Moncef El-Atifi hat jetzt wieder Zeit. Zeit, sich um seine Zukunft zu kümmern. Um seine eigene – nicht um die seines Heimatlandes. Der 31-jährige Marokkaner gehört zu den Gründungsmitgliedern der "Bewegung 20. Februar" – zu jener Gruppe also, Anfang 2011 lautstark gegen die Regierung in Rabat protestierte. Moncef war fast immer dabei. Aber mittlerweile ist es ruhig geworden um die Gruppe. Moncef ist ernüchtert – und sieht die Sache trotzdem sportlich.
"Für mich war das eine gute Erfahrung. Ich habe viel gelernt – und verstanden, dass man gut organisiert sein muss, um einen grundlegenden Wandel zu erreichen. Wir waren noch nicht soweit."
Wie Moncef waren Tausende junger Marokkaner auf die Straße gegangen, um ihrem Ärger Luft zu machen: über die weitverbreitete Armut, über die hohe Arbeitslosigkeit, über die Missachtung von Menschenrechten. Doch in Marokko haben die Demonstranten keinen Umsturz bewirkt – auch, weil König Mohammed VI. schnelle Reformen angekündigte. Anfang Juli 2011 ließ er sein Volk über eine neue Verfassung abstimmen. Wenig später gab es Parlamentswahlen. Gleichzeitig wurde die Protestbewegung zermürbt – unter anderem mit Festnahmen und Verhören. Moncef und seine Mitstreiter haben kaum noch Einfluss, obwohl von den politischen Reformen immer noch wenig spürbar sei, sagt der Politikwissenschaftler Mohamed Tozy:
"Die Verfassung hat keine politische Kultur geschaffen. Das dauert länger. Jetzt müssen die Leute erst einmal lernen, miteinander zu verhandeln, ein Gleichgewicht herzustellen, Kompromisse zu machen."
Keine einfache Aufgabe in einem Land, dessen Gesellschaft tief gespalten ist – zum Beispiel, wenn es um die Rolle der Religion geht. Als sich vor kurzem zwei Teenager küssten und ein Foto davon auf Facebook landete, löste das große Empörung aus – zumindest im konservativen Norden des Landes. Denn Zärtlichkeiten in der Öffentlichkeit sind in Marokko tabu. Doch in der Hauptstadt Rabat versammelten sich viele Marokkaner zu Solidaritätsbekundungen. Sie protestierten gegen die Festnahme der Schüler, die einige Tage im Jugendgefängnis verbringen mussten. Für Moncef El-Atifi ist das ein Zeichen dafür, dass der arabische Frühling auch in Marokko Spuren hinterlassen hat.
"Die öffentliche Reaktion war beeindruckend. Sie hat gezeigt, dass sich Marokko in sozialer Hinsicht gewandelt hat. Sie hat gezeigt, dass die öffentliche Meinung gefragt ist – und dass die Leute wagen, zu den sozialen Normen NEIN zu sagen."
Zivilgesellschaftliche Gruppen und Organisationen sind stärker geworden. Politisch und wirtschaftlich hat sich dagegen kaum etwas bewegt. Moncef El-Atifi hat seine Konsequenzen daraus gezogen. Statt öffentlich zu protestieren, kümmert er sich inzwischen lieber um sein Studium. Gut ausgebildete Leute, die würden in Marokko gebraucht, sagt er. Vor allem, wenn es erst einmal richtig losgeht mit dem Wandel.