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Reformationsgeschichte
Luthers Bruch mit Rom

Der 27. Juni 1519 gehört zu den herausragenden Ereignissen der Reformationszeit. Denn an diesem Tag fand in der Pleißenburg in Leipzig eine theologische Diskussion statt, bei der es zwischen Unterstützern und Gegnern der Reformation zum Eklat kam. Hauptstreitpunkt: Die Unfehlbarkeit des Papstes.

Von Wolfram Nagel |
    "Wir wissen, dass an dieser Südwestecke der Stadt eine herrschaftliche Burg stand, dass es hier mehrere Verwaltungsgebäude gegeben haben muss, eine Kapelle und eine sogenannte Hofstube, die dann auch der Schauplatz der Leipziger Disputation geworden ist",
    sagt Armin Kohnle, Professor für Kirchengeschichte an der Leipziger Universität.
    Seit 1905 steht an Stelle der mittelalterlichen Pleißenburg das Neue Rathaus, gleich am Martin-Luther-Ring. Mächtig ragt ein bergfriedartiger Turm aus dem Innenhof des Bauwerks aus grob behauenem Naturstein. Ein städtisches Verwaltungsgebäude mit etwa 600 Räumen und Sälen. Historistisches Monument eines selbstbewussten Bürgertums.
    Maßvoller Kult
    Alleine der Straßenname erinnert entfernt an die berühmte Disputation in der Hofstube der Pleißenburg, im Sommer 1519. Keine Lutherstube, keine Gedenktafel, kein Standbild, kein eigenes Museum, ganz anders als in Eisleben oder Wittenberg.
    "Hier hat sich ein Lutherkult nur in starker Verdünnung gehalten. Es gibt gewisse Erzähltraditionen an der Thomaskirche, an der Nikolaikirche, und im 19. Jahrhundert hat man versucht, Leipzig auch etwas stärker zu einer Lutherstätte zu machen durch das Luther-Melanchthon-Denkmal, das dann im 2. Weltkrieg abgebaut wurde, um Geschosse herzustellen."
    Dabei gehörte gerade die Leipziger Disputation, die am 27. Juni 1519 begann, zu den zentralen Ereignissen der Reformationsgeschichte. Aber anders als die Musik von Johann Sebastian Bach taugte ein Theologenstreit offenbar kaum für ein Epos deutscher Nationalgeschichte. Dazu hätte wenigstens ein authentischer Ort erhalten bleiben müssen. Ursprünglich wollte Luther auch gar nicht an der Disputation teilnehmen.
    "Ursprünglich ging es darum, dass die Ablassfrage noch einmal diskutiert werden sollte, zwischen Johannes Eck, dem Ingolstädter Theologen und gefürchteten Disputator und, ja nicht Martin Luther, sondern seinem Wittenberger Kollegen Andreas Bodenstein von Karlstadt. Martin Luther hat in den Monaten, die seit dem Thesenanschlag vergangen waren, das Interesse verloren."
    Vom Zuhörer zum Wortführer
    Nun aber habe die Disputation eine ganz neue Richtung genommen, sagt der Kirchenhistoriker Armin Kohnle. Eck habe noch vor der Disputation die Frage nach dem Primatsanspruch des Papstes aufgeworfen und damit Luther heraus gefordert. Doch Herzog Georg, der mächtige Fürst im albertinischen Teil von Sachsen, tat sich zunächst schwer, den Wittenberger Professor überhaupt zur Disputation zuzulassen.
    "Denn es lief ja schon der römische Prozess gegen ihn. Am Ende hat sich Herzog Georg aber dann doch dafür entschieden, Luther disputieren zu lassen, sodass also insgesamt dann eine Verschiebung stattgefunden hat, von der Eck-Karlstadt-Debatte zu einer Eck-Luther-Debatte."
    Luther gehörte am Beginn der Disputation noch zu den Zuhörern, wie Herzog Georg und etliche Professoren der Universität. Dank seiner ausgezeichneten Lateinkenntnisse folgte der Landesfürst der tagelangen Debatte mit Interesse. Anders die Theologen aus Leipzig.
    "Man erzählt sich, dass die Leipziger Theologen bei dieser Disputation gelangweilt dabei saßen und dass man sie zum Essen wecken musste, weil sie keine Lust hatten und vielleicht auch gar keine Fähigkeit, diesen komplizierten lateinischen Argumenten und den Schlagabtausch in lateinischer Sprache zu folgen."
    Und der brachte noch viel grundsätzlichere Fragen zutage, als der Ablassstreit in den anderthalb Jahren seit dem Thesenanschlag von Wittenberg. Was ist Kirche? Welche Autoritäten bestimmen über Wahrheit und Recht? Wie verhält es sich mit dem kirchlichen Lehramt und dem Primatsanspruch des Papstes?
    "Im Unterschied zur biblischen Autorität, auf die Martin Luther natürlich gesetzt und bestanden hat. Und man hat im Verlauf der Disputation, die sich ja über längere Zeit hingezogen hat, den Eindruck, dass Luther sich in der Auseinandersetzung mit Eck über manches auch erst klar geworden ist und seinen Standpunkt gefunden hat, was er bis dahin noch nicht explizit gesagt hatte."
    Debatte um das Papsttum
    Luther sei es nicht um das Papsttum an sich gegangen, sondern um die anmaßende Behauptung, das Papstamt sei durch Christus selbst gestiftet und der Gehorsam dem Papst gegenüber heilsnotwendig, so Professor Kohnle. Mit der Frage, ob der päpstliche Primat aus der Bibel begründet werden kann, gelang es Johannes Eck Martin Luther aufs Glatteis der Häresie zu führen. Er wollte ihn als Ketzer bloß stellen. Auch Herzog Georg machte sich Luther nun endgültig zum Feind, war es doch während der Disputation zu einem Eklat gekommen.
    "Jedenfalls hat es Herzog Georg so gesehen, als die Rede auf Johannes Hus kam, den böhmischen Reformator."
    Der im Jahr 1415 in Konstanz als Ketzer verbrannt wurde, gegen das Versprechen nach dem Prozess freies Geleit zu bekommen.
    "Und Martin Luther zu der Äußerung sich hat hinreißen lassen. Hier in Leipzig, nicht alles, was Johannes Hus gesagt habe, sei Ketzerei gewesen. Daraufhin soll Herzog Georg aufgesprungen sein und empört ausgerufen haben, das sei ja unmöglich und wie könne man so etwas sagen, denn es war ein gewisser Konsens auch hier in Sachsen, dass Hus als Erzketzer zu betrachten sei. Und Luther hat diesen Konsens klar infrage gestellt und dann nach Leipzig auch entdeckt, wie nah er an vielen Positionen des Johannes Hus selber stand."
    Auch Konzilien könnten irren und hätten geirrt, meinte Luther und lieferte der römischen Inquisitionsbehörde selbst die Argumente für eine Verurteilung als Ketzer. Aber er wusste einen mächtigen Beschützer hinter sich, mächtiger als Herzog Georg. Friedrich d. Weise, sein Landes- und Schutzherr. Der Wittenberge Theologie-Professor stand in Diensten des Kurfürsten und der unterstützte dessen Reformbemühungen.
    "Im Sommer 1519 war für Friedrich den Weisen klar, dass er Luther nicht nach Rom ausliefern würde. Luther musste nicht damit rechnen, dass der Kurfürst ihn fallen lassen würde."
    Luthers Bruch mit der römischen Kirche schien nach Leipzig unvermeidlich. In der Hofstube der Pleißenburg entschied sich gewissermaßen, dass die lutherische Reformation nicht mehr innerhalb der alten Kirche erfolgen konnte, so Kirchenhistoriker Kohnle. Das heißt, in Leipzig schieden sich die Geister. Genau darin liegt die wegweisende Bedeutung der Disputation.
    "Diese Weichenstellung ist in Leipzig gestellt worden und natürlich nicht von Luther allein, sondern auch von seinen Gegnern, die ihn ja dann sukzessive ausgrenzen."
    Gab es im albertinischen Teil von Sachsen, zu dem auch Städte wie Leipzig, Zwickau und Dresden gehörten, bis 1519 eine unterschwellige Reformationsbewegung, so wurden spätestens nach dem Reichstag in Worms, wo Luther mit der Reichsacht belegt wurde, alle reformatorischen Regungen rigoros unterdrückt. Das hieß beispielsweise, dass Luther Bücher nicht mehr in Leipzig gedruckt und vertrieben werden durften. Dazu gehören die schon bald nach der Disputation erschienenen Hauptwerke, wie "Von der Freiheit eines Christenmenschen", "Von den Guten Werken" oder das Buch über die babylonische Gefangenschaft der Kirche, und später auch Luthers Bibelübersetzung.
    "Leipzig ist ein großer Umschlagplatz auch für reformatorisches Schrifttum im 16. Jahrhundert über die Buchmessen. Das alles geht bis zu dem Zeitpunkt, als Herzog Georg diese Verbreitung von lutherischen Büchern in seiner Stadt unterbindet, und zwar mit allerstrengsten Methoden, mit Hausdurchsuchungen bei Buchführern, mit Bestrafungen und ... die Leipziger Buchhändler haben sich bitter beklagt, dass ihnen ihr komplettes Geschäft weggebrochen ist, denn das, was sie dann noch im Angebot hatten, wenn sie nichts Reformatorisches mehr drucken durften, das hat sich einfach nicht verkaufen lassen."
    Eine Predigt begeistert die Massen
    Das änderte sich erst nach dem Tod des altgläubigen Herzogs Georg. Pfingsten 1539 wurde die Reformation im albertinischen Sachsen eingeführt, also auch in Leipzig. Ein Ereignis, an dem die Bevölkerung regen Anteil nahm. Martin Luther predigte in der völlig überfüllten Thomaskirche.
    "Die Leute standen, wenn das denn stimmt, mit Leitern an den Fenstern, um irgend einen Blick oder ein Wort von Martin Luther zu erhaschen. Die Fürsten waren schon am Vorabend auf der Pleißenburg in der Hofstube oder in der Kapelle vor Luther gesessen und hatten dort eine Predigt gehört."
    In der Leipziger Nikolaikirche wird bis heute die sogenannte Lutherkanzel aufbewahrt. Doch mit Sicherheit ist sie nicht jene Kanzel auf der Luther 1539 stand. Die Erzählungen über die Predigt des Reformators in der Thomaskirche wurden später vom Wirken Johann Sebastian Bachs überstrahlt. Einzig im alten Rathaus am Leipziger Markt erinnert eine kleine Abteilung des Stadtmuseums an Luther.
    "Denn die Zahl der Exponate ist nicht besonders groß. Eines der prachtvollsten Stücke, die man hier sehen kann, ist dieser sogenannte Lutherbecher, wohl 1536 hergestellt, der über Schweden wieder nach Deutschland kam und jetzt hier in Leipzig aufbewahrt wird, angeblich von einem Enkel Luthers an die Stadt Leipzig verkauft."
    Anstoßen auf Luther
    Erinnert wird auch an den Arzt und Universitätsdozenten Auerbach, der ein Gasthaus betrieb, eben Auerbachs Keller, berühmt geworden durch Goethes Faust. Dort soll Luther mehrfach logiert haben.
    "Weil es ja bekannt ist, dass Heinrich Stromer von Auerbach nicht abgeneigt gewesen ist der reformatorischen Lehre, dass er auch Luthers Bücher besessen hat. Auch der Faust spielt in der Lutherzeit. Und natürlich gibt es da eine gewisse Verbindung.