des Rezipienten, ohne eine Hermeneutik der Kunst nicht wirklich zu erfassen.
    Zu den aktiven Betrachtern gehörte damals auch Heinrich von Kleist, der das Bild kommentierte:
    "Kleist kommt zu der monströsen Metapher: Es sei einem vor diesem Bild, als wenn einem die Augenlider weg geschnitten wären. Was sich in dieser Metapher zeigt, ist, dass Kleist meint, das Bild tut ihm Gewalt an. Es tut ihm aber nicht Gewalt an, indem es etwas Gewalttätiges darstellt, sondern es tut das in der Darstellungsweise. Er wird mit dem Bild einfach nicht fertig. Weil sich das Bild immer als Artefakt, als ein Gegenstand an der Wand zu erkennen gibt und trotzdem ihn fesselt und etwas mit ihm macht."
    Der Bielefelder Kunsthistoriker zieht daraus die Schlussfolgerung:
    "Ich glaube, diese Form des Bilddenkens ist ziemlich typisch, auch für die moderne Kunst. Da kann man schnell die Linien ziehen in Richtung der Erfahrungen, die wir vor Bildern des abstrakten Expressionismus, vor Bildern von Barnett Newman oder Jackson Pollock oder Mark Rothko haben. Die Baustelle, an der Friedrich gearbeitet hat, ist eine, die der Baustelle der abstrakten Kunst sehr ähnelt. Da wird viel darüber nachgedacht, was Kunst überhaupt kann. Bilder werden zum Austragungsort eines Nachdenkens über Bilder."
    Das Bauhaus und der Bildersturm
    Und wie setzte sich die, von Werner Hofmann beschriebene "Geburt der Moderne aus dem Geist der Moderne" fort?
    Es lässt sich beobachten, dass sich die moderne Kunst vornehmlich in den protestantischen Landesteilen Ostdeutschlands entwickelte. Das Bauhaus unter Walter Gropius wurde nicht nur zum Synonym für die Architektur-Avantgarde, es stand auch für das Einüben eines freien Geistes und einer freien Kunst.
    Das Gemälde "Bauhaustreppe" (1932) in der Ausstellung "Oskar Schlemmer - Visionen einer neuen Welt" in der Stuttgarter Staatsgalerie.
    Auch die Bauhaus-Künstler beschritten in der Kunst neue Wege gegen tradierte Kunstformen. (picture alliance / dpa /Bernd Weißbrod)
    Auch das Bauhaus startete vor nahezu hundert Jahren einen Angriff auf die tradierten Kunstformen. Bauhaus-Direktor Walter Gropius ermunterte die Studenten dazu, in den ästhetischen Gefilden zu neuen Ufern aufzubrechen. In Dessau wurde der akademische Kanon verabschiedet, die künstlerischen und architektonischen Dogmen erschüttert.
    So wie sich Caspar David Friedrich um 1800 in Dresden ein neues Farb- und Formen-Repertoire erschloss, so erkundeten die Bauhaus-Studenten Wege in einem neuen künstlerischen Kosmos. Für Walter Gropius war das die oberste Bauhaus-Maxime:
    "So dachte ich, ich müsste eine Schule gründen, die aber nicht davon ausging, einen Stil oder ein Dogma oder etwas bestimmt Festes zu erreichen, sondern eine lebende Bewegung, die aus den Gegebenheiten der Zeit heraus, Lösungen fand für unser tägliches Leben, vom einfachsten Ding bis zum hohen Kunstwerk, alles aus einer Einheit heraus. Mir wurde ferner klar, dass nur der unabhängige Anmarsch zu all diesen Fragen der richtige ist, das wir im Bauhaus überall durchgeführt haben, nämlich dass wir alle Imitationen im Studenten zerstörten und ihn dazu führten, dass er nur von sich aus einen neuen Zugang zu allen Fragen und Lösungen, die er bringen sollte, fand."
    Martin Luther verhalf der Kunst, sich aus den Fesseln der Religion zu befreien. Und so entstand mit der Zeit der autonome Künstler. 400 Jahre später vollendeten Martin Gropius und das Bauhaus diese Entwicklung.