7.45 Uhr in der Sigmund-Jähn-Grundschule im brandenburgischen Fürstenwalde. Unterrichtsbeginn. Während Klassenlehrerin Solveig Reichardt mit den Erstklässlern über den Herbst spricht, gehen vier Kinder aus Flüchtlingsfamilien ins Nebenzimmer. Für sie beginnen etwa 40 Minuten Deutschunterricht.
"Was ist das?" – "… Hose." – "H – O – S – E"
Die Grundkenntnisse der deutschen Sprache vermittelt Hend Alkhabbaz. Auch sie hat Deutsch erst in den vergangenen zwei Jahren gelernt. Im Herbst 2015 ist Alkhabbaz aus Syrien geflüchtet, wo sie auch schon in einer Schule gearbeitet hatte:
"Ich war eine Englischlehrerin in einer Grundschule. Ich hatte 3. und 4. Klasse Unterricht. Ich habe schon Englisch-Literatur studiert in einer Universität in meiner Stadt Homs. Und darf man bei uns in jeder Schule arbeiten, wenn man englische Literatur studiert."
Seit gut vier Wochen hat Alkhabbaz jetzt einen Anstellungsvertrag mit dem Land Brandenburg in der Tasche. Ein Jahr lang arbeitet sie als Assistenzlehrerin an der Sigmund-Jähn-Grundschule. Die Flüchtlingskinder sind hier mit den anderen Schülern in einer Klasse. Alkhabbaz unterstützt sie in kleinen Gruppen beim Lesen- und Schreibenlernen in der neuen Sprache.
"Sie fühlen sich mehr wohl, die Kinder. Weil sie können mehr fragen. Und sie können auch in ihrer Muttersprache manchmal sprechen. Die Araber können mit mir Arabisch sprechen. Sie können mich fragen: Ich hab das nicht verstanden, ich hab das nicht genau kapiert oder ich weiß nicht. Und dann das hilft ein bisschen."
Eineinhalb Jahre Intensivkurs
Hend Alkhabbaz gehört zu den ersten syrischen Lehrerinnen und Lehrern an deutschen Schulen. Alle sind in Brandenburg im Einsatz und haben bis Ende September ein anderthalbjähriges Qualifizierungsprogramm der Universität Potsdam absolviert.
Professorin Miriam Vock hat das so genannte "Refugee Teacher Program" entwickelt:
"Das Wichtigste waren uns intensive Sprachkurse. Das ganze erste Semester war eigentlich nur Deutsch lernen. Dann ging es uns um Schulpädagogik. Da lernt man das Bildungssystem kennen. Man stellt sich Fragen wie: Was ist ein guter Lehrer? Worauf kommt es in einem guten Unterricht an? Solche Dinge. Dann je nach Profil der Teilnehmer und Veranstaltungen in den Fachdidaktiken. Und auch ein wichtiges Element war ein Schulpraktikum. Über ein Semester lang ist jeder Teilnehmer, jede Teilnehmerin für einen Tag pro Woche zur Schule gegangen, hat dort hospitiert und mitgeholfen."
Die pädagogischen Methoden hierzulande unterscheiden sich meist stark von dem, was die Flüchtlinge aus ihren Herkunftsländern kennen. Die größte – und anfangs auch von der Uni Potsdam unterschätzte – Hürde sind die Deutschkenntnisse. Ingo Müller, Referatsleiter Lehrerbildung im Brandenburger Bildungsministerium:
"Wir müssen natürlich schauen, dass die Sprachfähigkeit ein Maß erreicht, das entsprechend der Fachlichkeit und vor allen Dingen auch der Heterogenität der Lerngruppen in unseren Klassenzimmern gerecht werden kann. Und das man nicht diese Kolleginnen und Kollegen vor eine schier unlösbare Aufgabe stellt. Das hat auch etwas mit Verantwortungsbewusstsein zu tun."
Wer nur C1 erreicht, wird erst Assistenzlehrer
Als Voraussetzung für Lehrkräfte gilt der Sprachabschluss C2 – das heißt muttersprachliches Niveau. Nach anderthalb Jahren an der Uni haben die meisten Absolventen allerdings erst eine Stufe darunter erreicht. Deshalb arbeiten die syrischen Pädagogen zunächst als Assistenzlehrer, befristet für ein Jahr. In der Zeit können sie weitere Sprachkurse besuchen und ihre Sprachkenntnisse im Schulalltag trainieren. Ingo Müller:
"Dann muss man schauen nach einem Jahr, ob es dann gerechtfertigt ist, diese Kolleginnen und Kollegen als so genannte Seiteneinsteiger-Lehrkräfte dann auch mit eigenständigem Unterricht zu betrauen. Oder ob vielleicht noch ein weiteres Jahr notwendig ist, um vielleicht diese Perfektionierung der Sprache hinzubekommen."
An der Fürstenwalder Grundschule kommen mehr als 80 der insgesamt 285 Schüler aus Flüchtlingsfamilien. Direktorin Ines Tesch freut sich deshalb über ihre neue Kollegin. Seit Hend Alkhabbaz an der Schule arbeitet, ist es leichter, mit den arabischsprachigen Eltern in Kontakt zu kommen:
"Wir haben mit Google-Übersetzer versucht uns zu verständigen. Man will ja auch über die schulische Entwicklung des Kindes sprechen oder man braucht einfach auch Organisationssachen – also Sportbeutel, Essen, Trinken. Und es war immer ein Problem, das mit den Eltern zu kommunizieren. Und seit Frau Alkhabbaz da ist, haben wir das Problem nicht mehr."
"Frau Alkhabbaz ist Lehrerin aus Leidenschaft"
Allerdings schätzt Tesch ihre neue Kollegin nicht nur als Dolmetscherin und Mittlerin zwischen den Kulturen. Die Schuldirektorin kann sich die syrische Lehrkraft auch im ganz regulären Englischunterricht vorstellen:
"Frau Alkhabbaz ist eine Lehrerin aus Leidenschaft, das sieht man. Und ich hoffe doch sehr, dass sie dann auch für immer bei uns bleibt. Wir haben ohnehin mit Lehrermangel zu kämpfen, klar. Aber Englisch ist sogar noch mal besonders gefragt hier bei uns an der Schule."
Hend Alkhabbaz ist froh über diese Perspektive. Eine Rückkehr nach Syrien ist für sie derzeit nicht möglich:
"Niemand weiß, was passiert in Syrien in der Zukunft. Niemand! … Aber so muss man hier ein bisschen wirklich einen richtigen Schritt machen. Das man hier gut leben kann."