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Reformbedürftige Pflege

Immer mehr Menschen in Deutschland werden dement. Gleichzeitig fehlen Fachkräfte und auch die gesetzliche Pflegeversicherung soll durch eine private ergänzt werden. Umstritten ist auch die Idee von Pflegejahren, bei denen sich Angehörige zwei Jahre von der Arbeit beurlauben lassen können.

Von Anja Arp |
    Eine Tanzschule im Kölner Süden: Hier tanzen einmal im Monat rund 80 ältere Menschen. Manche bewegen sich ein wenig unsicher. Dennoch kann man allen Tanzpaaren ansehen, wie viel Spaß sie an der Musik und der Bewegung haben. Tanzlehrer Hans-Georg Stallnig und Stefan Kleinstück, Sozialarbeiter und Altenpfleger, moderieren die Tanzveranstaltung für Demente. Das erklärte Ziel:

    "Spaß und Freude an Musik, an Bewegung, weil, das wissen wir auch aus wissenschaftlichen Studien, dass das ganz wichtig ist."

    In vielen Pflegeeinrichtungen und Altenheimen werden deshalb für die Bewohner regelmäßige Sing- und Tanzveranstaltungen angeboten. Doch die meisten der rund 1,2 Millionen dementen Menschen werden - zumindest in den ersten Jahren - nicht im Heim, sondern zu Hause von ihren Angehörigen gepflegt. Und genau für diese Gruppe ist das Angebot in der Tanzschule in Köln Bayenthal gedacht. Dabei sind nicht nur demente Menschen herzlich willkommen:

    Stefan Kleinstück: "Auf der Tanzfläche merkt kein Mensch, ob jemand dement ist oder nicht."

    Das Projekt "Wir tanzen wieder" ist ein Bestandteil der bundesweit einmaligen Landesinitiative "Demenz-Service-Zentren" in Nordrhein-Westfalen. Das ist ein gemeinsames Projekt des Landesarbeitsministeriums, des Kuratoriums Deutsche Altershilfe und der Pflegekassen.

    Die Demenz-Service-Zentren sollen beim Aufbau neuer Strukturen für die Versorgung von Menschen mit Demenz helfen. Dabei steht vor allem die Verbesserung der häuslichen Pflegesituation dementiell Erkrankter im Mittelpunkt.

    Denn in einer alternden Gesellschaft gibt es immer mehr Demenzkranke. Der überwiegende Teil der Betroffenen wird zu Hause von ihren Angehörigen betreut. Zumeist übernehmen die Töchter die Pflege. Auch Gabriela Zander Schneider. Sie hat sich um ihre inzwischen verstorbene Mutter gekümmert:

    "Wir haben sie fast zwei Jahre hier zu Hause gepflegt und das war halt irgendwann nicht mehr möglich, weil es über meine eigenen Kräfte hinaus ging und weil natürlich auch das Ganze soziale Umfeld, das heißt, die Familie, darunter leidet. Was mich am meisten an der ganzen Sache noch zusätzlich betroffen gemacht hat, war die Tatsache, dass sich die sogenannten Freunde - besonders auch die Verwandtschaft - soweit zurückgezogen hat, dass sie noch nicht mal ne halbe Stunde für die Mutter übrig hatten, um mit ihr Mal ´ne halbe Stunde spazieren zu gehen, was zu dem Zeitpunkt auch noch möglich war."

    Oder das Ehepaar Ewald. Die beiden sind über 50 Jahre verheiratet. Seit ein paar Jahren ist Frau Ewald dement und wird von ihrem Mann zu Hause rund um die Uhr gepflegt:

    "Wir haben alles gemeinsam gemacht und dann sieht man diesen Menschen, der geistig verfällt. Das ist das Schwierigste, wo ich mit fertig werden muss. Und ich bin ehrlich, wenn ich sage, ich habe in manchen Fällen, wenn meine Frau sagte: "Ich muss dir jetzt was ganz Wichtiges sagen", dann habe ich gesagt: "Komm, dann erzähl es mir." Und dann kommt nur Gebrabbel – das kann ich keinem sagen, wie weh das tut."

    Eins steht fest: Die Probleme in der Pflege - egal ob stationär oder ambulant - wachsen. Nach Angeben des Familienministeriums sind etwa 2,25 Millionen Menschen in Deutschland pflegebedürftig. Tendenz steigend, denn die Gesellschaft wird immer älter. Doch die Zahl der Pflegekräfte nimmt nicht entsprechend zu, um diesen Bedarf decken zu können. Bereits heute fehlen rund 50.000 Fachkräfte, hieß es auf dem Pflegegipfel, zu dem Bundesgesundheitsminister Philip Rösler im vergangenen Dezember eingeladen hatte. Bis 2020 soll die Lücke sogar auf 400.000 fehlende Altenpfleger anwachsen.

    Der FDP-Minister will deshalb 2011 zum "politischen Pflegejahr" machen. Will weg von der Pflege im Minutentakt. Möchte später im Jahr eine private Zusatzversicherung einführen, um die immer weiter steigenden Kosten auffangen zu können. Auch bei der Bewertung der Pflege in den Heimen, dem sogenannten Pflege-TÜV, soll endlich nachgebessert werden. Vor allem aber will der Minister das Ansehen der Pflegeberufe steigern, auch mehr Männer für die Betreuung gewinnen.

    Ganz so einfach ist das alles aber nicht: Erst Ende vergangener Woche gab es Streit zwischen FDP- und Unionspolitikern wegen der zusätzlichen Pflegeversicherung. Kommen wird sie, daran rüttelt niemand. Wohl aber an der Frage: Soll jeder für sich persönlich sparen, wie der Minister es möchte und wie es im Koalitionsvertrag steht – oder soll das zusätzliche Geld in einen großen Topf für alle fließen.

    Außerdem ist der Gesundheitsminister nicht in allen Bereichen zuständig. Da ist zum Beispiel das Programm zur Umschulung von Arbeitslosen zu Pflegehelfern und Pflegefachkräften. Über das Programm sind in den vergangenen beiden Jahren jeweils rund 7.000 Teilnehmer zu Pflegekräften umgeschult worden. Doch das Programm der Bundesagentur für Arbeit läuft aus. Rösler muss sich deshalb bald mit der zuständigen Kabinettskollegin Ursula von der Leyen zusammensetzen. Doch allein mit Veränderungen bei der stationären Pflege ist es sowieso nicht getan.

    Auch in der ambulanten Pflege herrscht Notstand. Laut Bundesfamilienministerium werden insgesamt mehr als 1,5 Millionen Menschen zu Hause versorgt. In zwei Dritteln der Fälle durch Angehörige alleine, so steht es im Familienreport der Bundesregierung – ambulante Dienste kommen in einem Drittel der Fälle zum Einsatz. Angesichts des demografischen Wandels wird es auch in diesem Bereich immer enger. Ohne die legalen und auch illegalen Hilfskräfte aus dem Osten wären viele Familien schon heute aufgeschmissen. Ab dem 01. Mai wird deren Anstellung durch die Öffnung des Arbeitsmarktes für Arbeitnehmer aus Osteuropa erleichtert. Reichen wird aber auch das nicht. Um die Pflegesituation daheim zu entspannen, will Familienministerin Kristina Schröder deshalb den Angehörigen mehr Zeit für die Pflege einräumen. Außerdem möchte sie die Vereinbarkeit von Pflege und Beruf verbessern. Darum plädiert sie für einen Rechtsanspruch auf eine Familienpflegezeit von zwei Jahren. Dazu erklärt Kristina Schröder auf der Homepage ihres Ministeriums:

    "Aktuelle Umfragen von Allensbach zeigen, dass wir den Nerv der meisten Menschen treffen. Denn die meisten Menschen wollen die Verantwortung für die hochbetagten Eltern oder für den krebskranken Lebenspartner nicht an den Staat oder an ein Heim delegieren. Wir brauchen neue Wege, um den Sozialstaat zukunftsfähig zu machen. Und die Familienpflegezeit ist ein neuer Weg. Natürlich ist völlig klar, dass die bessere Vereinbarkeit von Pflege und Beruf nur ein Bestandteil eines ganzen Maßnahmenbündels sein kann und dass wir alle Bereiche der Gesellschaft einbinden müssen. Aber die Familienpflegezeit ist der entscheidende erste Schritt."

    Deshalb sollte ein entsprechendes Gesetz eigentlich schon Ende des vergangenen Jahres in Kraft treten. Doch der Koalitionspartner FDP ist immer noch nicht davon überzeugt, dass es wirklich notwendig ist. Und so wird der Entwurf derzeit in den Fraktionen beraten. Die Ministerin gibt sich aber optimistisch, dass die Regelung zur Familienpflegezeit im nächsten Jahr kommen wird, denn für Kristina Schröder hat das neue Modell gleich mehrere Vorteile:

    "Sie deckt eine ganze Reihe von Bedürfnissen ab, die wir mit Geld allein niemals so abdecken könnten. Das Bedürfnis kranker und älterer Menschen, so lange wie möglich zu Hause bei der Familien zu bleiben. Das Bedürfnis der Angehörigen, ihren nächsten Verwandten einen würdigen Lebensabend zu schenken. Und das Bedürfnis dieser pflegenden Angehörigen, berufstätig zu bleiben, weil sie ihr Einkommen brauchen und weil ein längerer Berufsausstieg mit Mitte, Ende 50 meistens der sicher Weg in die Arbeitslosigkeit ist."

    Die Allensbach-Studie im Auftrag des Familienministeriums hat ergeben, dass sich für 79 Prozent der Befragten Beruf und Pflege nicht gut vereinbaren lassen. Und genau hier soll das Modell ansetzen. Kristina Schröder erklärt, wie die Familienpflegezeit künftig konkret aussehen soll:

    "Jeder Arbeitnehmer soll künftig einen Rechtsanspruch auf eine Familienpflegezeit von bis zu zwei Jahren erhalten. Mein Ziel ist es, dass pflegende Angehörige in dieser Zeit mit reduzierter Stundenzahl im Beruf weiterarbeiten können und zwar ohne all zu große Einkommenseinbußen. Der Weg zu diesem Ziel führt über Wertkonten, die in vielen Betrieben schon gängige Praxis sind."

    Arbeitnehmer sollen also künftig über Zeitwertkonten vorarbeiten können oder der Arbeitgeber gewährt einen Lohnkostenvorschuss. Während der Familienpflegezeit arbeiten Arbeitnehmer dann nur 50 Prozent der Arbeitszeit und bekommen dafür 75 Prozent des Lohnes. Danach werden die Zeit- und Geldkonten ausgeglichen.

    Angesichts des demografischen Wandels stimmt die Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände, kurz BDA, zwar der steigenden Bedeutung der Vereinbarkeit von Pflege und Beruf zu. Der geplante Rechtsanspruch auf eine zweijährige Pflegezeit sei darauf aber nicht die richtige Antwort. Alexander Gunkel, Mitglied der Hauptgeschäftsführung bei der Bundesvereinigung der Arbeitgeber, erklärt die ablehnende Haltung:

    "Zum einen haben wir bereits drei Ansprüche für pflegende Angehörige, wie sie ihre Arbeitszeit reduzieren können, um auf die Bedürfnisse ihrer zu pflegenden Angehörigen einzugehen. Und zum anderen sind mit diesem Gesetzentwurf eine Verschärfung des Kündigungsschutzes und eine Ausweitung von Ansprüchen der Arbeitnehmer auf Arbeitszeitkonten verbunden und das halten wir wirklich für überzogen."

    Die Arbeitgeber lehnen den im Entwurf vorgesehen Kündigungsschutz während der Familienpflegezeit ab. Sie halten zudem die bereits bestehenden Ansprüche der Arbeitnehmer auf Teilzeit für ausreichend:

    Alexander Gunkel: "Es gibt den allgemeinen Teilzeitanspruch, mit dem jeder Beschäftigte seine Arbeitszeit reduzieren kann, entsprechend seinen Wünschen. Das geht nicht nur auf die Hälfte der Arbeitszeit, das kann man auch noch weiter reduzieren. Es gibt den Anspruch auf kurzzeitige Arbeitszeitunterbrechung auf bis zu zehn Tage und es gibt die halbjährige Pflegezeit. Es gibt also schon viele Ansprüche, die den Beschäftigten, die zu pflegende Angehörige haben, diese nutzen können."

    Allerdings: Nicht jeder Mitarbeiter kann sein Recht auf Teilzeit so in Anspruch nehmen, wie er vielleicht möchte, weil er zu wenig verdient. Da könnte die Familienpflegezeit für so manchen eine echte Teilzeitalternative sein, meinen Befürworter des Entwurfs.

    Ein weiteres Argument der Arbeitgeber gegen die Novelle: Es gebe zu wenig Betriebe, die entsprechende Langzeit-Arbeitskonten haben. Alexander Gunkel:

    "Es gibt nur eine einstellige Anzahl von Betrieben, die Langzeitkonten eingerichtet haben. Kurzzeit-Arbeitskonten haben viele Betriebe, aber die reichen vom Volumen einfach nicht aus, um mal für ein halbes oder ein ganzes Jahr eine Auszeit für den bestehenden Beschäftigten zu ermöglichen, wenn sie sich um ihre Angehörigen kümmern müssen. Und deshalb würden eigentlich nur Langzeitkonten da wirklich helfen und die haben wir bislang nur in sehr wenigen Fällen."

    An dieser Stelle äußern sich auch die Gewerkschaften skeptisch. Claudia Menne, zuständige Abteilungsleiterin beim Deutschen Gewerkschaftsbund in Berlin, erklärt, laut WSI-Archiv, also dem gewerkschaftlichen Tarifarchiv, haben nur sieben bis zehn Prozent aller Betriebe Arbeitszeitkonten.

    Ein weiterer Vorteil aus Sicht des Ministeriums ist die Kostenneutralität der Novelle. Dazu Ministerin Kristina Schröder kürzlich in einem Zeitungsinterview:

    "Viele anfängliche Zweifel der Wirtschaft konnte ich inzwischen ausräumen. So müssen kleine Unternehmen keine Liquiditätsengpässe mehr befürchten. Die Kreditanstalt für Wiederaufbau wird die Lohnlücke von 25 Prozent, die in der Pflegephase entsteht, zwischenfinanzieren. Die Zinskosten dafür übernimmt das Ministerium."

    Alexander Gunkel vom BDA in Berlin hält dagegen:

    "Kostenneutralität ist ja nicht der einzige Punkt, auf den es ankommt. Es muss ja auch möglich sein für die Betriebe, dass sie in der Lage sin, die Pflegezeit auch entsprechend gestalten zu können. Zum Beispiel, wenn es einen Teilzeitanspruch gibt, muss der Arbeitgeber in der Lage sein, diese fehlende Arbeitszeit auszugleichen. Und das ist sehr schwierig für ihn, zumal er ja nur eine maximal zwei Monate dauernde Ankündigungsfrist hat, bevor überhaupt die Pflegezeit kommt. Nicht in allen Teilen ist es möglich, eine Teilzeitkraft für eine befristete Stelle schnell zu finden und dann stehen die Betriebe vor Problemen."

    Und das betrifft – wie so oft - vor allem für kleine und mittlere Betriebe:

    Alexander Gunkel: "Für Kleinbetriebe sieht die Ministerin ohnehin eine Ausnahme vor, weil dieser Anspruch nur für Betriebe ab 15 Beschäftigte gelten soll. Aber in der Tat: Für kleinere Betriebe ist es häufig schwieriger, für einen Ausgleich zu sorgen, weil das nicht ohne Weiteres ein Arbeitnehmer den anderen ersetzen kann."

    Bei aller Kritik der Arbeitgeber bekommt der Vorschlag aus dem Familienministerium durchaus auch positive Resonanz. So weist zum Beispiel der Vorsitzendes des Sachverständigenrates im Gesundheitswesen, Prof. Eberhard Wille, darauf hin, dass die Stärkung der ambulanten Versorgung zunehmend an Bedeutung gewinnt. Mit dem Ziel, die ambulante Pflege zu fördern und die Erwerbstätigkeit zu erhalten, weise die Familienpflegezeit deshalb genau die richtige Richtung.

    In das gleiche Horn stößt Dr. Peter Michel-Auli, Geschäftsführer beim unabhängigen Kuratorium Deutsche Altershilfe in Köln. Er verweist in dem Zusammenhang immer wieder darauf, dass künftig die Zahl der zu pflegenden Angehörigen erheblich zunehmen wird, während gleichzeitig die Zahl der Menschen sinkt, die ihre Pflege privat als sogenanntes informelles Pflegepotenzial übernehmen können. Denn:

    "Wir haben begleitende Entwicklungen, die dazu führen, dass Menschen mehr arbeiten. Also, ich nenne nur die Stichworte Rente mit 67. Und die Erwerbsbeteiligung von Frauen wird auch ansteigen. Sodass die Gefahr besteht, dass die Ausschöpfungsquote aus dem informellen Pflegepotenzial abnimmt. Das heißt, ein Ansatz, dass wir, dass Menschen, zukünftig tatsächlich zu Hause bleiben können, besteht darin, Beruf und Pflege besser vereinbaren zu können. Und dazu ist dieser Ansatz ein Schritt in die richtige Richtung."

    Auch aus den Reihen der Pflegewissenschaften kommt Zustimmung – wenn auch mit Einschränkungen: Prof. Christel Bienstein und Prof. Wilfried Schnepp vom Department für Pflegewissenschaften an der Fakultät für Gesundheit der Universität Witten-Herdecke halten die Initiative der Ministerin grundsätzlich für einen Schritt in die richtige Richtung. Allerdings sei das nicht die Lösung für alle. Das sei zwar eine wertvolle Unterstützung für gut verdienende Mitarbeiter, aber nicht für die Kassiererin beim Discounter. Denn die könne nicht zeitweise auf 25 Prozent ihres Lohnes verzichten, erklären die Pflegewissenschaftler.

    Sie verweisen zudem auf eine weitere Hürde in der Praxis: Die meisten pflegenden Angehörigen werden von der Situation mehr oder minder überrascht. Und das führt dazu, dass sie das ganze Angebot an unterstützenden Leistungen gar nicht kennen und deshalb auch nicht in Anspruch nehmen. Peter Michel-Auli vom Kuratorium Deutsche Altershilfe beklagt ebenfalls ein großes Informationsdefizit bei den Betroffenen:

    "Definitiv, definitiv. Wir haben ja auch aus dem Pflegeweiterentwicklungsgesetz die Möglichkeit, zehn Tage freizunehmen, beziehungsweise ein halbes Jahr aus dem Beruf auszuscheiden. Allerdings dann ohne entsprechenden finanziellen Ausgleich. Das wird ja jetzt versucht, ansatzweise ein bisschen zu beheben. Aber ganz, ganz wichtig ist Information, gar keine Frage. Es gibt eine Kompass-Umfrage dazu. Wie viele Inhalte von den Reformen aus dem Pflegeweiterentwicklungsgesetz tatsächlich bekannt sind. Und das sind immer noch weit zu wenig."

    Dieses Informationsdefizit ist offenbar auch einer der Gründe, weshalb die bereits bestehenden Möglichkeiten, Auszeiten für die Pflege in Anspruch zu nehmen, nicht wirklich genutzt werden. Um die Informationslücken bei den Betroffenen besser zu schließen, gibt es deshalb seit dem Pflegeweiterentwicklungsgesetz vor zwei Jahren vielfach örtliche Pflegestützpunke als zentrale Anlaufstellen:

    Peter Michel-Auli: "Pflegestützpunkte können von allen Bürgern angelaufen werden, die mit dem Thema Pflege konfrontiert sind und rat- und tatkräftige Unterstützung benötigen. Wichtig ist, dass es nicht nur um Pflege geht, sondern um alles, was dann in dieser Lebenslage dann auch damit verbunden ist. Das heißt, wenn man pflegebedürftig ist und auch ein Problem mit Schulden hat, dann wird das auch über den Pflegestützpunkt organisiert."

    Für Kristina Schröder ist die Familienpflegezeit vor allem ein erster Schritt zu einer modernen, umfassenden Sozialpolitik. Für die Arbeitgeber ist das Konzept dagegen der falsche Ansatzpunkt:

    "Wir halten das Modell einer zusätzlichen gesetzlichen Familienpflegezeit für den falschen Weg. Wir setzen auf individuelle Vereinbarungen zwischen Arbeitgebern auf der einen und Beschäftigten auf der anderen Seite."

    Die SPD hält den Vorschlag für völlig unzureichend. Die Pflege werde damit zu einer reinen Privatsache und letztendlich vor allem zulasten der Frauen gehen, kritisiert die Oppositionspartei. Manuela Schwesig, die stellvertretende Parteivorsitzende schreibt dazu:

    "Einen solchen Lohnverzicht können sich überhaupt nur die wenigsten Beschäftigten leisten, zumal dies in den späten Berufsjahren die eigene Altersversorgung empfindlich verschlechtert. Und gerade dort, wo die Alterung der Gesellschaft am schnellsten voranschreitet, sind auch die Erwerbseinkommen am niedrigsten – wie zum Beispiel in Ostdeutschland."

    Um die Vereinbarkeit von Beruf und Pflege wirklich zu verbessern, verweist Manuela Schwesig deshalb auch noch mal auf die bereits bestehende Möglichkeit einer kurzen Pflegeauszeit von zehn Tagen für akute Pflegefälle. Darüber hinaus will die SPD demnächst ein eigenes Konzept zur Aufwertung der Pflegearbeit vorlegen.

    Für Peter Michel-Auli steht fest: Die Pflege muss sich kontinuierlich entwickeln, wenn sie die neuen Anforderungen gerecht werden will.

    "Das heißt, man geht einen ersten Schritt, man guckt sich das an und entwickelt dann weiter. Und ein ähnliches Vorgehen würde ich jetzt tatsächlich auch anraten. Das Gesetz zu verabschieden, es umzusetzen, es zu evaluieren und dann weiter zu entwickeln. Wir wissen beispielsweise, dass durchschnittlich Menschen 8,2 Jahre pflegebedürftig sind. Brauchen wir beispielsweise einen längeren Zeitraum? Pflege ist kein kontinuierlicher Prozess. Wie geht man mit Schwankungen in der Bedürftigkeit um? All das sind Fragen, wo ich sagen würde, lass es uns mal machen und dann gucken wir, wie es läuft und passen es entsprechend an."