Die Meeresschnecke Elysia marginata könnte man auch für eine Koralle halten – wenn auch eine ziemlich bunte. Die Nacktschnecke besitzt einen grünlichen Körper mit weißen und schwarzen Punkten und gelbe Fühler. Ihr gewellter Fußlappen erinnert mit dem gelb-schwarzen Rand an Rüschen. Doch mit einer Gesamtlänge von bis zu zehn Zentimetern gehört sie zu den größten Vertretern der Schlundsackschnecken, erklärt Sayaka Mitoh.
"Schlundsackschnecken sind kleine, hübsche Tiere, die sich von Meeresalgen ernähren. Sie sind besonders, weil sie Chloroplasten aus den Algen in ihre Körperzellen aufnehmen und damit Photosynthese betreiben können. Dieses Phänomen wird Kleptoplastie genannt und ist sehr selten in Tieren.
Kopf ab? Kein Problem!
Sayaka Mitoh ist Doktorandin an der Women's University in der japanischen Stadt Nara und interessiert sich dafür, welche Vorteile die Schnecken von dieser ungewöhnlichen Ernährungsweise haben. Denn Photosynthese zu betreiben, also mit Hilfe der Energie aus Sonnenlicht bestimmte Kohlenhydrate herzustellen, ist eigentlich ein Kennzeichen von Pflanzen. Für ihre Untersuchungen hatte Sayaka Mitoh eine Methode entwickelt, um die Tiere, die normalerweise in einer mittleren Tiefe im Indopazifik leben, längere Zeit im Labor zu züchten. Dabei machte sie eines Tages eine unerwartete Entdeckung.
"Es war ein glücklicher Zufall. Eines Tages habe ich im Labor eine der Meeresschnecken, gefunden, die ihren Kopf vom Rest des Körpers abgetrennt hatte. Ich war ziemlich überrascht, dass der Kopf sich weiter bewegte und gesund aussah, aber ich habe erwartet, dass er ohne das Herz und die anderen wichtigen Organe bald sterben würde."
Wundersame Regeneration
Doch der Kopf lebte weiter. Sayaka Mitoh konnte beobachten, dass er weiterhin fraß, nachdem sich die Wunde am Kopf geschlossen hatte. Und nicht nur das: "Ich habe den Kopf zusammen mit dem Körper in einem Behälter gelassen und eine Weile beobachtet. Und innerhalb einer Woche begann am Kopf ein neues Herz zu wachsen. Nach drei Wochen war der gesamte Körper nachgewachsen. Wir vermuten, dass die Energie dafür aus der Photosynthese kommt. Der Kopf ist außerdem nur fünf Millimeter groß und könnte für die Blutversorgung zunächst ohne Herz auskommen.
Der abgetrennte Körper starb dagegen nach etwa einer Woche ab. Nach dem ersten Zufallsfund begann Sayaka Mitoh, systematisch nach weiteren derartigen Fällen bei den Schnecken zu suchen. Sie wurde auch bei einer zweiten Schneckenart fündig, und begann den Prozess genauer zu untersuchen. Dabei fiel ihr eine Art Sollbruchstelle am Hals der Schnecken auf. Schnürte sie den Hals an dieser Stelle mit einer dünnen Nylonschnur ab, konnte sie den Trennungsprozess, auch Autotomie genannt, künstlich auslösen.
Stammzellen könnten Heilungsprozess steuern
Die japanische Forscherin vermutet, dass an dieser Stelle im Hals stammzellartige Zellen sitzen, die sich in verschiedene Zellarten entwickeln können und für die Regeneration verantwortlich sind. Sayaka Mitoh: "Nur junge Köpfe konnten fressen und sich regenerieren. Ältere Köpfe konnten das nicht und starben nach einer Woche. Die Körper haben noch eine Weile auf Reize reagiert und einzelne hatten ein schlagendes Herz. Aber alle sind nach etwa einem Monat gestorben.
Warum die Schnecken ihren Kopf vom Körper trennen und den sehr energieintensiven Regenerationsprozess auf sich nehmen, kann Sayaka Mitoh bisher nur vermuten: "Wir denken, dass mindestens eine der Schneckenarten damit Parasiten im Inneren ihres Körpers loswird. Meine Untersuchungen haben gezeigt, dass die Parasiten die Schnecken massiv bei der Fortpflanzung behindern."
Denkbar wäre auch, dass die Schnecken ihren Kopf vom Körper abtrennen, wenn der sich zum Beispiel in Algen verfangen hat. Dass sie ihren Körper abwerfen, um Fressfeinden zu entkommen, wie das zum Beispiel Salamander tun, hält Sayaka Mitoh dagegen für unwahrscheinlich. Der Prozess dauert rund 20 Stunden – in dieser Zeit wären die Schnecken längst verspeist worden.