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Regierung Berlusconi "absolut unwahrscheinlich"

Italien wählt ab Sonntag ein neues Parlament. Dass dann die Partei Silvio Berlusconis die Regierung wieder übernimmt, dafür sieht der ehemalige Ministerpräsident Lamberto Dini wenig Chancen.

Lamberto Dini im Gespräch mit Christoph Heinemann |
    Christoph Heinemann: Halten Sie eine neue Regierung Berlusconi für wahrscheinlich?

    Lamberto Dini: Nein, das ist absolut unwahrscheinlich. Allerdings könnte die Partei von Berlusconi so viel Zustimmung bekommen, dass bei der Wahl der Senatoren - im Senat also - ein Gleichstand herrscht. Seine Partei kann sich aber keine berechtigte Hoffnung auf eine Mehrheit machen, um das Land abermals zu regieren.

    Christoph Heinemann: Wäre das Land unregierbar, wenn das Mitte-Links-Lager im Senat nicht die Mehrheit erzielte?

    Lamberto Dini: Wenn die Senatoren der Demokratischen Partei und diejenigen der "lista civica" von Mario Monti nicht die Mehrheit bilden, ist vor allem der Staatspräsident gefragt. In diesem Fall könnte es ein breites Regierungsbündnis geben für ein Programm der institutionellen und der Verfassungsreformen. Dieses Bündnis würde vor allem von den beiden stärksten Parteien gebildet, also von der Demokratischen Partei und dem PdL, der Partei Berlusconis. Das wäre dann eine Regierung für ein Jahr oder anderthalb Jahre, danach würde wieder gewählt.

    Christoph Heinemann: Sprechen wir über Berlusconis Programm: Er möchte den Bürgerinnen und Bürgern die von Monti eingeführte Immobiliensteuer zurückerstatten. Was halten Sie davon?

    Lamberto Dini: Die Steuer auf die Erstwohnung ist höchst unpopulär. Wirklich sehr! Selbst Mario Monti sagt jetzt: Wir können sie verringern oder verändern. Berlusconi nutzt es aus, dass diese Maßnahme so unbeliebt ist und sagt, er würde sie abschaffen oder sogar erstatten. Die Immobiliensteuer macht einen Betrag von etwa vier Milliarden Euro pro Jahr aus. Es ist nicht unmöglich, diese Summe durch andere Abgaben oder durch eine Verringerung der Ausgaben aufzubringen. Die Sache ist also nicht unrealistisch.

    Christoph Heinemann: Der frühere Ministerpräsident Berlusconi spricht im Zusammenhang mit der Sparpolitik von einem "Diktat der Frau Merkel"...

    Lamberto Dini: ... so etwas sagt man im Wahlkampf ...

    Christoph Heinemann: ... aber wieso gilt Angela Merkel als Figur des Bösen?

    Lamberto Dini: Deshalb, weil Deutschland und andere Eurostaaten nicht schnell genug das Ausmaß der Euro-Krise erkannt haben. Monate sind vergangenen mit europäischen Gipfeltreffen, auf denen irgendetwas vorgeschlagen aber nichts entschieden wurde, bevor dann der Rettungsschirm EFSF und der dauerhafte Rettungsmechanismus ESM geschaffen wurden. In der Zwischenzeit wurde hart gegen den Euro spekuliert und die Risikoaufschläge stiegen. Das hat die Kosten für die Zinszahlungen in die Höhe getrieben. Wenn man der deutschen Regierung, die mit Angela Merkel von einer hervorragenden Persönlichkeit geführt wird, einen Vorwurf machen kann, dann den, dass sie nicht verstanden hat, dass die Eurokrise Sofortmaßnahmen erfordert hätte. Heißt das nun, dass die Berlusconis Partei PdL antieuropäisch eingestellt ist? Nein! Das ist nur Wahlkampf. Auch während Berlusconis vierjähriger Regierungszeit hat Italien keine antieuropäische Haltung eingenommen.

    Christoph Heinemann: Bundesaußenminister Guido Westerwelle hat gesagt, die neue Regierung müsse den Reformkurs fortsetzen. Zwischen den Zeilen hat er damit vor Berlusconi gewarnt und für Monti geworben. Könnte eine solche Unterstützung aus Berlin für Mario Monti in Italien das Gegenteil bewirken?

    Lamberto Dini: Ich glaube nicht, dass dies einen positiven oder negativen Einfluss haben wird. Die Regierung Monti hat den Haushalt konsolidiert, wenn auch nicht vollständig. Dies hat er allerdings auf sehr unpopuläre Weise getan, nämlich indem er Steuern erhöht hat. Er hat nicht die Ausgaben verringert. Das wäre viel schwieriger gewesen. Die Folge der Steuererhöhungen: Italien steckt in einer Rezession in Höhe von 2,4 Prozent.

    Christoph Heinemann: Es gibt also viel zu tun für den künftigen Ministerpräsidenten. Einige vergleichen Pier Luigi Bersani mit einem zuverlässigen Gebrauchtwagen. Halten Sie ihn für einen Politiker, der die Reformen fortführen wird?

    Lamberto Dini: Ja, absolut. Italien hat den Fiskalpakt verabschiedet, das heißt, der Haushalt muss 2013 und in den folgenden Jahren strukturell ausgeglichen sein. Ich weiß bestens, was sich die Europäische Kommission, Deutschland oder andere Länder unter Reformen vorstellen: strukturelle Reformen, um die Wettbewerbsfähigkeit zu steigern, also die notwendige Flexibilität auf dem Arbeitsmarkt, Liberalisierung und Privatisierung. Das wird von jeder möglichen künftigen Regierungspartei geteilt.

    Christoph Heinemann: Wie erklären Sie sich die Beliebtheit der Bewegung "Fünf Sterne" des Komikers Beppe Grillo?

    Lamberto Dini: Das ist eine Reaktion und verkörpert die Anti-Politik, das Anti-Estabishment. Das Gefühl, dass die politische Klasse aus Profiteuren besteht. Wenn sich ein Land wie Italien in die Rezession bewegt, entstehen soziale Spannungen und Ressentiments zwischen denjenigen, die wenig und jenen, die mehr zur Verfügung haben. Diese Bewegung legt aber keine Vorschläge für ein Regierungshandeln vor. Sie sagen: Alles ist schlecht, also müssen wir alles zerstören, um etwas anderes aufzubauen. Was das sein soll, wissen wir aber nicht.

    Christoph Heinemann: Auch die Katholische Kirche zeigt Flagge. Angelo Bagnasco, der Kardinal von Genua, unterstützt Mario Monti, während Kardinalstaatssekretär Tarcisio Bertone Silivo Berlusconi nahe steht. Sind diese Positionierungen der Kardinäle wichtig?

    Lamberto Dini: Ich meine, die Kirche und die Richterschaft sollten bei politischen Fragen eine vollständige Unabhängigkeit wahren. Der Vatikan ist zwar in Italien und dort gibt es Meinungen. Aber die Haltung der Kirche ist, wie Sie gesagt haben, nicht eindeutig. Ich glaube nicht, dass sie eine große Wirkung auf die Wählerschaft ausübt.

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.