Beatrice Fock, Oberministrantin, hat dieses Jahr elf Nachwuchsmessdiener. So viel wie lange nicht mehr:
"Wir üben das Ministrieren, weil wir alle Messdiener werden wollen. Letztes Jahr waren wir nur so fünf oder sechs, aber dieses Jahr wollten so viele. Die Gemeinschaft ist einfach ziemlich groß."
Die Gemeinschaft der Kirche. Beim Ministrantenunterricht in der Gemeinde Diedorf hält sie. Aber wenn Pfarrer Hans Fischer ans benachbarte Augsburg denkt, zeigen sich die Risse:
"Da stehen wir gerade in einer ganz schwierigen Situation. Und wenn ich immer so höre: 'Ich bin Mixa-Fan', dann muss ich sagen: Ich bin kein Mixa-Fan. Er erkennt nicht, dass er hier einfach nicht mehr öffentlich auftreten kann."
Mixa-Fans und Mixa-Gegner. Dazwischen gibt es wenig im Bistum Augsburg. Für die einen war der Bischof ein sympathisch-lebensfroher Kirchenfürst, für die anderen ein Lügner und Scheinheiliger. Die Mehrheit tendiert zu Letzterem. Helmut Mangold, der Vorsitzende des Diözesanrates und oberster Laie des Bistums, spricht von Flügeln – und meint damit keine Engel:
"Mixa steht für einen Flügel. Und die Kämpfer für Mixa, hab ich zunehmend den Eindruck aus den Briefen, aus den Mails, aus den Telefonanrufen, die ich krieg, sind fast Kämpfer wie Kreuzritter für den Erhalt der traditionellen Kirche."
Frühmesse im Augsburger Dom. "Lass in unserem Bistum alle Feindschaft aufhören", liest Dompfarrer Konrad Hölzl. "Wir bitten Dich, erhöre uns", antworten die beiden Ministrantinnen neben ihm. Deren Mutter wartet vor der Kirche.
"Also, wir hatten das Problem der Firmung: Meine Älteste ist gefirmt worden. Dass wir dann schon gesagt haben: wenn der Herr Mixa bleibt, dass wir sie nicht firmen lassen. Er ist ja dann doch vorher zurückgetreten, und das war Bedingung."
Der Firmstreit hätte das Bistum beinahe zerrissen. Dutzende Eltern hatten gedroht, ihre Kinder zurückzuziehen. Auch in der Gemeinde Diedorf. Dort hat Pfarrer Fischer mit anderen Geistlichen die sogenannte Pfingsterklärung verfasst. Ein Aufruf zu mehr Mitbestimmung – auch bei der Frage nach Walter Mixas Nachfolger:
"Wir möchten gehört werden, wenn es um einen neuen Bischof geht. Also wir haben schon Kriterien, wie wir uns einen Bischof wünschen. Wir sollten da wirklich viele mit ins Boot nehmen bei solchen Entscheidungen. Das darf nicht immer nur von oben kommen."
Die Pfingsterklärung fordert noch mehr: Sie will wissen, warum Walter Mixa 2006 aus Eichstätt abgezogen und nach Augsburg versetzt wurde. Waren damals schon gravierende Probleme bekannt, die nur nach Augsburg exportiert wurden? Eine unabhängige Untersuchungskommission soll das klären. Rom dürfte das als Affront empfinden. Schließlich war Mixas Versetzung die erste Amtshandlung des neuen Papstes. Rund 4000 Katholiken haben die Pfingsterklärung unterschrieben.
"Der Papst Benedikt XVI. ist sich sicher bewusst, was er unserem Bistum Augsburg damals angetan hat mit Walter Mixa, nach dem, was jetzt klar geworden ist. Und er wird sich sicherlich bemühen, eine Lösung zu finden, die hier gut vermittelbar ist."
Gestern nun empfing Benedikt XVI. Bischof Mixa zu einem persönlichen Gespräch. Im nachfolgenden Kommuniqué ließ der Vatikan ungewöhnlich ausführlich verlauten:
Der Papst hatte mit Schreiben vom 4. Mai 2010 der Bitte des Bischofs um Entpflichtung von seinen Ämtern als Oberhirte der Diözese Augsburg und als deutscher Militärbischof entsprochen; die Endgültigkeit dieser Entscheidung wurde in der Audienz nochmals bestätigt.
Der – im doppelten Wortsinn – Fall des einstigen Augsburger Bischofs Walter Mixa ist symptomatisch für die Lage der katholischen Kirche in Deutschland. Obwohl oder gerade weil es in diesem Fall nicht um sexuellen Missbrauch Minderjähriger geht: Hier kann man nicht auf der Ebene der Aufklärung von Verbrechen durch Priester an jungen Menschen und ihrer Ahndung bleiben.
Hier geht es um die Diskrepanz zwischen kirchlicher Lehre – etwa zur Homosexualität – und dem Verhalten ihrer Prediger; also um die Glaubwürdigkeit der Kirche. Hier geht es um mögliche Veruntreuung von Spenden oder Steuern, dem Geld der Gläubigen, denen Mitbestimmung über die Verwendung oder gar Kontrolle weitestgehend versagt ist. Hier geht es um ein Bischofsamt, das nicht nur geistliche Allzuständigkeit beansprucht, um Strukturen, die ein Fehlverhalten der Entscheidungsträger vielleicht fördern, ihnen zumindest aber die Möglichkeit boten, alles unter den Teppich zu kehren.
"Es sind ja Vorgänge, die 20, 30, 40 Jahre zurückliegen und die durch ein ganz bestimmtes Schweigegebot, fast möchte man sagen Schweigekartell verdeckt waren. Dass sie jetzt besprechbar sind, ist eines der vielen Phänomene kirchlichen Machtverlustes, den man theologisch gesehen natürlich nur begrüßen kann," analysiert Professor Rainer Bucher. Der katholische Pastoraltheologe an der Universität im österreichischen Graz hat sich eingehend mit dem Skandal des sexuellen Missbrauchs in der Kirche beschäftigt; den stellt er, im Einklang mit Fachwissenschaftlern, in einen Zusammenhang mit dem Missbrauch von geistlicher Macht. Die allgemeine Empörung bringt Claudia Lücking-Michel zum Ausdruck; sie ist Vizepräsidentin der bundesweiten Vertretung der Laien: des Zentralkomitees der deutschen Katholiken:
"Sie sind nicht nur wütend und entsetzt über das, was da angesichts der Taten einzelner herauskommt, sondern vor allen Dingen auch, wie Kirche damit umgeht. Je mehr rauskommt, und je mehr uns da vor Augen geführt wird, wird deutlich, dass Strukturen und Probleme, die viele sicherlich von uns im Blick auf Kirche immer schon konstatiert haben, und wo sie Änderungen eingefordert haben, hier jetzt endgültig versagen. Mir geht es so, jetzt platzt einem irgendwann der Kragen."
Brosseder: "Im Augenblick haben wir ja in Deutschland eine Krise. Daran kann kein Zweifel bestehen."
Professor Johannes Brosseder, der an der Universität angehende katholische Religionslehrer ausgebildet hat, führt die prekäre Lage der Kirche nicht nur auf die aktuellen Skandale zurück, sondern auf eine Jahrzehnte währende Entwicklung:
"Diese Krise hat aber auch tiefere Ursachen, und sie hängt mit einem Reformstau zusammen, der schon seit dem Zweiten Vatikanischen Konzil nicht wirklich in Angriff genommen worden ist."
Das Konzil, die weltweite Bischofsversammlung, hatte in den 1960er-Jahren etwa die alte, schon vorreformatorische Lehre vom Priestertum aller Gläubigen wieder entdeckt und damit auch den Laien eine Mitverantwortung für die Kirche zugesprochen.
"Daraufhin haben wir Diözesanräte, Pfarrgemeinderäte bekommen. Bei diesen Räten ist es geblieben, und eine wirkliche Mitbestimmung dieser Räte ist bis jetzt nicht gegeben. Im Gegenteil, wir haben eine ziemlich starke Re-Klerikalisierung bekommen, und im Grunde unser Kirchenverständnis – und darin sehe ich die eigentliche Krise – bischofs- und papstzentriert ausgerichtet."
Krassestes Beispiel: Der Regensburger Bischof Müller hat seinen aus den Gemeinden heraus gewählten Diözesanrat kurzerhand vor die Tür gesetzt, weil das Laien-Gremium ihm zu kritisch wurde; nach einer neuen Satzung hat er sich seither mit einem lammfrommen Beratungsorgan umgeben. Auch in anderen Bistümern und Gemeinden werden gewählte Gemeindevertreter, die sich zu eigenständig geben, ausgegrenzt. Und immer wieder kommt es zu heftigen Auseinandersetzungen über obrigkeitliche Besetzung von Pfarrstellen, über vatikanische Entscheidungen und Erklärungen des Papstes. Professor Brosseder erinnert an die von Benedikt XVI. beförderte Aufhebung der Exkommunikation der Bischöfe der Piusbruderschaft:
"Die ja ihrerseits bedeutsame Texte des Zweiten Vatikanischen Konzils komplett ablehnt. Das halte ich für einen solchen Versuch, das, was das Konzil gebracht hat, wieder zurückzunehmen."
Durch solche Fixierungen des kirchlichen Lebens auf Priester, Bischof und Papst ist eine deutliche Kluft entstanden zwischen dem größten Teil der kirchlichen Basis, die sich nicht mehr alles dekretieren lässt, und den Bistumsleitungen. Zahlreiche Theologen verwenden für diese Teilung den Fachbegriff für eine Kirchenspaltung: Schisma.
"Faktisch haben wir ein solches Schisma, und zwar ein Schisma, das von oben eingeführt worden ist, wenn man unter ,von oben' die kirchliche Hierarchie begreift. Sie lebt in der Tat irgendwo weltfremd und hat sich vom Kirchenvolk auch mehr oder weniger abgesondert."
Die Zahl der Katholiken, die dieses Erscheinungsbild für zeit- und kirchengemäß halten, die allen Entscheidungen der Kirchenleitungen und ihren Verhaltensweisen zustimmen, wird immer kleiner.
"Ich denke, es gibt schon viele Katholiken, die von ihrer Kirche noch einiges erwarten: Lebensbegleitung, sakramentale Begleitung, Seelsorge, auch sehr viel soziales Engagement und Engagement für Gerechtigkeit und Frieden, und die sich zunehmend fragen, ob die konkret vorfindliche Kirche das leistet. Es ist eine Situation zwischen Hoffen und Bangen."
Kommentiert der Pastoraltheologe Bucher die eben veröffentlichte Allensbach-Umfrage unter Katholiken namens "Trendmonitor Religiöse Kommunikation 2010". Sie bestätigt frühere Erhebungen, wonach zwei Drittel bis drei Viertel der Kirchenmitglieder den Zölibat, also die verpflichtende Ehelosigkeit der Priester, sowie das Verbot des Frauenpriestertums, die Ablehnung künstlicher Empfängnisverhütung, die Diskriminierung von Homosexuellen und den rigorosen Umgang mit innerkirchlichen Kritikern ablehnen, sich also deutlich von offiziellen Positionen der Kirche absetzen. Weithin wird beklagt, dass die Kirchenleitung jede Diskussion über solche Fragen zu unterbinden, ja zu verbieten versucht.
"Es gibt zum Beispiel das Phänomen, dass immer mehr kirchlich Engagierte jetzt aus der Kirche austreten, also nicht nur jene, die schon länger distanziert waren. Die Zahl derer, die kritisch mit der Kirche verbunden sind, ist ungefähr doppelt so hoch wie die Zahl derer, die relativ unhinterfragt mit ihr verbunden sind."
Besonders dadurch, dass Frauen nicht zum geistlichen Amt in der Kirche zugelassen werden dürfen, sieht Bucher die gesellschaftliche und politische Bedeutung der katholischen Kirche schwinden.
"Die Position, die die katholische Kirche da offiziell hat zu sagen, Mann und Frau haben zwar die gleiche Würde, aber nicht die gleichen Rechte, wird auf Dauer nicht mehr plausibilisierbar sein in unserer Gesellschaft und deswegen unsere Kirche zunehmend marginalisieren."
Ob die katholische Kirche bei den Gläubigen ihre Glaubwürdigkeit wiedergewinnen und ihren Standort in der deutschen Gesellschaft behaupten kann, wird nicht zuletzt davon abhängig sein, wie die Kirchenleitung den Skandal des sexuellen Missbrauchs durch Priester und den Fall Mixa aufarbeitet. Ein bloßes Aussitzen, bis die öffentliche Erregung sich gelegt hat, - von einigen Bischöfen sehr gewünscht – werde kaum mehr möglich sein, hofft Claudia Lücking-Michel vom Zentralkomitee der Katholiken.
"Wo es Kartelle gibt, wird man versuchen, sich gegenseitig zu schützen. Was es dann braucht, sind Mechanismen kritischer Machtkontrolle. Also in dem Moment, wo das durchgehen kann, ohne dass an irgendeiner Stelle man rechenschaftspflichtig ist, dann irgendwann mal sich zur Wahl stellen muss oder argumentieren muss, was man getan oder vor allen Dingen unterlassen hat mit den Möglichkeiten seines Amtes, wird solchen Praktiken natürlich Vorschub geleistet."
Eben deshalb hat das Laienkomitee gefordert, mit der schonungslosen Aufklärung des Missbrauchsskandals müssten auch die nötigen Strukturreformen auf die Tagesordnung kommen. Vor fast 20 Jahren schon hat das Zentralkomitee den Bischöfen Dialogverweigerung vorgehalten; geändert hat sich seither fast nichts. Immerhin haben Bischofskonferenz und Zentralkomitee für November eine Arbeitstagung zur "Zukunft der Kirche" beschlossen.
Lücking-Michel: "Ich kann nur sagen, was ich einbringen werde als Forderung: Beteiligung von Laien nicht nur an der Arbeit, sondern auch an der Gestaltung an der Macht, die Frage nach der Rolle der Frauen, die Frage nach den Zulassungskriterien zum Priestertum, die Frage von Zentralismus und sozusagen Pluralität und Vielfalt, die Frage, wer bestimmt über das Geld, Arbeitsrecht, Transparenz der Entscheidungsstrukturen. Wahrlich, das sind keine neuen Themen. Aber dadurch, dass sie schon uralt sind, heißt das ja nicht, dass es nicht umso dringender ist, darüber zu diskutieren."
Man weiß in den Laiengremien, dass es auch in der Bischofskonferenz zu den aufgeworfenen Fragen unterschiedliche Auffassungen gibt. Doch in die Öffentlichkeit und in die Kirche hinein wird im Sinne eines Korps-Geistes der Eindruck von Eintracht vermittelt, als schade es den Interessen und dem Ansehen der Kirche, wenn Meinungsdifferenzen bekannt würden. Insofern ist es ein beachtlicher Vorgang, dass die Erzbischöfe Robert Zollitsch und Reinhard Marx im Fall Mixa erstmals einen Kollegen öffentlich aufgefordert hatten, sich zurückzuziehen. Die Vorsitzenden der Deutschen und der Bayerischen Bischofskonferenz stellten zur Schadensbegrenzung die bislang vermeintliche Kirchenräson hintan. Davon scheint Papst Benedikt XVI. freilich wenig zu halten. Nicht nur, dass er in seinem gestrigen Kommuniqué die bisherige Art des Umgangs deutscher Bischöfe mit Mixa recht unverhohlen kritisierte – darüber hinaus ließ er verkünden:
Bischof Mixa wird sich zu einer Zeit des Schweigens, der Sammlung und des Gebets zurückziehen und nach einer Periode der therapeutischen Behandlungen und der Versöhnung wie andere emeritierte Bischöfe für Aufgaben der Seelsorge im Einvernehmen mit seinem Nachfolger zur Verfügung stehen.
Im Klartext: Die Katholiken des Bistums Augsburg können sich keineswegs sicher sein, dass Walter Mixa nicht irgendwann – in welcher Funktion auch immer – zurückkehren wird. Das Kommuniqué des Papstes könnte damit die Flut von Austritten eher anwachsen als abflauen lassen.
Vor den Stufen des Augsburger Standesamtes steht Petra Seifert, 25 Jahre alt, katholisch. Sie hat gerade das Formular 16/501 ausgefüllt, 31 Euro gezahlt und ihrer Kirche Ade gesagt:
"Diese Geschichte mit dem Herrn Mixa, das hat das Fass zum Überlaufen gebracht. Die predigen ja Wasser und trinken Wein. Und irgendwie will ich da nicht mehr länger mit dabei sein in diesem Verein."
Petra Seifert war keine regelmäßige Kirchgängerin. Sie kam nur Weihnachten und Ostern zur Messe. Bei Peter Hummel ist es anders. Er ist Gemeinderatsmitglied von St. Ulrich und Afra in Augsburg. Jeden Sonntag sitzt er im Gottesdienst, Reihe 4:
"Ich bin am Tag meiner Geburt getauft worden, katholisch, engagiert, liebe diese Kirche und kam jetzt zum ersten Mal, mit 42 Jahren, ins Grübeln, weil ich mir sagte: In was für einer Kirche bin ich Mitglied, in der so etwas überhaupt passieren kann?"
Mit "so etwas" umschreibt Peter Hummel, was er mit Altbischof Mixa erlebt hat. Eines Abends, nach einer Kirchenfeier:
"An dem Abend, als ich neben ihm saß, wurde mir deutlich vor Augen geführt, dass der Mann ein gestörtes Verhältnis hat, was körperliche Nähe zu anderen betrifft."
Mehr will Peter Hummel dazu nicht sagen, zumindest nicht öffentlich.
"An den Abend möchte ich mich nicht so gern erinnern."
Wenn selbst glaubensfeste Katholiken wie Peter Hummel ihre Mitgliedschaft überdenken, dann hat das Bistum Augsburg ein akutes Problem. Helmut Mangold ist Vorsitzender des Diözesanrates und damit Vertreter von 1,4 Millionen registrierten Gläubigen. Er macht sich Sorgen:
"Es treten jetzt eben vermehrt Leute aus, die sehr engagiert waren. Und die durch die Vorgänge so erschüttert sind, dass sie sagen: In dieser Kirche will ich nicht mehr bleiben. Ich bleibe irgendwie christlich, aber ich suche mir eine andere Heimat."
Diese andere, neue Heimat beginnt zwei Gehminuten vom Bischofspalais entfernt. Immer mehr Katholiken klopfen an die Glastür von Silke Kirchbergers Büro. Die Augsburger Pfarrerin führt die Eintrittstelle der evangelischen Kirche.
Bei einer Tasse Tee erläutert Silke Kirchberger, dass die katholische Taufe auch in der evangelischen Kirche gilt. Dann denkt sie laut über Motivationen für den Übertritt nach:
"Und da hat man in den letzten Wochen schon gemerkt, dass eine Unzufriedenheit, die schon vorher da war, durch die ganzen Unruhen innerhalb der katholischen Kirche, dass die der letzte Stein des Anstoßes waren, weshalb diese Menschen dann ausgetreten sind."
Während Pfarrerin Silke Kirchberger eher Mitleid für die katholische Kirche empfindet, zelebriert Gerhard Rampp offen seine Schadenfreude. Der überzeugte Atheist begrüßt in einem Augsburger Biergarten die Mitglieder seines "Bundes für Geistesfreiheit":
"Ich darf Euch heute herzlich begrüßen zu einem Stammtisch. Und heute haben wir ein ganz aktuelles Thema: der Mixa, der uns ja wirklich Hilfsdienste leistet. Wir müssten ihn ja fast schon Ehrenmitglied vom 'Bund für Geistesfreiheit' nennen. So viel, wie der für uns getan hat und für die Säkularisierung der Gesellschaft, haben wir durch unsere Kirchenaustritts-Flugblätter in den letzten 20 Jahren nicht geschafft."
Die Causa Mixa, so ätzt der Ethik-Lehrer Gerhard Rampp, beschleunige den Zerfall der katholischen Kirche.
"Das ist so ein Effekt wie bei der Abwrackprämie. Wenn es danach ginge, was sie am liebsten täten, müssten heuer eigentlich zwei Millionen Katholiken austreten. Tut aber nicht mal ein Zehntel davon."
Auch Peter Hummel wird nicht austreten. Ich bin kein Typ, der schnell aufgibt, sagt der Vater zweier Kinder, die beide ministrieren.
"Für mich ist meine Pfarrgemeinde mein katholischer Mittelpunkt. Der Bischof und Rom, die brauch ich nicht unbedingt für mein Katholischsein. Nur: ich erwarte von denen, dass die nicht gegen mein Verständnis von Katholizismus arbeiten. Und das hat Bischof Mixa zuletzt gemacht, indem er sich in eine solche Situation hineinmanövriert hat oder natürlich auch hinein manövrieren ließ."
"Wir üben das Ministrieren, weil wir alle Messdiener werden wollen. Letztes Jahr waren wir nur so fünf oder sechs, aber dieses Jahr wollten so viele. Die Gemeinschaft ist einfach ziemlich groß."
Die Gemeinschaft der Kirche. Beim Ministrantenunterricht in der Gemeinde Diedorf hält sie. Aber wenn Pfarrer Hans Fischer ans benachbarte Augsburg denkt, zeigen sich die Risse:
"Da stehen wir gerade in einer ganz schwierigen Situation. Und wenn ich immer so höre: 'Ich bin Mixa-Fan', dann muss ich sagen: Ich bin kein Mixa-Fan. Er erkennt nicht, dass er hier einfach nicht mehr öffentlich auftreten kann."
Mixa-Fans und Mixa-Gegner. Dazwischen gibt es wenig im Bistum Augsburg. Für die einen war der Bischof ein sympathisch-lebensfroher Kirchenfürst, für die anderen ein Lügner und Scheinheiliger. Die Mehrheit tendiert zu Letzterem. Helmut Mangold, der Vorsitzende des Diözesanrates und oberster Laie des Bistums, spricht von Flügeln – und meint damit keine Engel:
"Mixa steht für einen Flügel. Und die Kämpfer für Mixa, hab ich zunehmend den Eindruck aus den Briefen, aus den Mails, aus den Telefonanrufen, die ich krieg, sind fast Kämpfer wie Kreuzritter für den Erhalt der traditionellen Kirche."
Frühmesse im Augsburger Dom. "Lass in unserem Bistum alle Feindschaft aufhören", liest Dompfarrer Konrad Hölzl. "Wir bitten Dich, erhöre uns", antworten die beiden Ministrantinnen neben ihm. Deren Mutter wartet vor der Kirche.
"Also, wir hatten das Problem der Firmung: Meine Älteste ist gefirmt worden. Dass wir dann schon gesagt haben: wenn der Herr Mixa bleibt, dass wir sie nicht firmen lassen. Er ist ja dann doch vorher zurückgetreten, und das war Bedingung."
Der Firmstreit hätte das Bistum beinahe zerrissen. Dutzende Eltern hatten gedroht, ihre Kinder zurückzuziehen. Auch in der Gemeinde Diedorf. Dort hat Pfarrer Fischer mit anderen Geistlichen die sogenannte Pfingsterklärung verfasst. Ein Aufruf zu mehr Mitbestimmung – auch bei der Frage nach Walter Mixas Nachfolger:
"Wir möchten gehört werden, wenn es um einen neuen Bischof geht. Also wir haben schon Kriterien, wie wir uns einen Bischof wünschen. Wir sollten da wirklich viele mit ins Boot nehmen bei solchen Entscheidungen. Das darf nicht immer nur von oben kommen."
Die Pfingsterklärung fordert noch mehr: Sie will wissen, warum Walter Mixa 2006 aus Eichstätt abgezogen und nach Augsburg versetzt wurde. Waren damals schon gravierende Probleme bekannt, die nur nach Augsburg exportiert wurden? Eine unabhängige Untersuchungskommission soll das klären. Rom dürfte das als Affront empfinden. Schließlich war Mixas Versetzung die erste Amtshandlung des neuen Papstes. Rund 4000 Katholiken haben die Pfingsterklärung unterschrieben.
"Der Papst Benedikt XVI. ist sich sicher bewusst, was er unserem Bistum Augsburg damals angetan hat mit Walter Mixa, nach dem, was jetzt klar geworden ist. Und er wird sich sicherlich bemühen, eine Lösung zu finden, die hier gut vermittelbar ist."
Gestern nun empfing Benedikt XVI. Bischof Mixa zu einem persönlichen Gespräch. Im nachfolgenden Kommuniqué ließ der Vatikan ungewöhnlich ausführlich verlauten:
Der Papst hatte mit Schreiben vom 4. Mai 2010 der Bitte des Bischofs um Entpflichtung von seinen Ämtern als Oberhirte der Diözese Augsburg und als deutscher Militärbischof entsprochen; die Endgültigkeit dieser Entscheidung wurde in der Audienz nochmals bestätigt.
Der – im doppelten Wortsinn – Fall des einstigen Augsburger Bischofs Walter Mixa ist symptomatisch für die Lage der katholischen Kirche in Deutschland. Obwohl oder gerade weil es in diesem Fall nicht um sexuellen Missbrauch Minderjähriger geht: Hier kann man nicht auf der Ebene der Aufklärung von Verbrechen durch Priester an jungen Menschen und ihrer Ahndung bleiben.
Hier geht es um die Diskrepanz zwischen kirchlicher Lehre – etwa zur Homosexualität – und dem Verhalten ihrer Prediger; also um die Glaubwürdigkeit der Kirche. Hier geht es um mögliche Veruntreuung von Spenden oder Steuern, dem Geld der Gläubigen, denen Mitbestimmung über die Verwendung oder gar Kontrolle weitestgehend versagt ist. Hier geht es um ein Bischofsamt, das nicht nur geistliche Allzuständigkeit beansprucht, um Strukturen, die ein Fehlverhalten der Entscheidungsträger vielleicht fördern, ihnen zumindest aber die Möglichkeit boten, alles unter den Teppich zu kehren.
"Es sind ja Vorgänge, die 20, 30, 40 Jahre zurückliegen und die durch ein ganz bestimmtes Schweigegebot, fast möchte man sagen Schweigekartell verdeckt waren. Dass sie jetzt besprechbar sind, ist eines der vielen Phänomene kirchlichen Machtverlustes, den man theologisch gesehen natürlich nur begrüßen kann," analysiert Professor Rainer Bucher. Der katholische Pastoraltheologe an der Universität im österreichischen Graz hat sich eingehend mit dem Skandal des sexuellen Missbrauchs in der Kirche beschäftigt; den stellt er, im Einklang mit Fachwissenschaftlern, in einen Zusammenhang mit dem Missbrauch von geistlicher Macht. Die allgemeine Empörung bringt Claudia Lücking-Michel zum Ausdruck; sie ist Vizepräsidentin der bundesweiten Vertretung der Laien: des Zentralkomitees der deutschen Katholiken:
"Sie sind nicht nur wütend und entsetzt über das, was da angesichts der Taten einzelner herauskommt, sondern vor allen Dingen auch, wie Kirche damit umgeht. Je mehr rauskommt, und je mehr uns da vor Augen geführt wird, wird deutlich, dass Strukturen und Probleme, die viele sicherlich von uns im Blick auf Kirche immer schon konstatiert haben, und wo sie Änderungen eingefordert haben, hier jetzt endgültig versagen. Mir geht es so, jetzt platzt einem irgendwann der Kragen."
Brosseder: "Im Augenblick haben wir ja in Deutschland eine Krise. Daran kann kein Zweifel bestehen."
Professor Johannes Brosseder, der an der Universität angehende katholische Religionslehrer ausgebildet hat, führt die prekäre Lage der Kirche nicht nur auf die aktuellen Skandale zurück, sondern auf eine Jahrzehnte währende Entwicklung:
"Diese Krise hat aber auch tiefere Ursachen, und sie hängt mit einem Reformstau zusammen, der schon seit dem Zweiten Vatikanischen Konzil nicht wirklich in Angriff genommen worden ist."
Das Konzil, die weltweite Bischofsversammlung, hatte in den 1960er-Jahren etwa die alte, schon vorreformatorische Lehre vom Priestertum aller Gläubigen wieder entdeckt und damit auch den Laien eine Mitverantwortung für die Kirche zugesprochen.
"Daraufhin haben wir Diözesanräte, Pfarrgemeinderäte bekommen. Bei diesen Räten ist es geblieben, und eine wirkliche Mitbestimmung dieser Räte ist bis jetzt nicht gegeben. Im Gegenteil, wir haben eine ziemlich starke Re-Klerikalisierung bekommen, und im Grunde unser Kirchenverständnis – und darin sehe ich die eigentliche Krise – bischofs- und papstzentriert ausgerichtet."
Krassestes Beispiel: Der Regensburger Bischof Müller hat seinen aus den Gemeinden heraus gewählten Diözesanrat kurzerhand vor die Tür gesetzt, weil das Laien-Gremium ihm zu kritisch wurde; nach einer neuen Satzung hat er sich seither mit einem lammfrommen Beratungsorgan umgeben. Auch in anderen Bistümern und Gemeinden werden gewählte Gemeindevertreter, die sich zu eigenständig geben, ausgegrenzt. Und immer wieder kommt es zu heftigen Auseinandersetzungen über obrigkeitliche Besetzung von Pfarrstellen, über vatikanische Entscheidungen und Erklärungen des Papstes. Professor Brosseder erinnert an die von Benedikt XVI. beförderte Aufhebung der Exkommunikation der Bischöfe der Piusbruderschaft:
"Die ja ihrerseits bedeutsame Texte des Zweiten Vatikanischen Konzils komplett ablehnt. Das halte ich für einen solchen Versuch, das, was das Konzil gebracht hat, wieder zurückzunehmen."
Durch solche Fixierungen des kirchlichen Lebens auf Priester, Bischof und Papst ist eine deutliche Kluft entstanden zwischen dem größten Teil der kirchlichen Basis, die sich nicht mehr alles dekretieren lässt, und den Bistumsleitungen. Zahlreiche Theologen verwenden für diese Teilung den Fachbegriff für eine Kirchenspaltung: Schisma.
"Faktisch haben wir ein solches Schisma, und zwar ein Schisma, das von oben eingeführt worden ist, wenn man unter ,von oben' die kirchliche Hierarchie begreift. Sie lebt in der Tat irgendwo weltfremd und hat sich vom Kirchenvolk auch mehr oder weniger abgesondert."
Die Zahl der Katholiken, die dieses Erscheinungsbild für zeit- und kirchengemäß halten, die allen Entscheidungen der Kirchenleitungen und ihren Verhaltensweisen zustimmen, wird immer kleiner.
"Ich denke, es gibt schon viele Katholiken, die von ihrer Kirche noch einiges erwarten: Lebensbegleitung, sakramentale Begleitung, Seelsorge, auch sehr viel soziales Engagement und Engagement für Gerechtigkeit und Frieden, und die sich zunehmend fragen, ob die konkret vorfindliche Kirche das leistet. Es ist eine Situation zwischen Hoffen und Bangen."
Kommentiert der Pastoraltheologe Bucher die eben veröffentlichte Allensbach-Umfrage unter Katholiken namens "Trendmonitor Religiöse Kommunikation 2010". Sie bestätigt frühere Erhebungen, wonach zwei Drittel bis drei Viertel der Kirchenmitglieder den Zölibat, also die verpflichtende Ehelosigkeit der Priester, sowie das Verbot des Frauenpriestertums, die Ablehnung künstlicher Empfängnisverhütung, die Diskriminierung von Homosexuellen und den rigorosen Umgang mit innerkirchlichen Kritikern ablehnen, sich also deutlich von offiziellen Positionen der Kirche absetzen. Weithin wird beklagt, dass die Kirchenleitung jede Diskussion über solche Fragen zu unterbinden, ja zu verbieten versucht.
"Es gibt zum Beispiel das Phänomen, dass immer mehr kirchlich Engagierte jetzt aus der Kirche austreten, also nicht nur jene, die schon länger distanziert waren. Die Zahl derer, die kritisch mit der Kirche verbunden sind, ist ungefähr doppelt so hoch wie die Zahl derer, die relativ unhinterfragt mit ihr verbunden sind."
Besonders dadurch, dass Frauen nicht zum geistlichen Amt in der Kirche zugelassen werden dürfen, sieht Bucher die gesellschaftliche und politische Bedeutung der katholischen Kirche schwinden.
"Die Position, die die katholische Kirche da offiziell hat zu sagen, Mann und Frau haben zwar die gleiche Würde, aber nicht die gleichen Rechte, wird auf Dauer nicht mehr plausibilisierbar sein in unserer Gesellschaft und deswegen unsere Kirche zunehmend marginalisieren."
Ob die katholische Kirche bei den Gläubigen ihre Glaubwürdigkeit wiedergewinnen und ihren Standort in der deutschen Gesellschaft behaupten kann, wird nicht zuletzt davon abhängig sein, wie die Kirchenleitung den Skandal des sexuellen Missbrauchs durch Priester und den Fall Mixa aufarbeitet. Ein bloßes Aussitzen, bis die öffentliche Erregung sich gelegt hat, - von einigen Bischöfen sehr gewünscht – werde kaum mehr möglich sein, hofft Claudia Lücking-Michel vom Zentralkomitee der Katholiken.
"Wo es Kartelle gibt, wird man versuchen, sich gegenseitig zu schützen. Was es dann braucht, sind Mechanismen kritischer Machtkontrolle. Also in dem Moment, wo das durchgehen kann, ohne dass an irgendeiner Stelle man rechenschaftspflichtig ist, dann irgendwann mal sich zur Wahl stellen muss oder argumentieren muss, was man getan oder vor allen Dingen unterlassen hat mit den Möglichkeiten seines Amtes, wird solchen Praktiken natürlich Vorschub geleistet."
Eben deshalb hat das Laienkomitee gefordert, mit der schonungslosen Aufklärung des Missbrauchsskandals müssten auch die nötigen Strukturreformen auf die Tagesordnung kommen. Vor fast 20 Jahren schon hat das Zentralkomitee den Bischöfen Dialogverweigerung vorgehalten; geändert hat sich seither fast nichts. Immerhin haben Bischofskonferenz und Zentralkomitee für November eine Arbeitstagung zur "Zukunft der Kirche" beschlossen.
Lücking-Michel: "Ich kann nur sagen, was ich einbringen werde als Forderung: Beteiligung von Laien nicht nur an der Arbeit, sondern auch an der Gestaltung an der Macht, die Frage nach der Rolle der Frauen, die Frage nach den Zulassungskriterien zum Priestertum, die Frage von Zentralismus und sozusagen Pluralität und Vielfalt, die Frage, wer bestimmt über das Geld, Arbeitsrecht, Transparenz der Entscheidungsstrukturen. Wahrlich, das sind keine neuen Themen. Aber dadurch, dass sie schon uralt sind, heißt das ja nicht, dass es nicht umso dringender ist, darüber zu diskutieren."
Man weiß in den Laiengremien, dass es auch in der Bischofskonferenz zu den aufgeworfenen Fragen unterschiedliche Auffassungen gibt. Doch in die Öffentlichkeit und in die Kirche hinein wird im Sinne eines Korps-Geistes der Eindruck von Eintracht vermittelt, als schade es den Interessen und dem Ansehen der Kirche, wenn Meinungsdifferenzen bekannt würden. Insofern ist es ein beachtlicher Vorgang, dass die Erzbischöfe Robert Zollitsch und Reinhard Marx im Fall Mixa erstmals einen Kollegen öffentlich aufgefordert hatten, sich zurückzuziehen. Die Vorsitzenden der Deutschen und der Bayerischen Bischofskonferenz stellten zur Schadensbegrenzung die bislang vermeintliche Kirchenräson hintan. Davon scheint Papst Benedikt XVI. freilich wenig zu halten. Nicht nur, dass er in seinem gestrigen Kommuniqué die bisherige Art des Umgangs deutscher Bischöfe mit Mixa recht unverhohlen kritisierte – darüber hinaus ließ er verkünden:
Bischof Mixa wird sich zu einer Zeit des Schweigens, der Sammlung und des Gebets zurückziehen und nach einer Periode der therapeutischen Behandlungen und der Versöhnung wie andere emeritierte Bischöfe für Aufgaben der Seelsorge im Einvernehmen mit seinem Nachfolger zur Verfügung stehen.
Im Klartext: Die Katholiken des Bistums Augsburg können sich keineswegs sicher sein, dass Walter Mixa nicht irgendwann – in welcher Funktion auch immer – zurückkehren wird. Das Kommuniqué des Papstes könnte damit die Flut von Austritten eher anwachsen als abflauen lassen.
Vor den Stufen des Augsburger Standesamtes steht Petra Seifert, 25 Jahre alt, katholisch. Sie hat gerade das Formular 16/501 ausgefüllt, 31 Euro gezahlt und ihrer Kirche Ade gesagt:
"Diese Geschichte mit dem Herrn Mixa, das hat das Fass zum Überlaufen gebracht. Die predigen ja Wasser und trinken Wein. Und irgendwie will ich da nicht mehr länger mit dabei sein in diesem Verein."
Petra Seifert war keine regelmäßige Kirchgängerin. Sie kam nur Weihnachten und Ostern zur Messe. Bei Peter Hummel ist es anders. Er ist Gemeinderatsmitglied von St. Ulrich und Afra in Augsburg. Jeden Sonntag sitzt er im Gottesdienst, Reihe 4:
"Ich bin am Tag meiner Geburt getauft worden, katholisch, engagiert, liebe diese Kirche und kam jetzt zum ersten Mal, mit 42 Jahren, ins Grübeln, weil ich mir sagte: In was für einer Kirche bin ich Mitglied, in der so etwas überhaupt passieren kann?"
Mit "so etwas" umschreibt Peter Hummel, was er mit Altbischof Mixa erlebt hat. Eines Abends, nach einer Kirchenfeier:
"An dem Abend, als ich neben ihm saß, wurde mir deutlich vor Augen geführt, dass der Mann ein gestörtes Verhältnis hat, was körperliche Nähe zu anderen betrifft."
Mehr will Peter Hummel dazu nicht sagen, zumindest nicht öffentlich.
"An den Abend möchte ich mich nicht so gern erinnern."
Wenn selbst glaubensfeste Katholiken wie Peter Hummel ihre Mitgliedschaft überdenken, dann hat das Bistum Augsburg ein akutes Problem. Helmut Mangold ist Vorsitzender des Diözesanrates und damit Vertreter von 1,4 Millionen registrierten Gläubigen. Er macht sich Sorgen:
"Es treten jetzt eben vermehrt Leute aus, die sehr engagiert waren. Und die durch die Vorgänge so erschüttert sind, dass sie sagen: In dieser Kirche will ich nicht mehr bleiben. Ich bleibe irgendwie christlich, aber ich suche mir eine andere Heimat."
Diese andere, neue Heimat beginnt zwei Gehminuten vom Bischofspalais entfernt. Immer mehr Katholiken klopfen an die Glastür von Silke Kirchbergers Büro. Die Augsburger Pfarrerin führt die Eintrittstelle der evangelischen Kirche.
Bei einer Tasse Tee erläutert Silke Kirchberger, dass die katholische Taufe auch in der evangelischen Kirche gilt. Dann denkt sie laut über Motivationen für den Übertritt nach:
"Und da hat man in den letzten Wochen schon gemerkt, dass eine Unzufriedenheit, die schon vorher da war, durch die ganzen Unruhen innerhalb der katholischen Kirche, dass die der letzte Stein des Anstoßes waren, weshalb diese Menschen dann ausgetreten sind."
Während Pfarrerin Silke Kirchberger eher Mitleid für die katholische Kirche empfindet, zelebriert Gerhard Rampp offen seine Schadenfreude. Der überzeugte Atheist begrüßt in einem Augsburger Biergarten die Mitglieder seines "Bundes für Geistesfreiheit":
"Ich darf Euch heute herzlich begrüßen zu einem Stammtisch. Und heute haben wir ein ganz aktuelles Thema: der Mixa, der uns ja wirklich Hilfsdienste leistet. Wir müssten ihn ja fast schon Ehrenmitglied vom 'Bund für Geistesfreiheit' nennen. So viel, wie der für uns getan hat und für die Säkularisierung der Gesellschaft, haben wir durch unsere Kirchenaustritts-Flugblätter in den letzten 20 Jahren nicht geschafft."
Die Causa Mixa, so ätzt der Ethik-Lehrer Gerhard Rampp, beschleunige den Zerfall der katholischen Kirche.
"Das ist so ein Effekt wie bei der Abwrackprämie. Wenn es danach ginge, was sie am liebsten täten, müssten heuer eigentlich zwei Millionen Katholiken austreten. Tut aber nicht mal ein Zehntel davon."
Auch Peter Hummel wird nicht austreten. Ich bin kein Typ, der schnell aufgibt, sagt der Vater zweier Kinder, die beide ministrieren.
"Für mich ist meine Pfarrgemeinde mein katholischer Mittelpunkt. Der Bischof und Rom, die brauch ich nicht unbedingt für mein Katholischsein. Nur: ich erwarte von denen, dass die nicht gegen mein Verständnis von Katholizismus arbeiten. Und das hat Bischof Mixa zuletzt gemacht, indem er sich in eine solche Situation hineinmanövriert hat oder natürlich auch hinein manövrieren ließ."