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Reformationsjubiläum
"Luther wird zu jeder Zeit anders betrachtet"

Die Deutschen hätten sich immer mit Luther auseinandergesetzt, sagte der Historiker Marc Höchner im DLF. Ob religiöses Vorbild, Gründer der Konfessionskirche oder weltlich-politische Figur: Zu Luther gäbe es sehr viele Zugänge.

Marc Höchner im Gespräch mit Maja Ellmenreich |
    Die Lutherstube auf der Wartburg in Eisenach, zu sehen im Rahmen der Ausstellung "Luther und die Deutschen".
    Die Lutherstube auf der Wartburg in Eisenach, zu sehen im Rahmen der Ausstellung "Luther und die Deutschen". (Wartburgstiftung / Rainer Salzmann)
    Maja Ellmenreich: Im aktuellen Reformationsjubiläumsjahr ist die Wartburg das wahrscheinlich größte Ausstellungsstück, das in Szene gesetzt wird. Quasi als Hauptdarstellerin der Ausstellung "Luther und die Deutschen", die zur Stunde eben dort auf der Wartburg eröffnet wird und eine von drei nationalen Großausstellungen in diesem Luther-Jubeljahr ist.
    Kurator der Ausstellung über die Luther-Rezeption im eigenen Land ist der Historiker Marc Höchner. Wir haben am Vormittag miteinander gesprochen – und zwar zunächst über "die Deutschen", die man über einen Zeitverlauf von 500 Jahren nicht auf einen Nenner bringen kann. Deshalb habe ich Marc Höchner gefragt, welche Deutschen, welche Geschichtsepoche für ihn am ergiebigsten gewesen sei. Wann haben sich die Deutschen am intensivsten mit Luther auseinandergesetzt?
    Marc Höchner: Ich glaube, die Deutschen, wenn man das so pauschal sagen kann, haben sich immer mit Luther auseinandergesetzt, zu jeder Epoche. Prägend ist aber sicherlich das 19., frühe 20. Jahrhundert, weil da immer noch vieles von dem Luther entstammt, den wir heute kennen. Die Mythen, die dann auch in Gemälden oder in der Grafik ihren Niederschlag finden, der Thesenanschlag, der vielleicht stattgefunden hat, vielleicht auch so nicht, Luther vor Worms, der sagt, hier stehe ich, ich kann nicht anders, der Tintenfass-Wurf, die ganzen Denkmäler, vieles von dem ist aus dieser Epoche.
    "Man hat Luther ja zuerst eher kritisch gesehen in der DDR"
    Ellmenreich: Wenn Sie Mythen sagen, dann klingt das nicht unbedingt nach der reinen, reinen Wahrheit. Welcher Mythos ist der hartnäckigste?
    Höchner: Auf der Wartburg ist der Mythos der hartnäckigste sicherlich der Tintenfleck. Zahlreiche Besucher sind absolut überzeugt, dass sie als Kinder den Tintenfleck noch gesehen haben in der Luther-Stube und dass man den seither entfernt hat, aber das ist unmöglich. Der Tintenfleck, der tatsächlich zu früheren Zeiten angepinselt wurde an der Wand und immer wieder ersetzt wurde, wenn ihn zu viele Leute abgekratzt haben, den gibt es schon seit Jahrzehnten, wenn Jahrhunderten nicht mehr.
    Ellmenreich: Okay. Der Tintenfleck ist sozusagen Mythos und Mär womöglich. Wie steht es aber um die Instrumentalisierung? Ausgerechnet in der Luther-Heimat war ja zu DDR-Zeiten der atheistische Marxismus-Leninismus Staatsideologie. Welche DDR-kompatible Seite von Martin Luther hat man da in den Mittelpunkt gerückt?
    Höchner: Man hat Luther ja zuerst eher kritisch gesehen in der DDR. Er war der Fürstenknecht, er hat die Bauern, das einfache Volk verraten. Thomas Müntzer, der sich auf die Seite der Bauern oder der Landbevölkerung, des gemeinen Mannes gestellt hat, war viel höher angesehen in der DDR. Dennoch gibt es einen Wechsel, der in den 60er-Jahren beginnt und dann 1983 – das war 500. Geburtsjahr von Luther – ganz deutlich wird, nämlich 1983 wird Luther auch in der DDR mit verschiedenen Ausstellungen und Veranstaltungen, mit einem Gottesdienst auf der Wartburg etwa, die feierliche Wiedereröffnung, sehr wohl gefeiert, und das ausgerechnet noch im 100. Todesjahr von Karl Marx.
    Ellmenreich: Beobachten Sie denn meist eine Instrumentalisierung, wenn Sie auf die Geschichte zurückblicken, also immer den jeweils angesagten Ideologien wird Luther passgerecht gemacht? Kann man das so formulieren?
    Höchner: Ich denke schon. Luther wird zu jeder Zeit anders betrachtet und selbst Luther verbreitet ein bestimmtes Bild von sich selber schon zu Lebzeiten, etwa mit den Gemälden, mit den Druckwerken von Cranach, die ihn bildhaft darstellen. Es gibt immer einen anderen Luther zu jeder Zeit. Mal ist es ein religiöses Vorbild, der Gründer einer Konfessionskirche; später tritt dann das Konfessionelle, das Religiöse eher zurück und Luther wird zu einer sehr weltlich-politischen Figur, der Urdeutsche, der die deutsche Gesellschaft vorangebracht hat, der quasi den deutschen Nationalstaat schon vorgedacht hat.
    "Wir leben in Deutschland in einer sehr freiheitlichen Gesellschaft"
    Ellmenreich: Keine Zeit, so fasse ich unser Gespräch ein bisschen zusammen, keine Zeit kommt irgendwie aus ohne ihre Verblendung, ohne ihre Instrumentalisierung, ohne ihren Gefährtenblick auf Martin Luther. Haben Sie, Marc Höchner, eine Ahnung, wie man vielleicht eines Tages über die Deutschen und Luther im Jubiläumsjahr 2017 sprechen wird?
    Höchner: Ich denke, man wird wahrscheinlich doch feststellen, dass es in unserer Gesellschaft, die ja nicht mehr so stark religiös geprägt ist, die sehr individualistisch ist, dass man sagen wird, dass es sehr viele verschiedene Zugänge zu Luther gibt. Und vielfach wird auch Luther als Begründer der Freiheit, Gewissensfreiheit oder vielleicht sogar der modernen individuellen Freiheit gesehen. Ich halte das auch für etwas, was auf unsere Zeit zurückgeht. Wir leben in Deutschland in einer sehr freiheitlichen Gesellschaft. Ich denke, das sind die Punkte, die man vielleicht für 2017 dann im Nachhinein sehen wird.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.