Bernd Lechler: Patrice, der Opener des Albums heißt "Burning Bridges", das klingt programmatisch. Was sind das für Brücken, die Sie hinter sich verbrennen wollen?
Patrice: Das hat etwas mit einer Haltung zu tun. Also, einfach im Jetzt zu sein, nicht immer Rücksicht zu nehmen oder sich mit allen gut stellen zu wollen. Vielleicht auch mal etwas sagen, von dem man nicht hundertprozentig weiß, ob es richtig ist. Ein bisschen angstloser in die Zukunft schreiten. Und sich auch mal positionieren, nicht immer erst abwägen.
Lechler: In einer Zeile heißt es "We were born in an open war" - wir wurden in einem offenen Krieg geboren und können uns an gar keine Zeit davor erinnern. Meinen Sie einen bestimmten Krieg?
Patrice: Na ja, unseren heutigen Normalzustand sozusagen. Da gibt es ja diverse. Aber es gibt auch auf anderem Level eine Art Krieg, zum Beispiel Informationskrieg. Oder man hat innere Kriege. Aber die meisten schon, weil man in dieser Zeit lebt.
Lechler: Es zieht sich überhaupt ein Gefühl durch die Texte - so wie ich sie gehört habe -, dass wir in unruhigen und manchmal auch furchteinflößenden Zeiten leben. Sie wohnen unter anderem in Paris und waren dort auch am 13. November, am Tag des Terroranschlags, im Bataclan. Hat sich das auch auf das Songwriting fürs Album ausgewirkt?
Patrice: Ich war einen Tag später dort, ich war nicht am selben Tag da. Aber ich wohne nicht weit weg und habe natürlich auch öfters gespielt im Bataclan. Und mein Agent oder Booker dort hat dieses Konzert auch promotet. Somit sind auch Leute, mit denen ich eng zusammenarbeite, angeschossen worden und solche Sachen. Es war also schon sehr nah, und das macht schon etwas mit einem - so was kennt man eigentlich nur aus dem Fernsehen. Auf jeden Fall ist es nie so nah an einem dran. Und das macht einem schon Dinge bewusster.
Lechler: Wie hat sich Ihr Paris verändert?
Patrice: Paris ist halt traumatisiert. Ich habe jetzt gerade wieder so ein Blitzkonzert gemacht, ein Vollmondkonzert, nachts am Louvre - und mir haben alle davon abgeraten. Alle so: "Nein, hier ist gerade Code Red, nach wie vor Ausnahmezustand, da war gerade wieder eine Drohung, dass da etwas passieren soll. Und dann ist da überall Militär ..." Ich habe das dann trotzdem gemacht, weil ich mir sagte: Ich habe jetzt nicht wirklich Lust, die Art, wie ich lebe, so komplett dieser Angststimmung anzupassen. Letztendlich ist nichts passiert. Es waren viele Militärs da, aber die haben nichts gemacht, die kamen und haben manchmal auch zugehört. Ich will damit nur sagen: Es ist ein allgegenwärtiges Ding mittlerweile. Am Tag nach diesen Anschlägen saß ich im Restaurant und die Frau neben mir hat mir Tipps gegeben, wie man sich am besten verhält, wenn geschossen wird. Frankreich ist so eine große Demokratie in Europa. Und was ich so toll finde an dem Volk, ist, dass die Menschen denken, sie haben wirklich Einfluss auf die Politik, sie sehen sich nicht so machtlos. Und ich habe das Gefühl, dass das durch diese Sachen zu Schaden kommt. Also, dass man sagt: "Hier, nehmt meine Freiheiten und gebt mir dafür Sicherheit." Das ist sehr schade. Aber ich tue meinen Teil. Es waren auch viele Leute da bei diesem Konzert am Louvre, was bezeichnend ist. Die hätten ja auch Angst haben und nicht kommen können. Aber es geht irgendwo doch weiter.
Lechler: Wobei auch das Album nicht negativ klingt. Eher lebensbejahend, würde ich sagen. Passiert das einfach, weil Sie eben so eine optimistische Frohnatur sind. Oder passen Sie ganz bewusst auf, dass die Musik positiv bleibt, dass die Melancholie nicht übernimmt?
Patrice: Meine Grundhaltung ist eine positive
Patrice: Das ist eher Veranlagung. Ich liebe Melancholie, aber meine Grundhaltung ist eine positive. Nicht weil ich optimistisch bin. Ich glaube, ich bin einfach realistisch. Und ich glaube, wenn man sich Statistiken oder die Welt mal wirklich anguckt und schaut, was wir alles Gutes haben, dann muss man schon sagen, dass das Gute mit Abstand überwiegt. Wir sind hier, gegen jede Wahrscheinlichkeit. Wir sind hier anscheinend irgendwo im All mit perfekter Distanz zur Sonne. Und dass hier überhaupt Leben stattfindet und wir es zum Ei geschafft haben ... Wir sind ein Wunder, mit anderen Worten. Dass Leben stattfinden kann, ist erst mal super. Dass wir hier sind und alles im Körper funktioniert. Und dann kann man natürlich darüber hinaus diskutieren, was wir daraus machen. Aber grundsätzlich denke ich, dass das Gute überwiegt. Und das ist nicht optimistisch, das ist einfach nur realistisch.
Lechler: Laut der aktuellen Bio leben Sie gerade in New York und Paris und Köln. Das klingt nach reichlich Vielfliegermeilen. Wie sieht das konkret aus, wo sind Sie zu Hause?
Patrice: Das macht sich anscheinend sehr gut in der Bio, aber so ist das gar nicht gemeint, das ist gar nicht so eine Ansage. Sondern meine Lebenssituation braucht das im Moment leider. Ich bin nicht wirklich irgendwo zu Hause, was okay ist - also, ich suche nichts. Ich finde es auch toll, dass wir in einer Zeit leben, in der das möglich ist. Ich mag New York, weil ich da meine Ruhe habe, aber ich mag auch Paris und Köln, das hat alles etwas Gutes. Und ich mag auch den Rest der Welt. Und ich glaube, da werden noch mehr Städte dazukommen.
Lechler: Bei den Aufnahmen fürs Album haben auch London und Jamaika noch eine Rolle gespielt. Wieso mussten Sie da auch noch hin?
Patrice: In London habe ich ein Studio. Ich gehe nach England, weil - für die Musik, die ich mache, trifft sich da alles in so einem perfekten, goldenen Maß. Sowohl die Beatles, als auch Reggae sind Teil der englischen Kultur. Und dann hat man Police, die das zum Beispiel zu einem eigenen Ding umfunktioniert haben, ohne dass es aufgesetzt klingt. Alle Sachen, die ich gut finde, die findet man in London. Und ich arbeite sehr gerne mit englischen Musikern zusammen, meine komplette Band ist von dort. Es gibt einfach Sachen, die nehme ich gerne dort auf. Und es gibt Sachen, die nehme ich am liebsten in Jamaika auf, wie Vocals, Bläsersätze oder teilweise auch Schlagzeug und Percussion ...
Lechler: Was ist das denn konkret? Wenn es um Reggae aus Deutschland geht, fällt ja neben Ihrem Namen immer auch der von Gentleman, also von Tilman Otto, auch aus Köln, der ein halber Jamaikaner geworden ist. Und Sie haben jetzt dort aufgenommen. Was fließt da ein, was man woanders nicht kriegt?
Patrice: Natürlich die authentische Machart von Reggae. Die Musik, für die wir so brennen, kommt daher. Und die Musiker sind dort, die wahrscheinlich auch mit den großen Legenden gespielt haben. Das ganze Wissen ist dort, wenn es darum geht, Reggae zu machen. Man ist dort am Puls.
Lechler: Es ist ja zuerst ein ganz bestimmter Rhythmus, ein Groove. Aber Reggae ist natürlich mehr, bestimmte Botschaften, vielleicht ein Lebensgefühl - was ist es, womit Sie sich da identifizieren? Wenn man es benennen kann.
Patrice: Als Baby würde ich zum Reggae krabbeln
Patrice: Für mich ist es etwas, was mir einfach auf natürliche Weise gut reinläuft. Ich finde es einfach gut. Ich weiß nicht, warum genau. Aber als Kind hat man mir einfach verschiedene Sachen vorgespielt ... Würde man jetzt ein Experiment machen mit einem Baby, dann würde ich, glaube ich, da hin krabbeln. Zum Reggae. Aber ich mache ja auch nicht puristischen Reggae, das war nie mein Ziel. Mein Ziel ist auch nicht, ein halber Jamaikaner zu sein, sondern eher, mein eigenes Ding damit zu machen. Wie schon gesagt: wie The Police oder so. Ich versuche schon, die Sounds anders zu gestalten, Dub zu vermischen mit Elektronischem, weil ich finde, dass das in diesem Fall eine natürliche Sache ist. Ich bin ja eigentlich auch eher ein Singer-Songwriter, als dass ich jetzt auf Riddims einsinge.
Lechler: Das heißt, der Song kommt zuerst.
Patrice: Ja. Ich schreibe die Sachen ja von null, sozusagen, mit einer Gitarre. Das ist eine andere Nummer, eigentlich.
Lechler: Es gibt auf dem Album auch einen Song, "Love Your Love", der mir besonders auffiel, das ist mehr so französischer Neo-Disco. Ein stilistischer Ausreißer - fühlen Sie sich also manchmal eingeschränkt in diesem Genre Reggae?
Patrice: Ich schränke mich nicht ein
Patrice: Ich schränke mich nicht ein. Ich kann ja alles machen, was ich will. Wenn man Reggae-Puristen fragen würde, die würden sagen: "Das ist überhaupt kein Reggae. Der macht ja sein Ding damit." Dieser französische Song - da ich ja viel auch für andere schreibe und produziere -, der war eigentlich für jemand anders gedacht. Aber da hat meine Mutter rebelliert. Die hat den gehört und gesagt: "Auf keinen Fall, den musst du selbst benutzen." Und nachdem ich dann diese erste Single "Burning Bridges" hatte, wollte ich auch relativ schnell das Album drum herumbauen. Deshalb habe ich dann teilweise auch Songs umfunktioniert, die für andere gedacht waren. Weil ich dachte: Am Ende bin ich das ja. Ich habe das geschrieben. Und es hat mir auch irgendwie geholfen, über meinen Schatten zu springen. Nicht zu sagen: Nein, Patrice schreibt so, deswegen muss ich jetzt so schreiben. Das hilft einem, glaube ich, wenn man für andere schreibt.
Lechler: Sind auf diesem Weg auch die neuen Songs dieses Albums entstanden? Dass man eine Idee hat und denkt: Die behalte ich mal besser selber? So wie bei dem französischen Song, bei dem Ihre Mutter übrigens recht hatte ...
Patrice: Das hört sie gerne. Es hilft mir auf jeden Fall, weil ich mich natürlich komplett in eine andere Person reindenken muss, in ihr Universum. Ich höre mir an, was diese Person mag und erweitere damit auch meinen Horizont. Und sehe auch Fehler, die ich teilweise mache, weil wir Künstler oft zu eitel sind, um die Sachen stehen zu lassen, die am authentischsten und am meisten wir selbst sind. Ich muss die Leute immer wirklich austricksen und dazu drängen, das, was sie für unperfekt halten, zu behalten. Und das, zum Beispiel, lerne ich über das Produzieren von anderen. Wenn ich mich selbst produziere, ist es natürlich sehr schwer, das nicht zu tun und es nicht zu glatt zu machen und zu polieren. Ich lerne einfach dadurch. Und wie gesagt, für mich ist Musik ... Ich sehe Genre-Grenzen eigentlich gar nicht. Sondern ich versuche, es einfach gut zu machen.
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