Luther ist überall. Auf Luther-Wegen, in Luther-Häusern, auf Luther-Denkmälern und auf Luther-Socken mit dem Aufdruck: "Hier stehe ich, ich kann nicht anders". Nur, welcher Luther ist da eigentlich gemeint? Der unerschrockene Held, der dem Papst trotzte? Der geniale und wortgewaltige Sprachschöpfer? Im Reformationsjahr 2017 wird es vor allem um den Luther gehen, der eine eigene Marke geworden ist, der Touristen anzieht. Der Umsatz-Luther. Selbst im thüringischen Orlamünde, wo die Bürger Luther 1524 vertrieben haben, ist man stolz, dass er überhaupt da war. Aber es gibt eben auch noch den anderen Luther: den Luther, von dem eine Historikerin, die nicht genannt werden will, sagt, wie sehr ihr dieser Luther "zum Hals raus" hänge. Und, je mehr sie von ihm wisse, umso unsympathischer werde er ihr. Thomas Seidel, der Beauftragte der Thüringer Landesregierung für das Reformationsjubiläum, kennt diese Klagen.
"Ich höre das auch, ich kann das teilweise auch ganz gut verstehen. Natürlich, wenn man mit dem Bild ausgeht, als wäre Luther der Frauenfreund, der Demokrat, der multikulturelle Zeitgenosse, dann kann man das in die Tonne treten, dann wird er einem irgendwie unsympathisch. Wenn man aber ein bisschen historisches Bewusstsein mitbringt, merkt man: Es war eine andere Zeit. Und zweitens: Er hat auch eine Menge heute noch zu sagen."
Seidels Auftrag: Das "Lutherland" Thüringen im Reformationsjahr 2017 gut dastehen zu lassen, Luther in den Mittelpunkt zu stellen, weil der historisch nun mal dahin gehöre und weil die Touristen schließlich nicht nach der Reformation, sondern nach Luther suchen.
Na, die Thüringer Tourismus GmbH wäre schlecht beraten, wenn sie mit "Martin Luther – der Judenhasser" wirbt. Das könnte nicht gut kommen. Machen sie auch nicht! Sondern natürlich sind es da die leichter eingängigen Themen – z.B. "Luther und Heilung", wenn auf dem Lutherweg zwischen Schmalkalden und Tambach-Dietharz darauf hingewiesen wird, dass eben Luther auf diesem Wege genesen ist, dann ist das schön auch für den Wellness-Bereich der Tourismusbranche oder sowas.
Auseinandersetzung mit dem antijüdischen Luther
Aber dennoch will Seidel keine Wellness-Lutherfestspiele veranstalten und erhofft sich ein vielschichtiges Luther-Bild von der großen nationalen Sonderausstellung auf der Wartburg mit dem Titel "Luther und die Deutschen". Dort wird es auch um den Missbrauch Luthers gehen, um Luther, den Judenhasser. Das Lutherhaus in Eisenach ist erst einmal fein raus: Es zeigt in der Dauerausstellung das dankbare Thema "Luther und die Bibel", präsentiert glänzend und facettenreich Geschichte und Bedeutung von Luthers Übersetzungs- und Sprachleistung. Der antijüdische Luther, der Juden als "Unrat auf der Gasse" bezeichnete, als "Teufelskinder", der erfolgreich zu deren Vertreibung aus vielen deutschen Städten und zur Brandschatzung von Synagogen aufrief, taucht erst ganz verschämt und knapp am Ende der Ausstellung auf – als Fußnote sozusagen. Kurator und Museumsleiter Jochen Birkenmeier vertröstet auf die Zeit nach dem Reformationsjubiläum.
"Ich hätte gerne auch mehr gezeigt; der Platz war dafür nicht da. Wir planen deshalb auch eine Sonderausstellung 2019, wo wir dann dieses Thema auch noch mal ausführlicher darstellen wollen."
Dann wird es vor allem um das Eisenacher "Entjudungsinstitut" gehen, das die evangelischen Landeskirchen 1939 gegründet hatten, um ein "entjudetes" Neues Testament zu erarbeiten, einen "judenreinen" Katechismus herauszugeben und die "endgültige Lösung der Judenfrage" voranzutreiben. Aber eben erst 2019. Dafür wird 2017 in Mühlhausen eine Ausstellung gezeigt, die sich Luthers "Konkurrenz" widmet, also den anderen Reformatoren: "Luthers ungeliebte Brüder" nennt Kurator und Museumsdirektor Thomas Müller die Schau.
"Für Mühlhausen ganz klar spielt natürlich Thomas Müntzer eine Rolle. Wir wollen aber auch eingehen auf Andreas Bodenstein, also Karlstadt. Wir wollen zeigen, welche Ideen Jakob Strauß in Eisenach hatte, ganz spannend mit seiner Wucherkritik. Und wir wollen auch zeigen, wie stark und wie sehr diese Leute auch bekämpft worden sind."
Reformations- oder Lutherjubiläum?
Da wird dann auch der aufbrausende Luther zu sehen sein, der zornige, der ungerechte, der obrigkeitstreue, der im Bauernkrieg – Zitat – "Wider die räuberischen und mörderischen Rotten der Bauern" hetzte. Doch ein wenig sieht sich Müller damit allein auf weiter Flur.
Die Evangelische Kirche hat ja lange gerungen: Heißt das Ganze nun "Reformationsjubiläum", heißt es "Lutherjubiläum" – und ein wenig scheint es mir, als ob dieses Reformationsjubiläum wieder zu einer Lutherzentrierung zurückgekehrt ist, wie es sie schon in den Jahrhunderten vorher gegeben hat. Und das ist ein bisschen schade.
Fazit: Es wird nicht nur Luther geben im kommenden Jahr, und auch nicht nur die Lichtgestalt, die sich gut vermarkten lässt. Aber nach dem "anderen" Luther und den anderen Reformatoren wird man ein bisschen suchen müssen.