Carsten Schroeder: Die Notaufnahme der Krankenhäuser stöhnen seit Jahren über ein besonderes Problem: Immer mehr Patienten, die eigentlich recht harmlose Symptome haben, mit denen sie auch gut zu Hausärzten gehen könnten, kommen am Wochenende und nachts, wenn die Praxen geschlossen haben, bevorzugt in die Notaufnahmen. Außerdem müssen sie dort nicht tage- oder wochenlang auf einen Termin warten. Das ist natürlich nicht der Sinne einer Notaufnahme, und diese Patienten blockieren den Betrieb. Bundesgesundheitsminister Jens Spahn hat bereits Mitte Dezember Grundzüge einer Reform der Notfallversorgung vorgestellt, die sind inzwischen konkreter geworden. Gestern wurde ein Gesetzentwurf bekannt.
Am Telefon ist Professor Harald Dormann, Chefarzt der zentralen Notaufnahme am Klinikum Führt und im Vorstand der Deutschen Gesellschaft für interdisziplinäre Notfall- und Akutmedizin. Guten Morgen, Herr Professor Dormann!
Harald Dormann: Guten Morgen, Herr Schroeder!
Schroeder: Könnten die vorgeschlagenen Regelungen zu einer Entspannung in den Notaufnahmen der Krankenhäuser führen?
Dormann: Zunächst vielen Dank für das Interesse. Der Entwurf, der gestern vorgelegt worden ist, ist ja ein Diskussionsentwurf, und ich denke, dieser Diskussionsentwurf soll auch zur Meinungsbildung letztendlich dienen, bevor letztendlich dann nach der Sommerpause der Entwurf der Fachgesellschaften auch vorgelegt wird.
"Große strukturelle und organisatorische Hürden"
Schroeder: Dann lassen Sie uns einen zentralen Gedanken gleich mal ansprechen. Ein zentraler Gedanke bei der geplanten Regelung ist die Einführung von Notfallleitstellen. Zukünftig soll die Nummer 112 für den Rettungsdienst und die Nummer 116 und 117, unter der die Terminservicestellen der niedergelassenen Ärzte zu erreichen sind, die sollen zukünftig zusammengeschaltet werden. Dort meldet sich also jemand, der den Patienten an die richtige Stelle lotst. Ist das praktikabel?
Dormann: Die Eckpunkte, wie Sie sagen, eines dieser Eckpunkte, die Zusammenlegung der 116 und 117 mit der 112 klingt zunächst mal sehr gut, da der Patient nicht mehr die Wahl hat, selbst zu entscheiden, sondern dort, wenn er anruft, eine entsprechende medizinische Fachexpertise entgegennimmt, die ihm dann den Rat geben kann, okay, Sie können heute in eine Notaufnahme gehen, oder nein, es kommt ein Rettungsmittel vor Ort, oder – und das, glaube ich, soll der große Vorteil auch sein –, dass auch dann ein entsprechender Termin angeboten wird, dass man also sagt, okay, das ist heute kein Notfall, aber morgen hätten wir für Sie einen Termin in der Praxis XY.
Der Grundgedanke ist sehr gut. In der Realität wird man sehr große strukturelle und organisatorische Hürden überwinden müssen, damit man auch genügend qualifiziertes Personal in den Leitstellen vorhalten kann, damit dann dort auch die entsprechende Fachexpertise am Telefon übermittelt werden kann. Aktuell ist ja der Fall, dass bei der 116 und 117 teilweise die Warteschleifen sehr lange sind, sodass also da auf jeden Fall im Detail noch große Aufgaben vor uns liegen. Die Grundidee für den Patienten ist aber zu begrüßen.
"Wir fordern eine höherwertigere medizinische Qualifikation"
Schroeder: Also es muss ja auch schnell gehen beim Notruf, das heißt, es muss gleich jemand da sein und es muss jemand da sein, der auch was von der Sache versteht. Es muss ja eigentlich ein Mediziner sein, der sowas annimmt.
Dormann: Das ist die Anforderung, die wir seitens der Fachgesellschaften auch in den vorbereiteten Gesprächen gefordert haben, dass also dort eine medizinische Qualifikation vorhanden sein muss. Derzeit, muss man sagen, werden die Qualifikationen deutlich reduziert diskutiert, weil man in der Realität die Befürchtung hat, dass man möglicherweise in der breiten Fläche diese Vorhaltung möglicherweise dann nicht schaffen kann.
Das wird jetzt dann darauf ankommen, wie letztendlich auch beispielsweise im gemeinsamen Bundesausschuss das dann auch verabschiedet werden wird. Aber seitens der Fachgesellschaften fordern wir tatsächlich auch hier eine höherwertigere medizinische Qualifikation im Umgang mit Akut- und Notfallpatienten. Zur Hilfe soll dem Ganzen in den Leitstellen eine elektronische Entscheidungsunterstützung gestellt werden, also ein Triage-System, welches deutschlandweit implementiert werden soll, und das soll dann dort die Mitarbeiter auch entsprechend unterstützen.
"Sehen eine Gefährdung für den schwerkranken Patienten"
Schroeder: Ein anderer Kerngedanke des Vorschlages sind die integrierten Notfallzentren, die von Kliniken und den kassenärztlichen Vereinigungen gemeinsam betrieben werden sollen. Diese Notfallzentren sollen eng an ein Krankenhaus angebunden sein und die erste Anlaufstelle für Patienten sein. Dort soll das dann entschieden werden, ob ein Patient sofort in die Notaufnahme geschickt wird oder ambulant weiterbehandelt wird. Wie bewerten Sie diesen Vorschlag?
Dormann: Der erste Gedanke aus Sicht des Patienten ist sehr positiv. Der Patient hat letztendlich eine Anlaufstelle, er muss sich also nicht selbst entscheiden und kann an dieser Anlaufstelle den Hinweis bekommen, in welcher Versorgungsstruktur er optimal versorgt wird.
In der Realität sieht das Ganze etwas anders aus. In der Realität ist es so, dass wir seit letztem Jahr ja bereits flächendeckend in Deutschland in den Notaufnahmen sogenannte Ersteinschätzungssysteme einführen, mit dem Ziel, die kritisch kranken Patienten sofort zu identifizieren, einer Notfallbehandlung zuzuführen und die weniger kritischen Krankenpatienten beispielsweise in eine Bereitschaftspraxis weiterzuleiten.
Das, was momentan im Entwurf ist, birgt die Gefahr, dass vor dieser Risikotriage eine andere Triage vorgeschaltet wird und dass kritische Patienten, die sich selbst einweisen, dann möglicherweise mit einer deutlichen Zeitverzögerung erst in den Notaufnahmen behandelt werden.
Deswegen fordern auch hier die Fachgesellschaften, dass diese Triage in den integrierten Notfallzentren unter der Hoheit von erfahrenen Notfallmedizinern und Notfallpflegekräften durchgeführt wird, eben mit dem Ziel, zunächst den schwerkranken Patienten zu identifizieren und sekundär den leichter erkrankten Patienten dann in die entsprechende Versorgungsstruktur zu überführen.
In dem aktuellen Konzeptentwurf wird dieses Prinzip umgedreht. Da wird momentan davon gesprochen, dass man primär den potenziell ambulanten Patienten in die Versorgungsstruktur der ambulanten Versorgung weiterleitet und dann der Hochrisikopatient erst danach in die Notaufnahmestruktur kommt, und das lehnen wir seitens der Fachgesellschaften ab. Darin sehen wir eine Gefährdung für den schwerkranken Patienten.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.