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Reformation quergedacht
"Luther hat gewisse Legenden über sich kultiviert"

Luther sei auch ein Biograph in eigener Sache gewesen und habe sehr stark manipulativ von sich selber gesprochen, sagte der Theaterautor John von Düffel im Dlf. Luther habe zu den ersten Populisten gehört, die es geschafft hätten, ganz große Massen zu bewegen.

John von Düffel im Gespräch mit Michael Köhler |
    Michael Köhler: In unserer Themenwoche "Luther quergedacht" hören wir den Dramatiker und Dramaturgen John von Düffel. Er ist seit 2009 Dramaturg am Deutschen Theater Berlin. Schon für seinen Debütroman "Vom Wasser" aus dem Jahr 1998 erhielt er Auszeichnungen. Seine Bühnenadaptionen der "Buddenbrooks" von Thomas Mann oder Esther Vilars "Der Dressierte" sind große Theatererfolge. In Münster wird sein Stück "Martinus Luther - Anfang und Ende eines Mythos" gespielt.
    In jeder Sprachgeschichte steht, dass Luthers Bibel-Übersetzung der Anfang des Deutschen als gemeiner Hochsprache ist. Beides ist für Sie wichtig. Die "ganze Heilige Schrift" und das Luther-Deutsch. Seit Schülertagen ist Ihnen das bekannt und vertraut.
    John von Düffel: Ja man kann sagen, dass die Erstbegegnung mit der Luther-Bibel für mich vor allen Dingen literarisch eine unheimliche Wuchterfahrung war, die Erfahrung von einer Sprache, die tatsächlich eine Drastik, eine Dramatik, eine Poesie auch hat. Und diese Kraft hat mich, gerade weil ich von Elternseite atheistisch aufgewachsen bin, doch sehr erwischt und ich war auf diesen Autor Luther als Kind und Schüler schon sehr gespannt.
    Köhler: Wir haben Sie eingeladen unter anderem auch, weil gegenwärtig Ihr Schauspiel am Theater Münster heißt "Martinus Luther - Anfang und Ende eines Mythos", und da interessiert Sie der Augustiner-Mönch, der Bibel-Übersetzer, der Eiferer, der Revolutionär vielleicht. Und zu der ganzen Geschichte gehört auch, dass er krank war, verhärmt war, verbittert war. Also der Luther vor dem Luther und der Luther nach dem Luther?
    von Düffel: Ja, das ist genau der Ausschnitt, den ich gewählt habe, denn bei einer so großen, so umfassenden Figur mit so vielen Facetten ist natürlich die Frage, welchen Ausschnitt, welchen Zugang wählt man, um es auch auf der Bühne in irgendeiner Weise greifen und fassen zu können. Und in dem Fall dachte ich, es ist interessant zu schauen, wer war Luther, bevor er Luther wurde, wer ist dieser junge Mann aus einem aufstrebenden Haushalt, der sich von seinem Vater auf eine sehr extreme existenzielle Art und Weise lossagt, indem er sich diesem Mönchsorden verschreibt, und eigentlich auch vor einem Leben, das der Vater schon fertiggebaut hat, flüchtet, in eine Suche hineinflüchtet mit ganz, ganz vielen Unsicherheiten, mit ganz, ganz vielen Verzweiflungsmomenten und da noch nicht der Luther ist, den wir kennen, der da sagt, hier stehe ich, ich kann nicht anders. Das hat mich interessiert. Und dann natürlich der Luther, der aufhört, Luther zu sein, der teilweise paranoide, teilweise apokalyptische Anwandlungen hat, der sich als verkannter, als enttäuschter Mensch sieht, der mit sich selber hadert und auch Todesvisionen hat. Das war dann die Spannweite, die Klammer, in der ich dann versucht habe, Luther zu erzählen.
    "Es gibt diese Figur Luther, die er selber mit erschaffen hat"
    Köhler: Wenn man Ihnen so zuhört, merkt man schon, da spricht ein Dramaturg und Dramatiker und nicht ein Biograph, also ein Theatermann. Und das ist doch vielleicht auch der Antrieb von Menschen, sich mit Kultur vielleicht insgesamt zu befassen, nämlich Anfangsgeschichten vielleicht zu schreiben über Zustände, bei denen wir, paradox gesagt, selber nicht dabei sind. Und so was nennen wir in aller Regel Mythos. Wie einer wird, was er ist, oder wurde, was er noch nicht ist, ist das Ihr Interesse an Luther?
    von Düffel: Ja, es ist natürlich auch ein Interesse, was mit dem Thema Inszenierung, Selbstinszenierung zu tun hat. Luther hat ja gewisse Legenden über sich auch kultiviert. Er ist ja selber auch ein Biograph in eigener Sache gewesen und hat sehr stark auch manipulativ von sich selber gesprochen und gehörte ja gewissermaßen – das macht ja auch die Zweischneidigkeit dieser Figur aus – nicht nur zu den großen Religions-Neudenkern und Philosophen, wenn man so möchte, sondern er gehörte ja auch zu den ersten Populisten, die es geschafft haben, ganz große Mengen Massen zu bewegen, die gedankliche Bewegungen losgetreten haben, und das Medium, was neu war, was auf die Menschen am stärksten eingewirkt hat, nämlich das Druckmedium für sich und seine Gedanken zu nutzen. Das war natürlich etwas, was ich auch nach wie vor spannend finde, heutzutage zu untersuchen, inwieweit das eine Form des Populismus im positiven wie im negativen Sinne war.
    Köhler: Wenn ich Ihnen zuhöre, fällt mir eine Formel ein: Luther ist eine Bühne und die Bühne ist lutherisch.
    von Düffel: Ja natürlich gibt es diese Figur Luther, die er selber mit erschaffen hat. Es gibt natürlich auch dann die vielen Luthers, die dann im Nachhinein von anderen Instanzen und Institutionen inszeniert und beschrieben wurden. Es war ja schon zu seinen Lebzeiten so, dass um das Luther-Bild extrem gerungen wurde im Hinblick auf Heiligsprechung, aber auch Verteufelung. Vielleicht spricht dafür als ein Beispiel, dass etwa die Todesstunde von Luther auch ein Inszenierungsgegenstand war. Es ging darum, wie stirbt Luther. Stirbt er friedlich oder, um es mal hart zu sagen, verreckt er. Und natürlich hatten die Papisten großes Interesse daran, dass dieser Mann eines elenden Todes stirbt, als würde das Ende von Luther beweisen, dass dieser Mensch kein guter Mensch war. Insofern ist er natürlich sich in jeder Sekunde seines späteren Lebens sehr bewusst, dass er nicht nur ein Mensch, sondern auch eine historische Figur ist.
    "Das ist natürlich Fluch und Segen gleichzeitig"
    Köhler: Und er hatte eine gute PR-Agentur, Cranach und Zwingli beispielsweise. – Worauf ich hinaus will, weil ich ja mit Ihnen als Theatermann spreche und nicht als Religionshistoriker: Ist die Bühne nicht selber vielleicht eine lutherische Anstalt? In Heiner Müller und Lessing, in Kleist und Goethe, in Claus Peymann und in John von Düffel steckt immer auch ein bisschen vom Schauspieldirektor Luther?
    von Düffel: Ja, er ist natürlich vor allen Dingen erst mal ein Rhetoriker, jemand, der die Kraft der Sprache zu nutzen weiß. Er ist jemand, der einen radikalen Antrieb hat, das Extrem sucht, die extreme Zuspitzung. Das macht so einen dramatischen Impetus in seinen Texten auch aus. Ich hatte mal das Vergnügen, an einem evangelischen Kirchentag die Luther-Bibel neben einer, sage ich mal, politisch korrekten Luther-Übertragung zu lesen, und da weiß man, dass natürlich Luther das Drama ist, und das andere ist sozusagen vielleicht richtig oder richtiger, aber es ist natürlich auch schwach, unter einem theatralen Gesichtspunkt gesprochen.
    Köhler: In diesem Sinne wäre Luther der Shakespeare.
    von Düffel: Auf jeden Fall! Und er ist da auch kein Versöhner. Er ist eigentlich eher jemand, der wie ein Antagonist, wie auch ein Verstärker von Gegensätzen wirkt, und das ist natürlich etwas, was diese Figur einerseits spannend macht und andererseits natürlich auch problematisch.
    Köhler: Die Bergpredigt der Luther-Bibel, das ist starkdeutsch.
    von Düffel: Ja.
    Köhler: Ich sage Ihnen jetzt mal, was Sie mit Luther gemeinsam haben, und Sie widersprechen. Das ist Übersetzungsarbeit in einem ganz theatralen Sinne. Würden Sie zustimmen?
    von Düffel: Da würde ich zustimmen, ja.
    Köhler: Die Übersetzungsszene in Goethes "Faust" ist ja auch so eine Schlüsselszene der Frage, ob A der Mensch noch zu retten sei, B, ob Faust vielleicht Luther ist, und C, dass wir eigentlich immer übersetzen müssen, wenn wir leben, wenn wir sprechen und wenn wir Theater machen.
    von Düffel: Ja, das ist natürlich auch Fluch und Segen gleichzeitig. Ich finde, da der Fluch offenbar ist, dass wir immer das Gefühl haben, wir sind nur in einer wie auch immer größeren Nähe oder Annäherung an das Original, aber wir sind nie im Original, wir sind nie das Original selbst, das ist natürlich ein Schmerz. Auf der anderen Seite ist Übersetzen natürlich auch was Atmendes, was Freies, was sich im Leben immer wieder neu Anschmiegendes, und da finde ich, um mal für das Übersetzen eine Lanze zu brechen, die Möglichkeit, die darin liegt, dass wir zum Beispiel auch Gott sei Dank Shakespeare als englischen Autor und Dramatiker wahrnehmen und ihn immer wieder neu fassen, neu verstehen müssen und können, in einer neuen Übersetzung, neuen Übertragung, das ist natürlich eine große Chance. Und bei Luther kann man sich Luther nur dadurch übersetzen, dass man sich aus diesem gigantischen, selbst geschaffenen Werk die Punkte heraussucht, wo man denkt, das sind große Fragen, die auf heute auch antworten können.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.