Christoph Heinemann: Griechenland hat geliefert. Fragt sich nur: Was? Gestern Abend traf eine Liste mit Reformvorstellungen der Regierung Tsipras in Brüssel ein, 13 Seiten lang - für abergläubische Menschen kein gutes Omen - und nicht ohne Forderung. Athen möchte im Gegenzug ein neues dreijähriges Rettungsprogramm im Umfang von 53,5 Milliarden Euro aus dem Euro-Rettungsschirm ESM. Der französische Staatspräsident Francois Hollande sagte dazu in Paris: Die Griechen haben ihren Willen gezeigt, in der Eurozone zu bleiben, denn das Programm, das sie vorgelegt haben, ist seriös und glaubwürdig. Am Telefon ist Carsten Schneider, Haushalts- und Finanzpolitiker und stellvertretender Vorsitzender der SPD-Bundestagsfraktion. Guten Tag!
Carsten Schneider: Guten Tag! Ich grüße Sie.
Heinemann: Hat Griechenland geliefert, worauf Euroland seit Januar wartet?
Schneider: Ja. Das ist ein sehr ernsthafter Vorschlag, den der Herr Tsakalotos, der Finanzminister, jetzt vorgelegt hat. Die Dinge, die adressiert sind, sind zum einen die Verwaltungsreform, aber auch die Notwendigkeit, eine bestimmte Renaissance in der Wirtschaft zu gewinnen, mehr Freiheit zuzulassen, und auch die Steuereinnahmen zu verbessern. Das ist alles das, Ihr Korrespondent hat es ja schon gesagt, was eigentlich schon in der Liste stand Ende Juni, auch was wir als Sozialdemokraten immer gefordert haben. Die Griechen müssen schauen, dass sie auf eigenen Beinen dauerhaft stehen können, und auch ein längeres Programm, nicht nur so kurzfristige Sachen, die sowieso nicht langfristig tragen. Das hat Substanz und jetzt muss man gucken, ob die Zahlen im Endeffekt auch stimmen. Aber es ist zumindest der wirklich erste ernsthafte seriöse Aufschlag.
Heinemann: Aber im Prinzip, wie Sie doch selber gesagt haben, alter Wein in neuen Schläuchen. Ist schön reden an Tagen wie diesen erste Politikerpflicht?
Schneider: Nein, überhaupt nicht. Wir haben ja zu den Vorschlägen schon gestanden und hätten dieses Referendum, das ja diese Vorschläge abgelehnt hat, nicht gebraucht. Was die Logik dahinter ist, das müsste man Herrn Tsipras fragen. Ich jedenfalls kann sie mir nicht wirklich erklären. Ich habe selbst auch Gespräche mit Herrn Tsipras gehabt und ihm gesagt, Sie brauchen ein langfristiges Programm, das mindestens drei Jahre geht, weil vorher wird am Kapitalmarkt Griechenland niemand Geld geben und vorher wird auch niemand in Griechenland investieren, wenn immer wieder jedes halbe Jahr die Unsicherheit ist, bleiben Sie jetzt im Euro oder nicht. Das scheint die griechische Regierung jetzt begriffen zu haben und dann sollte man, wen die Zahlen stimmen und auch das Parlament dem Ganzen zustimmt, ihnen auch eine Chance geben.
Grexit ist die schlechteste aller Varianten
Heinemann: Steuereinnahmen sollen verstärkt eingetrieben werden. Verfügt Griechenland überhaupt über die Strukturen, um das Zugesagte auch zu verwirklichen?
Schneider: Das geben sie ja selbst in dem Schreiben zu, dass sie Probleme haben werden, trotz der enorm hohen Mitarbeiterzahl in der öffentlichen Verwaltung, diesen Punkt auch umzusetzen, und bitten explizit um Hilfe von Partnerländern, aber auch der OECD. Das wird nötig sein. Ich glaube jedenfalls, wenn man sich fragt, woher kommt eigentlich dieser Kurswechsel jetzt, dass der griechischen Regierung und Herrn Tsipras sehr deutlich auch von Sigmar Gabriel und anderen in der Regierung gemacht wurde, there is no free lunch. Wir sind auch eine Demokratie und ihr müsst auch euch bewegen. Diese harte Haltung war, glaube ich, wichtig, um sie jetzt dazu zu bewegen, den Ernst der Lage wirklich ins Auge zu fassen, weil der Austritt aus dem Euro war eine reale Option, wenn Griechenland nicht selbst das Heft des Handelns in die Hand genommen hätte.
Heinemann: Herr Schneider, wird es ohne einen Schuldenschnitt gehen?
Schneider: Das ist natürlich die spannendste Frage ganz am Schluss. Das lassen die Griechen ja auch offen. Alles hängt davon ab, ob in den nächsten Jahren die griechische Wirtschaft Fuß fasst. Wenn sie stark Fuß fasst, dann ist die Schuldentragfähigkeit gegeben, wenn großes Wachstum entsteht. Wenn das nicht passiert, dann ist sie nicht gegeben. Das, glaube ich, wird erst nach zwei oder drei Jahren entschieden werden, wenn die ersten Tilgungen anstehen. Das ist im Jahr 2020 und fortfolgende. Dann kann man das sehen und dann muss man auch nicht naiv und auch nicht apodiktisch herangehen, sondern einfach sich die Zahlen angucken, ob dieses Programm, das jetzt ja in weiten Teilen auch von den ökonomischen Beratern der Organisationen wie dem IWF, aber auch der Kommission geschrieben wurde, funktioniert oder nicht. Die letzten Programme haben nicht funktioniert, weil zu wenig darauf geguckt wurde, dass die Strukturen in Griechenland geändert werden. Ich vermute deswegen, das wird offen bleiben und das muss man sich auch offen halten. Wenn es einen Grexit gibt, einen Austritt Griechenlands, dann ist sowieso alles verloren und das ist die schlechteste aller Varianten.
Heinemann: Das ist eine tolle Alternative: zahlen oder zahlen.
Schneider: Nein. Sie müssen ja sehen, dass wir einen politischen Gewinn haben, wenn Griechenland im Euro bleibt, und die Wahrscheinlichkeit, dass sie dann deutlich mehr zahlen können, weil sie leistungsfähiger sind als wenn sie ausscheiden und ins Chaos stürzen, die ist ja auch klar. Diesen politischen Willen haben wir als Sozialdemokraten, aber es muss den Willen auf der anderen Seite geben, sich selbst zu helfen, und das war bei Griechenland, der jetzigen Regierung zumindest, nicht immer erkennbar.
Heinemann: Da war noch Luft nach oben.
Schneider: Ja.
Heinemann: Wäre es nicht ehrlicher zu sagen, liebe Steuerzahler, das Geld ist futsch?
Schneider: Das brauchen Sie mir nicht vorwerfen. Ich habe das immer gesagt, nicht dass es futsch ist, aber dass es doch sehr vage ist, dass diese Kredite zurückgezahlt werden können, weil das ökonomische Konzept, nur zu sparen, zu sparen, zu sparen, in Griechenland klar falsch war. Aber das ist ein Punkt, den müssen Sie Herrn Schäuble und Frau Merkel fragen, die bis heute leugnen, dass es dort Probleme gibt. Es war immer schwierig und die griechische Regierung hat viel dazu beigetragen, dass es noch schwieriger wurde, aber ausgeschlossen ist es nicht, dass wir auch das volle Geld wiederbekommen. Das hängt davon ab, wie sich Griechenland entwickelt. Das muss man so klar sagen.
Erhöhung des Renteneintrittsalters sei richtiger Schritt
Heinemann: Die Zahl der Frührentner soll eingedampft werden. Ab 2022 kommt dann eine einheitliche Rente mit 67. Das steht auch in diesem Papier wohl drin. Die Bundesregierung gibt ja ein denkbar schlechtes Vorbild mit der Rente mit 63 ab. Kann man da in diesem Fall nur sagen, ihr Völker Europas, orientiert euch bitte nicht an der SPD?
Schneider: Nein. Die griechische Regierung hat in dem Vorschlag ja nicht nur die 67, sondern sie hat auch ein früheres Renteneintrittsalter mit 62 nach 40 Arbeitsjahren. Das wird zu verhandeln sein. Sie wissen, wir haben die Rente mit 63 durchgesetzt, und dazu stehen wir auch für Menschen, die 45 Beitragsjahre haben und die dafür auch sehr dankbar sind und die das auch meines Erachtens verdienen. Alle anderen werden bis 67 arbeiten. Dass die griechische Regierung da jetzt das Renteneintrittsalter erhöhen will, ist folgerichtig. Das war viel zu früh, im Durchschnitt lag es, glaube ich, bei 56 Jahren mit sehr, sehr vielen Sonderregelungen. Das war nicht nachhaltig und nicht tragfähig, viel zu wenig Menschen, die arbeiten, und viel zu viele, die von Sozialleistungen abhängig sind.
Heinemann: Carsten Schneider, der stellvertretende SPD-Fraktionsvorsitzende. Danke schön für das Gespräch und auf Wiederhören.
Schneider: Sehr gerne!
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