Ana Pais sieht schwarz, wenn sie an die Reformpläne ihrer Regierung denkt. Seit 28 Jahren arbeitet die alleinerziehende Mutter in der öffentlichen Verwaltung und muss mit ihren 621 Euro im Monat irgendwie über die Runden kommen. Die 46-Jährige hofft, dass sie ihren Schreibtischjob in einem staatlichen Krankenhaus in Lissabon nicht verlieren wird:
"Darüber will ich gar nicht nachdenken. Das wäre das Ende. Mein Leben wäre auf einen Schlag vorbei und ich würde abstürzen, so wie viele andere Arbeitslose."
Ana Pais kann seit knapp zwei Wochen wieder etwas ruhiger schlafen. Denn das portugiesische Verfassungsgericht hat einen wichtigen Teil der geplanten Staatsreform als verfassungswidrig erklärt. Die konservative Regierung will bei den Staatsausgaben langfristig bis zu vier Milliarden Euro einsparen und hatte deshalb die Entlassung von 30.000 staatlich Angestellten geplant. Die Verfassungsrichter begründeten nun ihre ablehnende Entscheidung damit, dass der Staat noch vor fünf Jahren den Staatsbediensteten eine Jobgarantie zugesichert habe.
Der Richterspruch hat in Portugal eine breite Diskussion über die Rolle des Verfassungsgerichts losgetreten - zumal das Gericht nun schon zum dritten Mal Spar- und Reformmaßnahmen der Regierung abgelehnt hat. Luís Coutinho vom Lehrstuhl für Rechtswissenschaften der Universität Lissabon wirft den Verfassungsrichtern fehlenden Realitätssinn vor:
"Das Gericht hätte kritischer bewerten sollen, unter welchen Umständen der Staat den öffentlichen Angestellten eine Jobgarantie ausgesprochen hat. War es tatsächlich legitim, noch im Jahr 2008 den Bediensteten für immer und ewig eine Garantie ihres Arbeitsplatzes zu geben? Ich würde sagen: nein. Das war sogar sehr unklug."
Premierminister Pedro Passos Coelho hat in den vergangenen Tagen immer wieder betont, dass die Sparziele Portugals in Gefahr seien, wenn der Stellenabbau im öffentlichen Dienst nicht umgesetzt würde. Alternative Sparmaßnahmen liegen bereits vor: Die Renten der öffentlichen Angestellten sollen ab dem kommenden Jahr um zehn Prozent gekürzt werden. Doch ausgerechnet Manuela Ferreira Leite, die vor zehn Jahren als Finanzministerin den Sparkurs einer anderen konservativen Regierung geprägt hatte, widersprach in ihrem wöchentlichen Fernsehkommentar den Berechnungen des Premierministers:
"Das Ganze ist doch nur ein politischer Bluff. Die Staatsreform ist ein langwidriger Prozess. Selbst wenn das Verfassungsgericht die Pläne der Regierung bewilligt hätte, hätten sich die Einsparungen weder im laufenden noch im Haushalt für 2014 bemerkbar gemacht. Die nächste Evaluierung der Troika steht deswegen ganz sicher nicht auf dem Spiel."
Für die Mitte-rechts-Koalition kam die juristische Niederlage zu einem denkbar schlechten Moment. Nach der schweren Regierungskrise im Juli wollte das Bündnis um Passos Coelho und seinem Vizepremier Paulo Portas mit neuem Schwung in die heiße Wahlkampfphase der Kommunalwahlen starten, die Ende September in Portugal abgehalten werden. Die Nachricht, dass das Land im zweiten Quartal 2013 zum ersten Mal nach drei Jahren Rezession wieder ein Wirtschaftswachstum von 1,1 Prozent aufzeigen konnte, sollte die Regierungsparteien eigentlich beflügeln. Stattdessen mussten Portas und die neue Finanzministerin Maria Albuquerque auf eine Werbetour nach Brüssel, Frankfurt und Washington, um die internationalen Geldgeber vom ungebrochenen Reformwillen Portugals zu überzeugen. Das sei keine leichte Aufgabe, sagt der Verfassungsexperte Coutinho:
"Den europäischen Institutionen, aber auch der deutschen Regierung, geht es nicht so sehr um bestimmte Defizitziele. Vielmehr wollen sie, dass Portugal langfristig ein finanzpolitisches Gleichgewicht erreicht. Die jetzige Entscheidung des Verfassungsgerichts ist deshalb so schwerwiegende, weil sie dieses langfristige Ziel infrage stellt."
In Portugal werden deshalb auch immer wieder Stimmen laut, die eine tiefgreifende Verfassungsänderung vorschlagen. Doch für die nötige Zweidrittelmehrheit braucht Passos Coelho die Unterstützung der gemäßigten Sozialistischen Partei. Eine Zusammenarbeit mit der größten Oppositionsfraktion im Parlament scheint jedoch so gut wie unmöglich. Zumal die Sozialisten gerade das Verfassungsgericht gebeten haben, ein weiteres Teilgesetz der Staatsreform, das die Arbeitszeit der Staatsbediensteten von jetzt 35 auf 40 Wochenstunden anheben soll, auf seine Verfassungskonformität zu überprüfen.
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In Portugal werden deshalb auch immer wieder Stimmen laut, die eine tiefgreifende Verfassungsänderung vorschlagen. Doch für die nötige Zweidrittelmehrheit braucht Passos Coelho die Unterstützung der gemäßigten Sozialistischen Partei. Eine Zusammenarbeit mit der größten Oppositionsfraktion im Parlament scheint jedoch so gut wie unmöglich. Zumal die Sozialisten gerade das Verfassungsgericht gebeten haben, ein weiteres Teilgesetz der Staatsreform, das die Arbeitszeit der Staatsbediensteten von jetzt 35 auf 40 Wochenstunden anheben soll, auf seine Verfassungskonformität zu überprüfen.
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