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Regeländerung im Jugendfußball
Kopfballverbot in England?

In England dürfen Kinder wohl bald nicht mehr köpfen. Hintergrund ist der Versuch, Kopfverletzungen und damit langfristige gesundheitliche Folgen zu verhindern. Beim DFB wird am Sinn solch eines Kopfballverbots gezweifelt.

Von Daniel Theweleit |
Kopfball im Champions-League-Finale 2019 - Liverpool-Tottenham.
Kopfball im Champions-League-Finale 2019 - Liverpool-Tottenham. (Jan Woitas/dpa-Zentralbild/dpa)
Endlich werden manche Fußball-Eltern in England sagen – Kinder unter zwölf Jahren sollen nur noch in den Spielen köpfen, entsprechende Übungen im Training wird es nicht mehr geben. Selbst in höheren Altersstufen sollen die Jugendlichen nur noch sehr dosiert Kopfbälle trainieren – so heißt es in einer neuen Richtlinie des englischen Fußballverbands FA. In den USA wurde 2015 sogar ein grundsätzliches Verbot von Kopfbällen für Kinder unter elf Jahren eingeführt. Mit dem Vorstoß in England könnte auch die Diskussion in Deutschland neuen Treibstoff erhalten, sagt Tim Meyer, der Chef-Mediziner des Deutschen Fußball-Bundes.
"Das kann ich mir vorstellen. Weil England ist quasi nicht nur das Mutterland des Fußballs, sondern auch das Mutterland des Kopfballs, also das ist schon ein Wort."
Im Rugby, Football und Eishockey werden schon lange große Debatten über die Folgen von Kopfverletzungen geführt. Wiederholte Gehirnerschütterungen können die neurodegenerative Erkrankung CTE auslösen, an der einige Eishockey- und Football-Stars verstorben sind. Die Hauptursache für die folgenschweren Gehirnerschütterungen sind in diesen Sportarten jedoch heftige Zusammenstöße zwischen einzelnen Spielern – und keine Kopfbälle. In der emotionalisierten Debatte werde das viel zu oft vermischt, sagt die Neurologin Nina Feddermann vom Swiss Concussion Center, einer Klinik für Gehirnerschütterungen und Kopfverletzungen in Zürich.
"Also diese New England Journal of Medicine-Studie hat leider zu einer Überinterpretation von Ergebnissen geführt. Ein kausaler Zusammenhang zwischen Kopfballspiel und Demenz kann aus der Studie nicht hergeleitet werden."
"Keine fundierten Aussagen"
Weil es sich um eine retrospektive Untersuchung handelt, in der die Folgen des Kopfballspiels nicht von anderen Faktoren, wie Zusammenstößen und Stürzen isoliert werden konnten. Hinzu kommt, dass die untersuchten Profis irgendwann in den 50er, 60er und 70er Jahren des vergangenen Jahrhunderts spielten, als es noch keine leichteren Bälle für Jugendliche gab. Mit den heutigen Bedingungen ist das nicht vergleichbar. Und Unterschiede zwischen Feldspielern und Torhütern, die ja nur selten köpfen, hat die Studie nicht festgestellt. Fundierte Aussagen über die Auswirkungen des Kopfballspiels lassen sich auf der Basis der heute existierenden Untersuchungen nicht machen, sagt DFB-Arzt Tim Meyer.
"Also ich würde in der Tat sagen, dass wir davon noch sehr weit weg sind. Und ich glaube auch, dass es nicht einfach sein wird, sich dem zu nähern aus quasi methodischen Gründen. Klar scheint ja zu sein, wenn ich mal ganz trivial rangehe: Es ist nicht so, dass da lauter 50-jährige demente Ex-Profis rumlaufen. Es gibt keinen Rieseneffekt, der ganz einfach nachzuweisen wäre. Wir reden wahrscheinlich von etwas, was nicht bei jedem auftritt und vielleicht auch nicht massiv ist, sondern kleinere Veränderungen der kognitiven Fähigkeiten betreffen könnte."
Die unterschätzte Gefahr der Kopfbälle
Dass Leistungssport nachhaltige körperliche Beeinträchtigungen zur Folge haben kann, ist nicht erst seit der Debatte um Hirnschäden bei American Football-Spielern bekannt. Neurowissenschaftler sagen nun: Auch Kopfbälle im Fußball können das Gehirn langfristig schädigen – vor allem bei jungen Spielern.
Bislang wurden nicht einmal solche kleinen Veränderungen nachgewiesen, das wissen auch die Verantwortlichen in England. In den Augen von Les Howie, dem obersten Trainerfunktionär des dortigen Verbandes FA, reicht aber schon der bloße Verdacht zur Einführung von Vorsichtsmaßnahmen.
"Es wird da draußen Leute geben, die sagen: Wir waren übervorsichtig, wir gehen zu weit, die Political Correctness mache alle verrückt. Aber das stimmt nicht. Wir geben eine maßvolle Antwort auf den modernen Fußball. Ich würde mich freuen, wenn die Forscher in drei Jahren sagen: Wir waren wahrscheinlich übervorsichtig. Aber ich möchte mich lieber für eine zu große Vorsicht entschuldigen, als dafür, nicht weit genug gegangen zu sein"sagte Howie gegenüber "Sky".
"In England mehr Druck im Kessel"
Der DFB sieht derzeit keine Notwendigkeit für einen solchen Schritt. Der Verband empfiehlt in seinen Lehrplänen ohnehin schon länger, dass Kinder im Grundschulalter das Kopfballspiel nur mit ganz leichten Plastikbällen üben. Zudem wird in Deutschland intensiv daran gearbeitet, die Wissenslücke zu schließen.
DFB-Arzt Meyer hat gemeinsam mit der DFL eine aufwendige Untersuchung zum Gesundheitszustand ehemaliger Profis angestoßen. Als Teil der großen von Bund und Ländern geförderten NAKO-Gesundheitsstudie mit 200.000 Teilnehmern. Dass andere Nationen trotz der dünnen Datenlage Konsequenzen ergreifen, liege an der dortigen Popularität von Sportarten, in denen die Köpfe der Sportler stärker gefährdet sind als im Fußball, sagt der Mediziner.
"Im Grunde haben die in England einfach Druck im Kessel, das muss man so sagen. Dort wird aus einem anderen Gesichtspunkt von den Medien berichtet. Nämlich auch vor dem Hintergrund dessen, was Rugby gemacht hat. Rugby hat sehr viel gemacht, weil Rugby das irgendwann als ein sehr großes Problem anerkennen musste."
Sensibilisierung für Gehirnerschütterungen nötig
Kontrolliert gespielte Kopfbälle im Fußball sind ein vollkommen anderes Phänomen als Unfälle durch Zusammenstöße. Und sie verlieren im Jugendbereich ohnehin an Bedeutung. In den unteren Altersklassen werden die Wettkämpfe mehr und mehr als Funino-Spiele ausgetragen: Drei gegen Drei auf einem kleinen Spielfeld mit vier Toren. Der Verband will seine Jugendlichen zu dribbelstarken Flachpassspielern ausbilden. Flanken und hohe Bälle kommen da kaum vor. Grundsätzlich plädiert Meyer eher für einen sensibleren Umgang mit dem Thema als für ein Verbot.
"Wenn wir alle dazu bringen, dass wir das Bewusstsein schärfen, dass in der Tat nicht ständig Kopfballtraining gemacht wird, dass man das aber in gewissem Maße beibehalten kann, um die Kinder und Jugendlichen auf das vorzubereiten, was zwangsläufig auf sie zukommt, solange wir das Kopfballspiel nicht im Erwachsenenfußball auch verbieten."
Denn irgendwann wird eben doch geköpft. Und bei Erwachsenen führen eine gute Technik und eine kräftige Nackenmuskulatur nachweislich dazu, dass die Kopfbälle weniger starke Auswirkungen auf das Gehirn haben. Die Neurologin Feddermann sieht die eigentliche Gefahr für die Kinder im immer noch viel zu gedankenlosen Umgang mit Gehirnerschütterungen. Sie empfiehlt:
"Vereine und Verbände sollten für Symptome und Befunde einer Gehirnerschütterung sensibilisiert werden. Aus meiner Beobachtung im klinischen Setting besteht gerade im Kinder- und Jugend-Bereich ein Mismatch zwischen großer Diskussion um mögliche Auswirkungen des Kopfballspiels und dem adäquaten Management von Gehirnerschütterungen und anderen Kopfverletzungen, wo die Erschütterung viel größer ist."