Christiane Florin: Wird die weibliche Seite der Reformation übersehen oder ist es altmodisch sowas überhaupt zu fragen? Um darauf Antworten zu finden haben wir zwei Gäste eingeladen. Bei mir im Studio ist Bettina Bab, sie ist Historikerin und hat an der Ausstellung über die Geschichte der weiblichen Reforamtion im Bonner Frauenmuseum mitgewirkt. Herzlich Willkommen Frau Bab.
Bettina Bab: Vielen Dank für die Einladung.
Florin: Und ich begrüße, aus Hannover zugeschaltet, Hanna Jacobs, sie ist Vikarin in Selsingen in Niedersachsen und schreibt über ihren Alltag als Fast-Pfarrerin in der ZEIT Beilage Christ und Welt regelmäßig Kolumnen. Guten Tag, Frau Jacobs.
Hanna Jacobs: Guten Tag.
Florin: Frau Jacobs, fehlt Ihnen die weibliche Seite im Reformations-Jubeljahr oder reißt die Reformations-Botschafterin Margot Käßmann alles raus?
Jacobs: Mir fehlt vor allen Dingen die Frage, was die Reformation für mich heute bedeuten kann, unabhängig davon ob ich Mann oder Frau bin. Ich muss immer an diesen Spruch "Erlöst, vergnügt, befreit" denken, was ein schöner Slogan ist, der auch so ein bisschen die Feierlaune wiedergibt, in der wir Protestantinnen und Protestanten jetzt plötzlich sind. Wovon muss ich heute erlöst werden, wovon kann ich befreit werden und wie geschieht das reformatorisch - nur durch die Gnade, nur durch den Glauben, nur durch Christus? Das fehlt mir am meisten. Aber auch die Frauenperspektive. Es gibt für mich nicht so ein richtiges Vorbild als junge Frau – wie möchte ich als Frau in meiner Kirche sein?
Argula von Grumbach ermächtigte sich selbt
Florin: Frau Bab, was ist die weibliche Seite der Reformation? Nach welchen Kriterien haben Sie die vorgestellten Frauen ausgewählt?
Bab: Ich als theologischer Laie hatte von der Reformation nicht so viel Ahnung und erst recht nicht von den Frauen. Die Kirche ist schon eine männlich geprägte Institution und hat die Frauen meistens nicht so zu Wort kommen lassen. Insofern war ich einfach überrascht, dass es eine ganze Menge Frauen gibt. Wir stellen zum Beispiel Argula von Grumbach vor, die Protestschriften geschrieben hat zugunsten der neuen Theologie, und zwar an Bischöfe, an Universitätsprofessoren. Sie hat aufgerufen, dass die mit ihr diskutieren und hat sich selber auch ermächtigt, das Wort Gottes zu reden. Das fand ich schon sehr ungewöhnlich für die damalige Zeit und sehr spannend.
Florin: Also die disputierende Frau war sozusagen ein Beuteschema. Die Frau, die sich streitet.
Bab: Einmal diese Frau, ja. Und dann Katharina Zell, eine Pfarrfrau aus Straßburg, die ihren Mann sehr unterstützt hat in seinen Tätigkeiten als Seelsorger und die selber in Ausnahmesituationen auch wie ein Mann gepredigt hat.
Florin: Was mir auffällt, wenn es Ausstellungen oder auch Bücher zu einer weiblichen Seite irgendeines bedeutenden historischen Themas gibt: immer lautet die Formulierung "starke Frau". Warum muss es immer eine starke Frau sein?
Bab: Ich denke nicht, dass es immer eine starke Frau sein muss.
Florin: Aber es wird schon so etwas klischeehaft verwendet, das Wort.
Bab: Wir im Frauenmuseum haben den Anspruch, die Leistung von Frauen zu zeigen und auch Vorbilder für junge Frauen, Mädchen oder überhaupt für alle Interessierte. Das waren, denke ich, vielfach starke Frauen. Aber natürlich ist es genauso wichtig den Durchschnitt oder den Alltag zu zeigen. Und ich denke, beides kommt vor.
Prinzessinnen, die kämpfen
Florin: Frau Jacobs, Sie haben vorhin das Wort Vorbild benutzt. Was lernen Sie von starken Frauen aus der Geschichte?
Jacobs: Zum einen, dass man als Frau überhaupt nur durch Bildung eine Chance hatte, lange Zeit. Frauen, die in der Reformation Lieder gedichtet haben, Streitschriften verfasst haben, waren alles sehr gebildete Frauen. Ich lerne daraus, den Mut und die Leidenschaft für die Sache sich zu bewahren und zu sagen, was man denkt. Als ich mich damit beschäftigt habe, ist mir aufgefallen, dass es hauptsächlich adelige Frauen waren oder Frauen von einem gewissen Stand. Ich finde das ganz lustig, viele Mädchen träumen davon Prinzessin zu werden. Und das waren ja teilweise Prinzessinnen, aber welche, die ihre Ressourcen und ihre Macht eingesetzt haben für diesen neuen Glauben und die Menschen, die sich dem zugehörig fühlten, zu unterstützen.
Florin: "Vergnügt, erlöst, befreit", den Spruch haben wir vorhin schon gehört. Befreit – inwiefern war die Reformation ein emanzipatorisches Ereignis für Frauen?
Bab: Das Priestertum aller Getauften ist ein Kennzeichen der Protestantischen Theologie und das schließt natürlich Frauen mit ein. Und die neue Bewegung, die entstand, war nur möglich dadurch, dass viele Laien sie unterstützt haben. Dadurch, dass die Bibel auf Deutsch übersetzt wurde, war sie auch Frauen sehr viel zugänglicher als vorher und Frauen haben diese Chance ergriffen, genauso aber auch wie männliche Laien.
Florin: Aber es hat ja noch sehr lange gedauert von der Reformation bis zur ersten Frauenordination in der evangelischen Kirche, von der katholischen wollen wir mal ganz schweigen.
Bab: Mit der Etablierung der evangelischen Kirche war es Voraussetzung, dass ein Pfarrer studiert hatte, und da die Frauen erst im 20. Jahrhundert bei uns in Deutschland Zutritt zu Universitäten bekamen, ist es insofern logisch, dass die Frauen auch nicht Pfarrerinnen werden konnten.
Ein neuer Feminismus?
Florin: Frau Jacobs, Sie haben in einem Zeitungsartikel vor einigen Wochen geschrieben, es sei ein neuer Feminismus nötig in der evangelischen Kirche. Nun haben Sie doch schon so viel: Sie sind Vikarin, sie können Pfarrerin werden, Sie können Bischöfin werden, Sie können Präsidentin des Lutherischen Weltbundes werden – was wollen Sie denn noch?
Jacobs: Nach der letzten Bundestagswahl, nachdem nur 31 Prozent der Abgeordneten Frauen sind, habe ich mich gefragt, ob wir nicht erst einmal mit dem alten Feminismus etwas weiter kommen müssen, bevor wir einen neuen brauchen, weil ja anscheinend doch noch nicht so viel erreicht ist. Und ich glaube, dass es für die evangelische Kirche große Parallelen gibt zwischen dem, was wir in der Politik und Gesellschaft erleben und den Strukturen und Ämtern. Weil uns theoretisch als Frauen alle Ämter offen stehen und praktisch sie dann eben doch zu einem viel geringeren Grad von Frauen besetzt werden. Ich habe an drei Universitäten studiert, und meistens war es so, dass es eine Professorin gab auf fünf, sechs, sieben, acht, neun, zwölf männliche Professoren. Ich glaube, dass da zum einen Frauen besser gefördert werden müssen und zum anderen wir auch unsere Wahrnehmung hinterfragen müssen, sowohl gesellschaftlich als auch kirchlich, weil ich den Eindruck habe, dass viele junge Männer oft selbstverständlich denken: "ich kann das, ich bin dafür geeignet, ich bin in zehn Jahren eh Superintendent", und Frauen mehr sich fragen: "kann ich das wirklich und vielleicht wird mir das zu viel und bin ich dafür so geeignet", also da mehr mit sich hadern.
Florin: Was kann Argula von Grumbach, nehmen wir die jetzt mal als Beispiel, was kann die bei diesen jungen Männern, die so selbstgewiss sind, ausrichten? Interessieren die sich überhaupt dafür, Frau Bab?
Bab: In Museen gehen ja eh mehr Frauen als Männer und in ein Frauenmuseum erst recht. Natürlich sind Männer eingeladen.
Die Mutti-Typen und der neue Karl Barth
Florin: Ich habe auch ein paar Männer gesehen als ich da war.
Bab: Wir haben auch Männertoiletten. Das war nämlich immer die große Frage. – Also das kann ich ehrlich gesagt nicht beurteilen, ob sich junge Männer und Theologiestudenten dafür interessieren.
Florin: Es gibt den Grundgedanken: Wir blicken in die Geschichte und finden dort Frauengestalten, die lange übersehen worden sind, wir lesen deren Schriften und zeigen wie klug die waren, was sie bewirkt haben, auch wie streitbar sie waren und daraus lernen wir etwas für die Frauen von heute. Ist das Ihr Ansatz?
Bab: Ich finde es in jedem Fall immer wichtig, dass wir von der Geschichte zur Gegenwart gucken. Wir sind bei unserer Ausstellung zur Reformation eben nicht im 16. Jahrhundert stehen geblieben, sondern haben geschaut, wann die ersten Frauen in der evangelischen Kirche Ämter hatten, also die Vikarin, die Pfarrerin, die Bischöfin, und (wir haben geschaut), wo es auch Rückschritte gab. Denn es ist ja auch nicht selbstverständlich, dass die Entwicklung immer weiter geht. In Lettland wurde letztes Jahr beschlossen, dass die Frauenordination wieder aufgehoben wurde.
Florin: Frau Jacobs, der evangelische Theologe Friedrich Wilhelm Graf hat gelästert, es gebe viel zu viele "Mutti-Typen" oder -Typinnen in der evangelischen Kirche. Die würden viel Segen spenden, hätten aber wenig intellektuelle Schärfe. Wenn Sie Katharina Zell oder Argula von Grumbach wären, was würden Sie ihm schreiben?
Jacobs: Ich würde sagen, dass man den Segen nicht so gering schätzen darf, dass wir eigentlich noch viel mehr Segenshandlungen in unserer Kirche brauchen. Aber eigentlich würde ich ihm entgegenhalten, dass es natürlich solche Studentinnen gibt, es gibt verschiedene Begabungen. Aber die gibt ja nicht nur bei den Frauen, sondern auch bei den Studenten. Da gibt es auch viele, die garantiert nicht der nächste Karl Barth werden, aber denen das natürlich leichter gemacht wird, wenn sie von solchen Professoren mehr gefördert werden und anders gesehen und behandelt werden, weil man ihnen per se mehr zutraut als Frauen. Und ich würde ihn bitten, einen Beitrag dazu zu leisten, dass er die Mutti-Typen dafür begeistern kann, leidenschaftlich über Theologie zu diskutieren, und zum anderen sie auch mal als HiWi einzustellen und ihnen dadurch die Möglichkeit zu geben, sich weiter zu entwickeln.
"Die Kirche, das ist eine andere Welt"
Florin: Frau Bab hat vorhin daran erinnert, dass es immer wieder Rückschritte gab in der Geschichte der Frauenemanzipation in der Kirche. Sehen Sie das im Moment so, dass eine Phase des Rückschritts erreicht ist, Frau Jacobs?
Jacobs: Ich habe vor einigen Tagen ein Bild auf Twitter gesehen, das kam allerdings aus Österreich, da waren alle wichtigen Religionsvertreter ins Präsidialamt eingeladen und da waren 18 Männer. Auch die evangelische Kirche hatte da keine Frauen hingeschickt. Ich würde nicht von Rückschritt sprechen, aber ich würde sagen, dass man weiterhin darauf achten muss und dass das weiterhin ein Thema bleiben muss und dass sich nur weil Ämter für Frauen geöffnet sind, sich noch nicht alles geregelt hat.
Florin: Frau Bab, Sie sind allgemeine Historikerin, Sie sind keine Kirchenhistorikerin, auch keine Theologin – wenn Sie so ganz unbefangen draufschauen auf so ein Objekt wie in diesem Fall die evangelische Kirche – gibt es da irgendwas was Ihnen auffällt, wo Sie sagen das ist so ganz anders als in weltlichen Zusammenhängen?
Bab: Es ist eine andere Welt, aber mir fällt das jetzt schwer so spontan zu sagen was mir fehlt.
Florin: Hätten Sie sich auch ohne das Reformationsjubiläum mit diesem Thema beschäftigt?
Bab: Wahrscheinlich nicht. Ich finde, dass sich da sehr spannende Aspekte finden lassen und dass ich da einiges gelernt habe, aber es ist doch ein Thema, was den meisten nicht so unter den Nägeln brennt.
Florin: Wird sich eines Tages ein Frauenmuseum überflüssig machen, weil es einfach selbstverständlich ist auf Männer und Frauen zu schauen?
"Der Blick auf unsere Kultur ist immer noch ein männlicher"
Bab: Vielleicht wird das irgendwann so sein, aber da sind wir noch weit entfernt.
Florin: Warum?
Bab: Das Bonner Frauenmuseum, ebenso wie die anderen, die es in vielen Ländern gibt, haben sich ja deswegen gegründet, weil in Kunst, Kultur, Darstellung in Museen normalerweise die Frauen kaum vorkamen. Also vor 36 Jahren wurde das Bonner Museum gegründet und so schrecklich viel hat sich nicht getan. Es gibt zwar eine ganze Menge Sonderausstellungen, in denen, sei es Geschichte oder Kunst von Frauen thematisiert wird, aber in Dauerausstellungen ist das immer noch eine Ausnahme.
Florin: Warum ist das so?
Bab: Der Blick auf unsere Kultur ist immer noch ein männlicher. Die Männer waren mehr geschichtlich im Bewusstsein und sind es heute vielfach auch noch und deshalb versteht sich das Frauenmuseum auch als Korrektiv. Und so lange das nicht erreicht ist, dass klar ist, die Kultur wurde von Frauen genauso geprägt wie von Männern, solange haben die Frauenmuseen auf jeden Fall eine Berechtigung.
Florin: Wurde sie denn genauso geprägt? Das ist ja die Frage. Also die Thesen hat ja – ob mit Hammer oder nicht – die Thesen hat ja nun ein Mann angeschlagen.
Bab: Die einzelnen Akteure können ja mehr Männer gewesen sein, aber die Kultur, die Reformation hatte viele Anhängerinnen unter Frauen, und sie wäre wahrscheinlich auch nicht so erfolgreich gewesen, wenn die Frauen nicht auch sei es was geschrieben haben, das Wort weitererzählt haben oder als Herrscherinnen entsprechende Pfarrordnungen erlassen hätten.
Jacobs: Und es gab ja dann mit der Reformation die evangelische Pfarrfrau, die für die Kultur des Protestantismus in Deutschland über Jahrhunderte sehr prägend gewesen ist. Die es im Katholizismus so ja nicht gab. Es so ein bisschen wie die First Lady, die im Hintergrund zwar oft agiert, aber doch mehr Einfluss nimmt, als man das nach außen hin sehen kann.