Reger: Suite Nr.3 - II: Vivace
Wer gerade nur mit einem Ohr hingehört hat, könnte leicht daneben greifen: ein geordneter, tänzerischer Dreivierteltakt, klare, kurze Motivik mit vorhersehbaren Sequenzen, symmetrische Rhythmik, Laut-Leise-Effekte, Da-Capo-Form, so was gab's im Barock, so hat zum Beispiel Johann Sebastian Bach komponiert. Zumal für ein Solo-Streichinstrument.
Doch anderseits war, bei genauerem Hinhören, die Harmonik doch nicht ganz barock und der gesamte Gestus für die Zeit zu kapriziös und zu gespannt. Architektonisch passt diese Musik wohl ins frühe 18. Jahrhundert, nervlich aber - wenn man Kunst in solchen Kategorien messen mag - ist sie der Moderne viel näher.
1915, ein Jahr also nur vor seinem frühen Tod, schrieb Max Reger dieses knappe Vivace für seine Drei Suiten für Bratsche solo Opus 131d. Reger-Spezialisten zählen sie zu seinen reifsten Schöpfungen, der Rest der Welt hat noch nie davon gehört. Der Rest der Welt? Nein, nicht ganz. Bratscher kennen diese drei Suiten natürlich in- und auswendig, gehören sie doch zum studentischen Standardrepertoire. Sie sind technisch zum Teil mit ganz erheblichen, zudem instrumenten-typischen Problemen gespickt, pädagogisch mithin besonders wertvoll, und sie lassen sich halt in der Übezelle ohne Klavierpartner prima spielen. Dass Problem ist nur, dass nach dem Examen das Thema "Reger" offenbar durch ist, beziehungsweise das ziemlich eng kanalisierte Konzertleben Bratschern kaum Gelegenheit bietet, das Erlernte solistisch öffentlich zu machen. Schade natürlich, findet auch Tabea Zimmermann und setzt für ihre erste Solo-CD gleich alle drei Suiten aufs Programm.
Das hat sie, die große deutsche Bratschistin, allemal verdient, und Max Reger im übrigen auch.
Reger: Suite Nr.3 - III: Adagio
Mit Komponisten wie Max Reger ist die Geschichtsschreibung nie so recht glücklich geworden: Es fällt schwer, sie anders wahrzunehmen, denn als bloße Abweichung von anderen: Reger als Abweichung von Brahms, dessen Harmonik er verpflichtet bleibt, nicht aber seiner Ökonomie, oder von den Neudeutschen in der Nachfolge von Liszt und Wagner, den Reger ein "Zurück zu den Wurzeln" entgegenschmettert, und erst recht von der gerade aufblühenden Moderne mit Komponisten wie Schönberg und Strawinsky. Doch was uns an Reger heute vor allem im Wege steht, seine schon zu Lebzeiten legendären Schwierigkeiten damit, zur Sache zu kommen und dann auch bei der Sache zu bleiben, sie können uns bei den kleinen Bratschen-Suiten egal sein: Hier ist der kompositorische Raum von vornherein so eng bemessen, dass Reger gar nicht anderes kann, als immer eng am Ball zu bleiben.
Vielleicht um dem Vorbild Bach nicht zu offensichtlich nachzueifern, hat er auf stilistisch eigentlich naheliegende Bezeichnungen der Sätze mit barocken Titeln verzichtet: Hier heißt es also schlicht "Moderato" oder "Vivace" statt Gavotte oder Preludio, und auch die engmaschigen dynamischen Anweisungen in der Partitur sollen dem Zyklus wohl seine Zeitgenossenschaft im frühen 20. Jahrhundert sichern.
Tabea Zimmermann tut nun das ihre dazu, dass Reger und Bach trotz der vielen Parallelen nicht in einen Topf geraten: Sie verleiht den drei Suiten eine klangliche Verbindlichkeit, einen emotionalen Nachdruck und auch eine leicht fiebrige Wärme, die ganz und gar Fin-de-siecle und nicht Barock sind; sie nimmt die Metrik und Rhythmik des Notentextes oft nur noch als Anhaltspunkte für eine sich letztlich frei entfaltende, ganz aus dem Innern herausgeführte Bewegung.
Reger: Suite Nr.1, I: Molto sostenuto
Es fällt am Ende also gar nicht schwer, Reger und Bach auseinander zuhalten: so wie Tabea Zimmermann spielt. Und zwar beide spielt. Denn bei Reger belässt es Zimmermann eben nicht auf dieser CD: Sie konfrontiert den Epigonen direkt mit dem Original, wenngleich es dafür einer kleinen Schummelei bedarf. Schließlich hat Bach für die Bratsche gar keine Solowerke komponiert. Weil es aber inhaltlich so gut passt und Bratscher aus der Repertoirenot heraus ohnehin flexibel sind, hat Tabea Zimmermann sich einfach die beiden ersten der Sechs Suiten für Cello vorgenommen - von denen weiß man eh nicht ganz genau, für welches Instrument sie dareinst gedacht waren: ob schon für ein mit den Knien gehaltenes Cello oder für ein kleineres, an der Schulter angelehntes Zwischending zwischen Cello und Bratsche.
Bei modernen Instrumenten zumindest ist der Unterschied zwischen dem einen oder anderen gewaltig. Gegenüber dem heute üblichen Violoncello wirkt die Viola, vor allem bei einer so versierten Interpretin wie Zimmermann, um vieles leichter. Nicht primär klanglich, denn beide, Cello wie Viola, brummen nun einmal gerne, sondern was die Artikulation und Gelenkigkeit betrifft: Wo beim Cello, etwa im berühmten G-Dur Präludium der ersten Suite, für die schnellen Arpeggios viel Material bewegt werden muss, und höhere Lagen nicht nur höher, sondern auch energiereicher, wenn nicht angestrengter klingen, kann die Viola noch wie auf Zehenspitzen tanzen.
Bach: Suite Nr.1, I: Präludium
Wie anders klingt nun dieser Bach, nicht nur im Vergleich zur üblichen Interpretation auf einem Cello, sondern im direkten Vergleich mit Max Reger: Ganz selbstbewusst stellt Tabea Zimmermann beide Komponisten auch nicht in Reih und Glied, spielt erst den einen und dann den anderen, sondern verschachtelt beide ineinander: Die drei Suiten von Reger werden getrennt von den Suiten Bachs. Diese Reihenfolge beim Hören beizubehalten, sei dringend empfohlen. So nämlich werden nicht nur Nähe und Distanz zwischen der barocken Welt Bachs und der neo-barocken Welt Regers sinnfällig.
Sinnfällig wird auch, wie differenziert und stilsicher Tabea Zimmermann beide Welten als Interpretin auseinander hält. Die Emphase, Kraft und die nervöse Erregung, mit der sie Reger auflädt, weicht bei Bach schlagartig einer inneren Gelassenheit und feinen Objektivität. Der eben noch sich schwer in die Saiten drückende Bogen bewegt sich auf einmal ganz grazil, lässt viel Luft zwischen die Töne, der Rhythmus ist nun deutlich klarer gezeichnet, der Puls ebenmäßiger, der Klang transparent und weitgehend frei von Vibrato.
Es fehlt nicht viel und man würde diese Aufnahme für die einer Spezialistin der Alten Musik halten. Die Aufnahme einer großen Interpretin, einer großen Bratschistin ist sie ohnehin.
Bach, Allemande
Tabea Zimmermann spielt Werke für Bratsche solo von Max Reger und Johann Sebastian Bach, zum Schluss hörten sie einen Ausschnitt aus Bachs Allemande in d-Moll.
Die neue Platte ist erschienen beim Label Myrios Classics, Raoul Mörchen hat sie Ihnen vorgestellt.
Musikliste:
Max Reger:
II. Satz Vivace aus der Suite Nr. 3
III. Satz Adagio aus der Suite Nr. 3
I. Satz Molto sostenuto aus der Suite Nr. 1
Johann Sebastian Bach:
I. Satz Präludium aus der Suite Nr.1, BWV 1007
II. Satz Allemande aus der Suite Nr. 2, BWV 1008
Tabea Zimmermann: solo
Werke von Max Reger und Johann Sebastian Bach
Myrios Classics MYR003 (LC 19355)
Wer gerade nur mit einem Ohr hingehört hat, könnte leicht daneben greifen: ein geordneter, tänzerischer Dreivierteltakt, klare, kurze Motivik mit vorhersehbaren Sequenzen, symmetrische Rhythmik, Laut-Leise-Effekte, Da-Capo-Form, so was gab's im Barock, so hat zum Beispiel Johann Sebastian Bach komponiert. Zumal für ein Solo-Streichinstrument.
Doch anderseits war, bei genauerem Hinhören, die Harmonik doch nicht ganz barock und der gesamte Gestus für die Zeit zu kapriziös und zu gespannt. Architektonisch passt diese Musik wohl ins frühe 18. Jahrhundert, nervlich aber - wenn man Kunst in solchen Kategorien messen mag - ist sie der Moderne viel näher.
1915, ein Jahr also nur vor seinem frühen Tod, schrieb Max Reger dieses knappe Vivace für seine Drei Suiten für Bratsche solo Opus 131d. Reger-Spezialisten zählen sie zu seinen reifsten Schöpfungen, der Rest der Welt hat noch nie davon gehört. Der Rest der Welt? Nein, nicht ganz. Bratscher kennen diese drei Suiten natürlich in- und auswendig, gehören sie doch zum studentischen Standardrepertoire. Sie sind technisch zum Teil mit ganz erheblichen, zudem instrumenten-typischen Problemen gespickt, pädagogisch mithin besonders wertvoll, und sie lassen sich halt in der Übezelle ohne Klavierpartner prima spielen. Dass Problem ist nur, dass nach dem Examen das Thema "Reger" offenbar durch ist, beziehungsweise das ziemlich eng kanalisierte Konzertleben Bratschern kaum Gelegenheit bietet, das Erlernte solistisch öffentlich zu machen. Schade natürlich, findet auch Tabea Zimmermann und setzt für ihre erste Solo-CD gleich alle drei Suiten aufs Programm.
Das hat sie, die große deutsche Bratschistin, allemal verdient, und Max Reger im übrigen auch.
Reger: Suite Nr.3 - III: Adagio
Mit Komponisten wie Max Reger ist die Geschichtsschreibung nie so recht glücklich geworden: Es fällt schwer, sie anders wahrzunehmen, denn als bloße Abweichung von anderen: Reger als Abweichung von Brahms, dessen Harmonik er verpflichtet bleibt, nicht aber seiner Ökonomie, oder von den Neudeutschen in der Nachfolge von Liszt und Wagner, den Reger ein "Zurück zu den Wurzeln" entgegenschmettert, und erst recht von der gerade aufblühenden Moderne mit Komponisten wie Schönberg und Strawinsky. Doch was uns an Reger heute vor allem im Wege steht, seine schon zu Lebzeiten legendären Schwierigkeiten damit, zur Sache zu kommen und dann auch bei der Sache zu bleiben, sie können uns bei den kleinen Bratschen-Suiten egal sein: Hier ist der kompositorische Raum von vornherein so eng bemessen, dass Reger gar nicht anderes kann, als immer eng am Ball zu bleiben.
Vielleicht um dem Vorbild Bach nicht zu offensichtlich nachzueifern, hat er auf stilistisch eigentlich naheliegende Bezeichnungen der Sätze mit barocken Titeln verzichtet: Hier heißt es also schlicht "Moderato" oder "Vivace" statt Gavotte oder Preludio, und auch die engmaschigen dynamischen Anweisungen in der Partitur sollen dem Zyklus wohl seine Zeitgenossenschaft im frühen 20. Jahrhundert sichern.
Tabea Zimmermann tut nun das ihre dazu, dass Reger und Bach trotz der vielen Parallelen nicht in einen Topf geraten: Sie verleiht den drei Suiten eine klangliche Verbindlichkeit, einen emotionalen Nachdruck und auch eine leicht fiebrige Wärme, die ganz und gar Fin-de-siecle und nicht Barock sind; sie nimmt die Metrik und Rhythmik des Notentextes oft nur noch als Anhaltspunkte für eine sich letztlich frei entfaltende, ganz aus dem Innern herausgeführte Bewegung.
Reger: Suite Nr.1, I: Molto sostenuto
Es fällt am Ende also gar nicht schwer, Reger und Bach auseinander zuhalten: so wie Tabea Zimmermann spielt. Und zwar beide spielt. Denn bei Reger belässt es Zimmermann eben nicht auf dieser CD: Sie konfrontiert den Epigonen direkt mit dem Original, wenngleich es dafür einer kleinen Schummelei bedarf. Schließlich hat Bach für die Bratsche gar keine Solowerke komponiert. Weil es aber inhaltlich so gut passt und Bratscher aus der Repertoirenot heraus ohnehin flexibel sind, hat Tabea Zimmermann sich einfach die beiden ersten der Sechs Suiten für Cello vorgenommen - von denen weiß man eh nicht ganz genau, für welches Instrument sie dareinst gedacht waren: ob schon für ein mit den Knien gehaltenes Cello oder für ein kleineres, an der Schulter angelehntes Zwischending zwischen Cello und Bratsche.
Bei modernen Instrumenten zumindest ist der Unterschied zwischen dem einen oder anderen gewaltig. Gegenüber dem heute üblichen Violoncello wirkt die Viola, vor allem bei einer so versierten Interpretin wie Zimmermann, um vieles leichter. Nicht primär klanglich, denn beide, Cello wie Viola, brummen nun einmal gerne, sondern was die Artikulation und Gelenkigkeit betrifft: Wo beim Cello, etwa im berühmten G-Dur Präludium der ersten Suite, für die schnellen Arpeggios viel Material bewegt werden muss, und höhere Lagen nicht nur höher, sondern auch energiereicher, wenn nicht angestrengter klingen, kann die Viola noch wie auf Zehenspitzen tanzen.
Bach: Suite Nr.1, I: Präludium
Wie anders klingt nun dieser Bach, nicht nur im Vergleich zur üblichen Interpretation auf einem Cello, sondern im direkten Vergleich mit Max Reger: Ganz selbstbewusst stellt Tabea Zimmermann beide Komponisten auch nicht in Reih und Glied, spielt erst den einen und dann den anderen, sondern verschachtelt beide ineinander: Die drei Suiten von Reger werden getrennt von den Suiten Bachs. Diese Reihenfolge beim Hören beizubehalten, sei dringend empfohlen. So nämlich werden nicht nur Nähe und Distanz zwischen der barocken Welt Bachs und der neo-barocken Welt Regers sinnfällig.
Sinnfällig wird auch, wie differenziert und stilsicher Tabea Zimmermann beide Welten als Interpretin auseinander hält. Die Emphase, Kraft und die nervöse Erregung, mit der sie Reger auflädt, weicht bei Bach schlagartig einer inneren Gelassenheit und feinen Objektivität. Der eben noch sich schwer in die Saiten drückende Bogen bewegt sich auf einmal ganz grazil, lässt viel Luft zwischen die Töne, der Rhythmus ist nun deutlich klarer gezeichnet, der Puls ebenmäßiger, der Klang transparent und weitgehend frei von Vibrato.
Es fehlt nicht viel und man würde diese Aufnahme für die einer Spezialistin der Alten Musik halten. Die Aufnahme einer großen Interpretin, einer großen Bratschistin ist sie ohnehin.
Bach, Allemande
Tabea Zimmermann spielt Werke für Bratsche solo von Max Reger und Johann Sebastian Bach, zum Schluss hörten sie einen Ausschnitt aus Bachs Allemande in d-Moll.
Die neue Platte ist erschienen beim Label Myrios Classics, Raoul Mörchen hat sie Ihnen vorgestellt.
Musikliste:
Max Reger:
II. Satz Vivace aus der Suite Nr. 3
III. Satz Adagio aus der Suite Nr. 3
I. Satz Molto sostenuto aus der Suite Nr. 1
Johann Sebastian Bach:
I. Satz Präludium aus der Suite Nr.1, BWV 1007
II. Satz Allemande aus der Suite Nr. 2, BWV 1008
Tabea Zimmermann: solo
Werke von Max Reger und Johann Sebastian Bach
Myrios Classics MYR003 (LC 19355)