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Reformation quergedacht
Die DDR-Umweltbewegung als Kind des Protestantismus

Saurer Regen, Smog, Waldsterben: Vokabeln, die es im offiziellen DDR-Deutsch nicht gab. Die Ersten, die im Realsozialismus auf die katastrophalen Umweltzerstörungen aufmerksam machten, waren Oppositionelle aus dem Umkreis der evangelischen Kirche. Im verantwortungsethisch grundierten Protestantismus fanden sie ein Podium.

Von Christoph D. Richter |
    "Ich bin zum Studium nach Weimar immer durch Leuna gefahren, da hat man weit gerochen, was für Umweltsünden da passieren ..."
    Erzählt der 56-jährige Magdeburger Wolfgang Wähnelt. Mit Vollbart und Sandalen sieht er aus, wie ein stil-echter Öko. Bereits Mitte der 80er-Jahre – also noch zu DDR-Zeiten – engagiert er sich in der kirchlichen Umweltbewegung. Später war er Mitglied im Neuen Forum, in Sachsen-Anhalt ist er ein Grüner der ersten Stunde. Und Wähnelt – früher Architekt, heute Künstler - hat die alten Zeiten noch sehr präsent in Erinnerung.
    "Bitterfeld war ja so was wie der Inbegriff, hier sind erhebliche Umweltsünden passiert. Die nicht nur in die Luft gegangen sind, sondern auch unsere Flüsse ganz massiv beeinträchtigt haben. Also in Magdeburg an der Elbe das roch man, dass der Fluss vergiftet war."
    Ein Industriegebiet Mitte der 60er-Jahre in der DDR
    Nicht nur in der Region um Bitterfeld gehörte die Belastung der Umwelt durch die Industrie zum DDR-Alltagsleben. (picture alliance / Klaus Rose)
    Saurer Regen, Smog und Waldsterben: Vokabeln, die es im offiziellen DDR-Deutsch nicht gab. Die Ersten, die im Realsozialismus auf die katastrophalen Umweltzerstörungen aufmerksam machten, waren Aktivisten aus dem Umkreis der evangelischen Kirche. Hintergrund war der sogenannte konziliare Prozess: Eine globale kirchliche Reformbewegung, dessen Leitlinien der Ökumenische Rat der Kirchen 1983 erstmals im kanadischen Vancouver formuliert hatte. Es ging um ein breites gesamtgesellschaftliches Umdenken. Der Fokus richtete sich zuallererst auf die weltweit existierenden Umweltzerstörungen. Aspekte, die in der DDR tabuisiert waren, daher auf fruchtbaren Boden fielen.
    "Durch die SED, durch die Partei, durch die staatlichen Stellen ist eine Meinung vertreten worden. Und da hatte vieles keinen Platz. Und das, das dort keinen Platz hatte, hat sich andere Räume gesucht. Und da gehörte ganz zuvorderst die Kirche mit dazu."
    Mit unangemeldeten Protestaktionen wie Fahrradcorsos oder Baumpflanzaktionen haben kirchliche Umweltgruppen über die erschreckenden Umwelt-Zustände in der DDR aufgeklärt.
    "Es gibt eine Weltzugewandtheit in der protestantischen Kirche. Und aus dieser Quelle speist sich das gesellschaftspolitische Engagement eines ganz bestimmten protestantischen Milieus in Ostdeutschland für Ökologie und Umwelt."
    So der Magdeburger Theologe David Begrich. Während in der alten Bundesrepublik, die Ökologie-Bewegung maßgeblich durch die Grünen getragen wurde, etablierte sich in der DDR eine eigenständige kirchliche Umweltbewegung mit dem christlichen Motiv: die Bewahrung der Schöpfung.
    "Die Rolle der Kirche besteht im Grunde da drin, dass sie so etwas wie ein Katalysator für die Ökologiebewegung in der DDR war."
    Während sich mit dem Bibelwort "Macht euch die Erde untertan" im Zweifelsfall auch schlimme Umweltzerstörungen rechtfertigen ließen – wurde in den späten 1970er-Jahren dann der Gedanke von der Christenpflicht zur Bewahrung der Schöpfung formuliert. Seitdem spielen Umweltaspekte im Protestantismus eine durchaus bedeutende Rolle. Insbesondere im Ostblock – also auch in der DDR - fiel das auf fruchtbaren Boden, da hier die Umweltzerstörungen staatlicherseits verheimlicht wurden.
    Ein Bogen von der Umweltbewegung zum Erbe der Reformation
    Die katholische Kirche dagegen spielte in der Ökologiebewegung der DDR eine untergeordnete Rolle. Das hatte nicht nur mit der vergleichsweise geringen Zahl von Katholiken im Land zu tun – sondern auch mit ihrem Selbstverständnis. Demnach sollte die Kirche nicht Teil des Systems sein und sich aus allem raushalten. Anders die Protestanten in Ostdeutschland. Für das Leben im Hier und Jetzt – also auch im Realsozialismus - haben protestantische Christen eine Verantwortungsethik entwickelt. Einer der Gründe, warum die evangelische Kirche in der DDR oppositionellen Umweltaktivisten einen Raum, ein Podium bot. Einer der zentralen Anlaufpunkte war die 1986 ins Leben gerufene Umweltbibliothek, die sich in den Kellern der Ostberliner Zionskirchgemeinde befand. Hier erschienen auch Untergrund-Zeitschriften, wie die "Umweltblätter".
    "Ich konnte nicht irgendwo hingehen und sagen: "Guten Tag, ich will mal eine Zeitung drucken". Sondern, die Drucklizenzen lagen in der Hoheit des Staates und wer jenseits davon was drucken wollte, der musste gucken, wo er das herkriegte. Und das war die Kirche."
    Wer den Bogen von der Umweltbewegung zum Erbe der Reformation schlägt, liege nicht falsch, sagt der frühere DDR-Umweltaktivist und jetzige Magdeburger Grüne Wolfgang Wähnelt.
    "Ist durchaus eine Parallele. Weil die Reformation ja auch angefangen hat – gar nicht eine neue Kirche gegen die bestehende Kirche setzen wollte - sondern die bestehende Kirche reformieren wollte. Und die Umweltbewegung in der DDR wollte zu Beginn ja nicht die DDR abschaffen, sondern wollte hier erhebliche Veränderungen erreichen."
    Und wie Luther mit seinen Thesen eine gesellschaftliche Revolte auslöste, ergänzt Wähnelt noch, so haben eben auch die protestantischen Umweltaktivisten eine Revolte, einen Umbruch in der DDR eingeläutet.