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Reformation heute
"Wer fromm ist, muss auch politisch sein"

Die Kirchen in Deutschland wollen in der Gesellschaft etwas bewegen, Einfluss auf die Politik nehmen. Und sie fragen sich: Welche Impulse liefert dazu der 500. Geburtstag der Reformation im kommenden Jahr? Darüber sprachen in der Evangelischen Akademie Tutzing unter anderem die Vorsitzenden der beiden großen christlichen Kirchen.

Von Burkhard Schäfers |
    Kardinal Reinhard Marx und der EKD Ratsvorsitzende Heinrich Bedford-Strohm halten gemeinsam das Wort zum Jahr 2017 in die Höhe.
    Kardinal Reinhard Marx und der EKD-Ratsvorsitzende Heinrich Bedford-Strohm (imago stock&people/Sven Simon )
    Es ist eine zentrale Forderung von Heinrich Bedford-Strohm, dem Ratsvorsitzenden der Evangelischen Kirche in Deutschland: Wer fromm ist, müsse auch politisch sein. Die Reformation habe die Verantwortung des Einzelnen für die Gesellschaft betont.
    Beford-Strohm sagt, "dass das Nächstenliebe-Gebot am Ende einen universalen Horizont hat und wir nicht unseren privaten Glauben einfach nur leben können. Warum Kirche eigentlich nur öffentliche Kirche sein kann."
    Kirche muss ethische Fragen in den politischen Diskurs einbringen
    Die Reformation in die Gegenwart übertragen bedeute, Demokratie und Zivilgesellschaft mitzugestalten. Und zwar in drei Schritten, sagt der EKD-Ratsvorsitzende. Da sei zunächst die aufklärerische Funktion: Kirche müsse ethische Fragen in den politischen Diskurs einbringen. Als zweites die orientierende Funktion: Also konkret darüber sprechen, was aus kirchlicher Sicht in Ordnung ist – und wo die Gesellschaft Grenzen überschreitet. Etwa in Fragen der modernen Medizin oder wenn es um militärische Einsätze geht. Drittens habe öffentliche Theologie eine Politik ermöglichende Funktion, etwa indem kirchliche Repräsentanten Politiker beraten. Es ist durchaus umstritten, inwieweit sich Kirche in die Politik einmischen sollte, aber Heinrich Bedford-Strohm hat dazu eine eindeutige Position:
    "Ich stehe 100 Prozent dazu, dass wir als Kirchen uns auch bemühen, denjenigen, die politische Verantwortung tragen, Hinweise zu geben, die ihnen für ihre täglichen politischen Entscheidungen sehr konkret helfen können. Und uns nicht nur als moralische Mahner, die irgendwo in einer anderen Sphäre angesiedelt sind, und sich selbst womöglich damit noch erhöhen – sich so zu verstehen."
    "Es geht erstmal darum, viele Spielräume zu eröffnen"
    Der oberste Repräsentant der evangelischen Kirche in Deutschland legt die Messlatte hoch für seine eigenen Leute. Sie sollten keinen wolkigen Kirchensprech pflegen, sondern zweisprachig unterwegs sein: theologisch fundiert und zugleich in den Worten des säkularen Diskurses. Einig ist er sich dabei mit seinem katholischen Kollegen Reinhard Kardinal Marx, dem Vorsitzenden der Deutschen Bischofskonferenz. Der ist wie Bedford-Strohm Sozialethiker und könnte bei manchem, was er übers Wirtschaftssystem sagt, glatt als Gewerkschafter durchgehen.
    "Nehmen wir etwa die Tarifautonomie: Dazu braucht’s starke Gewerkschaften, starke Unternehmensverbände, die auf Augenhöhe miteinander arbeiten."
    Marx blickt skeptisch auf die wirtschaftliche Lage in Europa, insbesondere auf die hohe Jugendarbeitslosigkeit in den südlichen Ländern.
    "Kann man wirklich glauben, ein Wirtschaftskonzept, oder ein Konzept wie wir es im Moment in Europa fahren, das so viel Ungleichheit hervorruft, erst Recht gegenüber der Jugend, könnte von mir akzeptiert werden? Ist doch nicht möglich."
    "Es passiert, dass Leute den Gottesdienst demonstrativ verlassen"
    In der Asylfrage pflegen besonders die Regierungen Polens und Ungarns nationalistische Ressentiments. Für Religionsvertreter dort werde es zunehmend schwierig, mit abweichenden Positionen in die Gesellschaft hineinzuwirken, sagt Tamás Fabiny, evangelisch-lutherischer Bischof aus Budapest:
    "In der heutigen ungarischen Gesellschaft ist es nicht so einfach, die Meinung der Kirche immer hören zu lassen. Die Regierung hat eine eindeutige, ganz scharfe Meinung; und kritische Stimmen sind in den öffentlichen Medien wenig erlaubt. Das bedeutet, dass wir uns Wege suchen müssen, unsere Meinung, die oft eine sehr kritische Meinung ist, hören zu lassen."
    Was anderswo als selbstverständlich gilt, etwa dass die Diakonie Flüchtlingen hilft, habe die ungarische Kirche gespalten, sagt Bischof Fabiny:
    "Das war von vielen sehr positiv beurteilt, in der Kirche und in der Gesellschaft, aber viele Leute haben das wenig verstanden. Es passierte auch, dass – wenn ich darüber in der Kirche predige – manche Leute die Kirche verlassen, den Gottesdienst demonstrativ verlassen."
    Ob ein solcher Protest etwas zu tun hat mit der Reformation, auf welcher Seite Martin Luther heute stehen würde - das ist in Ungarn umstritten. Was bei hochkarätig besetzten Tagung der Evangelischen Akademie Tutzing nicht umstritten war: Die Reformation sei ein Beitrag zur Freiheitsgeschichte der Menschen, sagt Reinhard Kardinal Marx. Das eine heute Protestanten und Katholiken:
    "Die Freiheit kann ja nur sich entwickeln, wenn sie das Konzept einer verantwortlichen Freiheit vor Augen stellt. Freiheit und Verantwortung gehören zusammen. Freiheit ist nicht nur der Kampf, sich endlich zu befreien von jemandem, sondern Freiheit bedeutet, sich entscheiden für etwas."