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Reformation gemeinsam feiern?

2017 wird es genau 500 Jahre her sein, dass Martin Luther seine 95 Thesen gegen den Ablass verkündete. Die Zeit bis zum Jubiläum ist ein guter Anlass, den ökumenischen Dialog voranzutreiben. So sollen die 95 Thesen Luthers durch Theologen beider Konfessionen kommentiert werden.

Von Sandra Stalinski |
    Das Wort "feiern" geht offiziellen Vertretern der katholischen Kirche nur schwer über die Lippen, wenn sie an das Reformationsjubiläum 2017 denken. Kurienkardinal Kurt Koch, Präsident des päpstlichen Rates zur Förderung der Einheit der Christen und damit so etwas wie der Ökumeneminister des Vatikans, spricht lieber von "gedenken":

    "Wir haben ein bisschen Probleme mit dem Begriff des Feierns. Wir haben überhaupt kein Problem, dass wir dieses Ereignis gemeinsam begehen. Aber die Reformation hat natürlich neben vielem positiven, was sie gebracht hat, auch zum Bruch mit der Kirche geführt, hat verhängnisvolle Konsequenzen gehabt für die Kirche und die Gesellschaft in Europa. Und deswegen müsste in erster Linie eine Selbstbesinnung stattfinden, was machen wir heute mit dieser Reformation gemeinsam und wie gehen wir in die Zukunft."

    Für Koch steht fest: Katholiken und Protestanten tragen Schuld daran, dass es zur Kirchenspaltung gekommen ist. Zu Beginn des Reformationsgedenkens sollte deshalb ein gemeinsames Schuldbekenntnis stehen. Das ist immerhin versöhnlicher als noch vor ein paar Monaten, als der Vatikan-Vertreter jedes Reformationsfest ablehnte. Schließlich, so Kochs damalige Überzeugung, könne man ein sündhaftes Geschehen nicht feiern.

    Wie genau Katholiken das Reformationsjubiläum begehen sollen, ist auch für den katholischen Theologen Wolfgang Thönissen eine Herausforderung. Thönissen ist Direktor des Johann-Adam-Möhler-Instituts für Ökumenik:

    "Wir können es gemeinsam bedenken, in einer Memorialkultur, also einer Erinnerungskultur. Wir können die Folgen, die davon ausgegangen sind bereinigen. Die Folgen heißen, dass wir uns gegenseitig ausgeschlossen haben, dass wir uns gegenseitig nicht mehr wahrgenommen haben, diese Folgen, die können wir beseitigen."

    Sein Institut, das der theologischen Fakultät Paderborn angegliedert ist, soll die Forschung auf dem Gebiet der ökumenischen Theologie vorantreiben: Mit Blick auf die 500. Wiederkehr der Reformation ist im Jahr 2014 ein Lutherkongress geplant. Außerdem sollen die 95 Thesen Luthers durch Theologen beider Konfessionen kommentiert werden. Die Reformationsdekade sei ein guter Anlass, so Thönissen, den ökumenischen Dialog voranzutreiben. Sie biete die Chance, gemeinsam zurückzublicken und sich intensiv mit den Ursachen der Spaltung auseinanderzusetzen. Thönissen ist überzeugt, dass sich dann eine Einsicht von ganz alleine einstellen wird:

    "Eine Einsicht darin, dass Reformation und Reform zwei Aspekte sind, die sich nicht prinzipiell ausschließen müssen. Das Ergebnis der Reformation als Spaltung müssen wir sicherlich kritisch bedenken, aber die darin steckende Herausforderung als Reform des kirchlichen Lebens, das bleibt ein gemeinsamer Aspekt."

    Ecclesia semper reformanda: Die Kirche bedarf immer der Erneuerung. So hat es das Zweite Vatikanische Konzil formuliert. Gerade deshalb ist auch dem evangelischen Kirchenhistoriker Thomas Kaufmann von der Universität Göttingen der Blick zurück wichtig. Die Katholische Kirche habe von der Reformation profitiert. Beispielsweise indem sie ein unverkrampftes Verhältnis zur Volksbibel entwickeln konnte, ein wichtiges Anliegen Luthers – neben seinem Kampf gegen den Ablasshandel.

    "In der Hinsicht sind durch die Reformation Anstöße innerhalb der römischen Kirche wirksam geworden, auch die Missbräuche im Ablasswesen sind dann im Trienter Konzil eingegrenzt worden etc. Ohne die Reformation hätte die katholische Kirche die Profilschärfung nicht erreicht, die ihr überhaupt die Fähigkeit verliehen hat, als glaubwürdige Institution zu überleben."

    Luther habe die Spaltung nicht gewollt, im Gegenteil, er habe seine Kirche geliebt und sie reformieren wollen. Deshalb sieht Kaufmann die Evangelische Kirche auch klar in der Tradition der römisch-katholischen Kirche. Das Selbstbild, das manche evangelische Christen von ihrer Kirche hätten, stimme nicht:

    "Dass man den Reformationstag als so eine Art Geburtstagsfest der eigenen Kirche feiert, was ein völliges Missverständnis ist. Unsere Kirche beginnt mit Pfingsten, also die 1500 Jahre vorher gehören auch zu unserer Geschichte dazu. Und auf katholischer Seite ein ähnliches Bild, das dadurch gekennzeichnet ist, dass man sagt, was wollt ihr eigentlich: Dieses kleine junge Kirchlein gegenüber unserer reichen Tradition, 2000 Jahre, und ihr so ein verworrener Haufen."

    Geht es nach Kaufmann, dann muss der ökumenische Dialog heute ganz anders geführt werden. Bisher verfolge man vor allem einen dogmatischen Ansatz: Lehrtexte würden gegenseitig gelesen und man analysiere, ob die damaligen Verwerfungen noch immer zuträfen. Doch das sei fruchtlos, so der protestantische Theologe. Er plädiert für eine Verständigung über die gemeinsame Kirchengeschichte.

    "Ich hab zum Beispiel hervorragende Erfahrungen mit einer ökumenischen Kirchengeschichte, die wir mit evangelischen und katholischen Kollegen herausgegeben haben, gemacht. Da dachten wir zunächst, es wäre sinnvoll, spezifische konfessionelle Perspektiven wechselseitig sich beleuchten zu lassen und wir haben nach und nach gemerkt, wie deutlich in einer wissenschaftlichen Bearbeitung diese konfessionellen Perspektiven verschliffen werden."

    Während sich auf Ebene der Kirchenleitungen im ökumenischen Dialog letztlich nur wenig bewegt, könnten solche kleinen Projekte der gesamten Ökumene neue Impulse geben. In jedem Fall möchte Wolfgang Thönissen vom Möhler-Institut in der Reformationsdekade den Blick darauf richten, was bereits gemeinsam möglich ist: Die Bibel lesen und das Evangelium verkünden; Ehen zwischen Protestanten und Katholiken schließen, aus denen Kinder hervorgehen, die kaum noch Probleme mit den unterschiedlichen Konfessionen ihrer Eltern haben.

    "Vielleicht gelingt es uns ja sogar so etwas wie einen ökumenischen Katechismus zu gestalten, wo wir einfach zeigen, wir glauben an den selbem Gott, wir feiern im Angesicht dieses einen Gottes gemeinsam Gottesdienste. Und wir haben konkrete Vorschläge, wie Menschen heute miteinander umgehen können. Gemeindepartnerschaften gibt es ja schon. Aber das könnten wir ja noch viel weiter beleben und dazu Anstöße geben."