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Regenerieren statt Reparieren

Medizin. - Neben der wissenschaftlichen Erforschung stand immer die Therapie, um Techniken wie das Klonen zu rechtfertigen und anzutreiben. Seit Klonschaf Dolly hat sich die Welt allerdings weitergedreht und - so sieht es jedenfalls aus - das Klonen auf ein Abstellgleis geschoben.

Von Michael Lange |
    Defekte Organe, zerstörte Gewebe, die einfach wieder nachwachsen. Das ist der große Traum der regenerativen Medizin. In den Labors der Stammzellenforscher ist er bereits Wirklichkeit.

    "Wir sind im so genannten Planarium. Hier halten wir unsere Planarien in kleinen Plastikgefäßen."

    Kerstin Bartscherer forscht im Max-Planck-Institut für Molekulare Biomedizin in Münster. Ihr Forschungsobjekt sind einfache Plattwürmer, auch genannt Planarien. Die junge Wissenschaftlerin öffnet eine der Plastikdosen. Im klaren Wasser schwimmen ein paar braune Gewebefetzen, wenige Millimeter groß.

    "Hier sind kleine Stückchen, die regenerieren gerade alle. Also keine kompletten Würmer. Die wurden wohl gerade geschnitten. Das machen wir so, wenn wir viele Würmer brauchen. Dann schneiden wir sie durch, und dann regenerieren sie. "

    Aus einzelnen Stücken werden wieder vollständige Tiere. Kein anderes Lebewesen regeneriert so gut und so schnell wie die Plattwürmer.

    "Wenn man zum Beispiel den Kopf abschneidet, dann wächst der Kopf wieder nach mit dem ganzen Gehirn und dem zentralen Nervensystem. Und wir in der Gruppe, wir untersuchen, welche Faktoren die Regeneration kontrollieren."

    Am liebsten hätten die Forscher, dass alte oder kranke Organe auch beim Menschen einfach wieder nachwachsen würden. Da dies vorerst nicht möglich ist, züchten die Wissenschaftler verschiedene Formen von Zellen für die Regeneration. Die meisten Forscher setzen dabei auf embryonale Stammzellen. Um sie zu gewinnen, brauchen sie wenige Tage alte Embryonen. Unter dem Mikroskop sehen sie aus wie winzige Kugeln. Die Zellen im Innern der Kugeln sind das Rohmaterial für die embryonalen Stammzellen. Nach Ansicht des Stammzellforschers Hans Schöler vom Max-Planck-Institut für Molekulare Biomedizin sind sie für die Forschung unentbehrlich.

    "Im Gegensatz zu den Körperstammzellen haben sie den großen Vorteil, dass man sie in der Kulturschale unbegrenzt vermehren kann. Und sie haben außerdem den Vorteil, dass sie alles machen können. Sie können alle Zellen unseres Körpers bilden, und sie können sie in großen Mengen herstellen, so dass Sie, wenn Sie die Zellen aus diesen embryonalen Stammzellen ableiten, dann haben Sie genügend Zellen zur Verfügung, um diese dann zu transplantieren."

    Um kranke Gewebe zu heilen, haben die Forscher die embryonalen Stammzellen in vielen Tierversuchen getestet. Und kürzlich haben auch die ersten Studien am Menschen begonnen, zunächst in den USA und dann auch in England. In der Nähe der U-Bahn-Haltestelle "Old Street" im Zentrum Londons befindet sich das Moorfields Eye Hospital, die größte Augenklinik Großbritanniens. Kürzlich hat der Augenspezialist James Bainbridge als erster in Europa mit einer klinischen Studie begonnen, bei der embryonale Stammzellen zum Einsatz kommen.

    "Wir glauben, dass insbesondere das Auge von diesen Zellen profitieren kann. Denn das Auge ist gut vom Immunsystem abgeschirmt. Dadurch wird eine mögliche Abstoßungsreaktion der körperfremden Zellen durch Immunzellen verhindert. Außerdem ist das Auge in verschiedene Bereiche unterteilt, so dass wir die Zellen sehr gezielt an den richtigen Ort im Auge bringen können."

    Von einer US-Firma erhält James Bainbridge so genannte Retinale-Pigment-Epithelzellen, RPE-Zellen. Sie wurden in einem amerikanischen Labor aus menschlichen embryonalen Stammzellen gezüchtet. Mit ihnen behandeln die Londoner Ärzte Patienten, die an der Stargardt-Krankheit leiden. Einer Augenkrankheit, die zur Erblindung führt.

    "Wir haben ja gerade erst mit der Studie begonnen. Aber es ist schon ermutigend, dass bisher keine ersthaften Nebenwirkungen aufgetreten sind. Wir haben Hinweise, die andeuten, dass die Zellen im Auge des Patienten überleben. Die Sehfähigkeit könnte sich verbessert haben, aber es ist im Moment noch zu früh, um eine sichere Aussage zu treffen."

    Auch Krankheiten des Nervensystems sollen demnächst mit Zellen behandelt werden, die aus embryonalen Stammzellen hervorgegangen sind. Nach Ansicht des Stammzellforschers Oliver Brüstle von der Universität Bonn wird es bald so weit sein.

    "Es hat lange gedauert, aber jetzt kommen diese Entwicklungen richtig in die Gänge. Ich würde auch erwarten, dass in den nächsten fünf Jahren Zellen aus humanen pluripotenten Stammzellen in Patienten transplantiert werden – auch im Bereich neurologische Erkrankungen."

    Aber die embryonalen Stammzellen haben zwei große Nachteile. Erstens: Für ihre Herstellung werden Embryonen verbraucht – also getötet. Und zweitens: Embryonale Stammzellen stammen nicht vom Patienten und werden deshalb von dessen Immunsystem als fremd erkannt und manchmal abgestoßen. Der japanische Stammzellenforscher Shinya Yamanaka hat deshalb eine Alternative entwickelt.

    "Embryonale Stammzellen sind sehr gut. Das Potential der Zellen ist enorm. Aber die Nachteile sind zu groß. Deshalb habe ich Zellen mit entsprechenden Fähigkeiten entwickelt. Sie stammen aber nicht aus menschlichen Embryonen, sondern aus den eigenen Körperzellen der Patienten. "

    2007 gelang es Shinya Yamanaka, reife Körperzellen des Menschen so zu verändern, dass sie wieder jugendlich und vielseitig wurden – nahezu embryonal. Diese Zellen nannte er "induzierte pluripotente Stammzellen" oder kurz IPS-Zellen. Die Methode nennt sich: Reprogrammierung. Für diesen Durchbruch erhielt Yamanaka 2012 den Nobelpreis für Medizin. Vermutlich noch in diesem Jahr sollen in Japan die ersten Patienten mit IPS-Zellen behandelt werden. Sie leiden ebenfalls an Augenkrankheiten. Der Wettbewerb der Zellen hat begonnen. Eine dritte Methode zur Erzeugung vielseitiger Stammzellen ist unterdessen auf der Strecke geblieben: Das Klonen. Bei dieser Technik werden reife Zellkerne aus Körperzellen in erbgutfreie Eizellen gespritzt. Selbst der Schöpfer des Klonschafes Dolly, nutzt mittlerweile lieber die Technik aus Japan und nicht mehr das Klonen.

    "Es wird möglich sein, alles das mit IPS-Zellen zu machen, wozu wir bislang embryonale Stammzellen brauchten, und sogar noch mehr. Das ist eine spannende Aussicht für die Stammzellenforschung."

    Die Zeit der Klontechnik in der Stammzellenforschung schien abgelaufen. Ein 2004 erzielter angeblicher Durchbruch in Südkorea entpuppte sich als Fälschung. Es wurde ruhig um das Klonen. Doch einige Gruppen forschten weiter, unter ihnen das Team um Shoukhrat Mitalipov am Primatenforschungszentrum der Universität von Oregon. Zehn Jahre und viel Geduld brauchten die Forscher bis es schließlich funktionierte, zunächst bei Rhesus-Affen und dann beim Menschen. Die Presse reagiert aufgeregt auf die Veröffentlichung im Fachblatt "Cell". Die Gemeinde der Stammzellenforscher zeigt sich interessiert, nicht aber begeistert. Das gilt auch für Jürgen Hescheler, Stammzellenforscher am Institut für Neurophysiologie der Universität zu Köln.

    "Ich habe es mir dann mal recht genau angeschaut. Das ist nur eine Verbesserung in kleinen Schritten. Da sind ein paar neue Aspekte herein gekommen. Zum Beispiel die Verwendung von Koffein und von Deacetylase-Hemmern. Bestimmte Faktoren, die jetzt hinzu gegeben wurden und die Effizienz der Reprogrammierung gesteigert haben."

    Das therapeutische Klonen scheint nun also möglich. Für Jürgen Hescheler jedoch ist es dennoch keine Alternative zu den IPS-Zellen, die sich in seinem Labor bewährt haben.

    "Diese Technik des therapeutischen Klonens war ja vor Jahren die einzige Methode, um an pluripotente Zellen die patientenidentisch sind, zu kommen. Aber ich halte IPS-Zellen für das interessantere Modell, um an patientenspezifische Zellen zu kommen, die dann auch für den Patienten therapeutisch wirksam sind."