Wüst wieder Ministerpräsident
Das planen CDU und Grüne für Nordrhein-Westfalen

Der CDU-Politiker Hendrik Wüst ist als Ministerpräsident in Nordrhein-Westfalen wiedergewählt worden. Er führt eine Koalition aus CDU und Grünen. Im Koalitionsvertrag versprechen beide Parteien den Umbau von NRW zu einem klimaneutralen Industrieland. Was im Vertrag steht und was nicht – ein Überblick.

    44. Landesparteitag der CDU Nordrhein-Westfalen am 25.06.2022 im Maritim Hotel in Bonn mit Ministerpräsident Hendrik Wüst
    Hendrik Wüst (CDU): alter und neuer Ministerpräsident von Nordrhein-Westfalen (imago / Revierfoto)
    Eineinhalb Monate nach der Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen steht die neue schwarz-grüne Landesregierung in NRW. Sowohl die CDU als auch die Grünen stimmten am 25. Juni 2022 auf ihren jeweiligen Parteitagen in Bonn und Bielefeld dem Koalitionsvertrag zu.

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    Beide Partner hatten nach einer kurzen Sondierungsphase offizielle Koalitionsverhandlungen aufgenommen - am 23. Juni wurde der knapp 150-seitige schwarz-grüne Koalitionsvertrag in Düsseldorf der Öffentlichkeit vorgestellt.
    Am 28. Juni wurde Ministerpräsident Hendrik Wüst im nordrhein-westfälischen Landtag wiedergewählt. CDU und Grüne verfügen im Landtag zusammen über eine klare Mehrheit von 115 der 195 Sitze. Wüst erhielt in geheimer Wahl 106 von 181 gültigen Stimmen. 74 Abgeordnete stimmten mit Nein; es gab eine Enthaltung.
    Bei der Wahl am 15. Mai hatte die bisherige schwarz-gelbe Koalition ihre Mehrheit im Landtag des bevölkerungsreichsten Bundeslandes verloren - zu groß waren die Stimmverluste der FDP. Die CDU baute ihre Position als stärkste Partei vor der SPD aus. Die Grünen wurden dritte Kraft, konnten ihr Ergebnis dabei fast verdreifachen und standen als Königsmacher da. Über eine Ampelkoalition, die rechnerisch möglich gewesen wäre, wollte die FDP nach ihren schweren Verlusten nicht verhandeln. Auch eine große Koalition galt nur als Notlösung. So war Schwarz-Grün früh der Favorit.

    Wie begründen CDU und Grüne ihre Koalition?

    Auf Landesebene gab es bisher noch keine schwarz-grüne Koalition in Nordrhein-Westfalen. Beide Seiten betonten deshalb zu Beginn der Gespräche, dass nach Jahrzehnten der parteipolitischen Gegnerschaft weite Wege gegangen werden müssten. Bei der Vorstellung des Koalitionsvertrags sagte Wüst: "Dieses Werk trägt inhaltlich, aber vor allem auch persönlich." Es sei in den Koalitionsverhandlungen gelungen, "vermeintliche Gegensätze zu versöhnen, um etwas Gutes zu schaffen". Gemeinsamer Kompass sei: mehr Klimaschutz, nachhaltige Wirtschaft, zukunftsfähige Infrastruktur, Investitionen in Bildung und solide Finanzen.
    Grünen-Landeschefin Mona Neubaur sagte: "Wir haben uns gemeinsam auf eine Strecke begeben. Und für diese Form und für diese Strecke gab es bisher in NRW keine Karte." Ein Sprint oder "gemütlicher Spaziergang" seien die Verhandlungen nicht gewesen, sagte Neubaur, die nach Angaben der Grünen Landesministerin für Wirtschaft, Industrie, Klima und Energie werden soll. Beide Parteien seien bereit, gemeinsam "in einen Marathon einzusteigen".
    13 Facharbeitsgruppen hatten den Koalitionsvertrag zwischen den beiden Parteien erarbeitet. Grundlage ist ein umfassendes zwölfseitiges Sondierungspapier, an dem sich der Vertrag inhaltlich in weiten Teilen orientiert.

    Was im Koalitionsvertrag steht

    Klimaneutralität
    "Wir machen Nordrhein-Westfalen zur ersten klimaneutralen Industrieregion Europas", schreiben CDU und Grüne. Der Kohleausstieg soll bis 2030 realisiert werden. Für den umstrittenen Braunkohle-Tagebau Garzweiler wollen die Parteien in Abstimmung mit dem Betreiber RWE eine Beanspruchung so weniger Flächen wie möglich erreichen. Alle Dörfer des dritten Umsiedlungsabschnitts im Rheinischen Braunkohle-Revier sollen bleiben. Ob der davor liegende Ort Lützerath noch abgebaggert wird, der zum Symbol des Widerstandes gegen die Braunkohle geworden ist, blieb unklar.
    Die Solar-Energie in NRW soll ausgebaut werden. Schrittweise soll eine "umfassende Solarpflicht" kommen. In den kommenden fünf Jahren sollen zudem mindestens 1.000 zusätzliche Windkraftanlagen entstehen, dafür soll die pauschale 1.000-Meter-Abstandsregel abgeschafft werden.
    Mobilität
    "Der öffentliche Verkehr, der Schienenverkehr und der Radverkehr sind das Rückgrat der zukünftigen nachhaltigen und vernetzten Mobilität", heißt es im Koalitionsvertrag. Dazu soll es einen "Einstieg in eine landesweite Mobilitätsgarantie" geben. Ziel sei ein preiswerter ÖPNV für alle. Das soll unter anderem dadurch erreicht werden, dass alte Bahnstrecken reaktiviert werden, ein landesweites Schnellbusnetz geschaffen wird und Schülern, Azubis, Pendlern und Senioren vergünstigte Tarife angeboten werden.
    Schule und Kita
    Unterrichtausfall und Lehrermangel sind in Nordrhein-Westfalen - wie in vielen anderen Bundesländern auch - ein großes Problem. CDU und Grüne wollen deshalb 10.000 zusätzliche Lehrerinnen und Lehrer "in das System Schule bringen". Die nicht sofort besetzbaren Stellen würden temporär durch weitere pädagogische Fachkräfte und unterstützendes Personal besetzt.
    "Wir werden die Eingangsbesoldung für alle Lehrämter auf A13 anheben, die Besoldung auch bei Bestandslehrkräften anpassen und in einer ersten Stufe im Nachtragshaushalt 2022 Mittel bereitstellen", heißt es. Die Gehaltsangleichung zwischen Lehrkräften an Grund- und Sekundarschulen und Gymnasien war auch in der vergangenen Legislaturperiode bereits Thema, sie scheiterte nach Aussagen der FDP aber bislang am CDU-geführten Finanzministerium.
    In den Kindertagesstätten soll Programm zum Einsatz von Alltagshelferinnen und -helfern verlängert werden. Stundenaufstockungen für Bestandskräfte will die Koalition ermöglichen und mehr Weiterqualifizierung fördern. Die Anerkennung ausländischer Abschlüsse soll verbessert werden.
    Wahlalter 16
    Die Koalition will das Wahlalter bei Landtagswahlen auf 16 Jahre absenken. Dieser Beschluss gehörte bereits zu den größten Überraschungen im Sondierungspapier, hatte doch die CDU sich lange dagegen gesperrt. Grüne, FDP und SPD im NRW-Landtag hatten sich bereits für die Absenkung des Wahlalters ausgesprochen, dafür ist allerdings eine Zweidrittelmehrheit notwendig. Wenn die CDU jetzt mit im Boot ist, stehen die Chance auf Umsetzung gut.
    Im Sondierungspapier wurde als Begründung vor allem die niedrige Wahlbeteiligung an der Landtagswahl im Mai angegeben. Das Thema Wahlalter wird aber auch mit Blick auf Generationengerechtigkeit diskutiert.
    Im April hatte bereits Baden-Württemberg – ebenfalls von Grünen und CDU regiert – das Wahlalter auf Landesebene auf 16 Jahre gesenkt. In Brandenburg, Bremen, Hamburg und Schleswig-Holstein gilt es bereits.
    Wohnen
    "Die öffentliche Wohnraumförderung werden wir mindestens auf dem bisherigen Niveau fortsetzen, um für die Legislaturperiode Planungssicherheit zu geben", heißt es im Vertrag. Die Gründung von kommunalen Wohnungsbaugesellschaften und Bau-Genossenschaften soll unterstützt werden. In Ballungsgebieten soll die Förderung von mehr mehr "preisgedämpfter Wohnraum" geprüft werden.
    Sicherheit
    Die nordrhein-westfälische Polizei soll in den kommenden Jahren deutlich gestärkt werden: Dazu wollen CDU und Grüne jährlich 3.000 Polizistinnen und Polizisten einstellen. Auch die Attraktivität der Polizei für qualifizierte Seiteneinsteiger soll erhöht werden.
    Zudem ist geplant, einen unabhängigen Polizeibeauftragten beim Landtag einzusetzen. Auf die Aufklärung und Verhinderung von sexualisierter Gewalt gegen Kinder wollen die Parteien weiterhin einen Schwerpunkt legen. Organisierte Kriminalität soll bekämpft werden: "Wir schaffen eine für die Erfassung der Straftaten maßgebliche, einheitliche polizeiliche und justizielle Definition zur Clan-Kriminalität, ohne Personen unter Generalverdacht zu stellen."
    Das umstrittene NRW-Versammlungsgesetz wollen die Koalitionäre "im Zuge der vorgesehenen Berichtspflicht Ende 2023 unabhängig und wissenschaftlich evaluieren".
    Katastrophenschutz
    Eine Lehre aus dem Hochwasser im Juli 2021 ist die deutliche Stärkung des Katastrophenschutzes, schreiben CDU und Grüne. Die Erstellung von Bedarfsplänen solle dabei helfen, auf mögliche Katastrophen besser vorbereitet zu sein. "Das Gesetz über den Brandschutz, die Hilfeleistung und den Katastrophenschutz werden wir novellieren", heißt es im Koalitionsvertrag.
    Corona-Pandemie
    CDU und Grüne wollen mit Blick auf die Corona-Pandemie die nötigen Vorbereitungen für den Herbst treffen, insbesondere für die Bildungseinrichtungen: "Wir wollen im Falle einer neuen Corona-Welle transparent und möglichst zeitnah kommunizieren, welche Maßnahmen mit welchem zeitlichen Vorlauf zu ergreifen sind. Wir werden alle möglichen Maßnahmen ergreifen, um Schulschließungen zu vermeiden."

    Was nicht im Koalitionsvertrag steht

    Schwer enttäuscht reagierte die Grünen Jugend in Nordrhein-Westfalen. "Schwarz-Grün entpuppt sich in dem vorgelegten Vertrag als Koalition der Zumutung", sagte die Landessprecherin des Verbands Nicola Dichant. Der Landessprecher der Grünen Jugend, Rênas Sahin, kritisierte: "In der Innenpolitik gibt es keine Veränderung zum repressiven Kurs der CDU." Das sei für den linken Jugendverband "nicht akzeptabel". Außerdem vermisse er eine flächendeckende Mietpreisbremse, ein klares Bekenntnis für einen "Tarifvertrag Entlastung" für die Unikliniken sowie zur Bekämpfung von Armut.
    Von Klimaschutzverbänden und -aktivisten kam ebenfalls massive Kritik am Koalitionsvertrag. Fridays for Future kündigte für den Herbst "geballten Widerstand der Klimabewegung" an, falls die neue Landesregierung das Dorf Lützerath im Rheinischen Revier nicht vor dem Abbaggern rette. Der Bund für Umwelt und Naturschutz (BUND) vermisst wirksame Maßnahmen gegen zu hohen Flächenverbrauch und für mehr Naturwald.
    Die NRW-Sprecherin von Fridays for Future, Pauline Brünger, sagte in Düsseldorf, es mache sie "fassungslos, dass sich die neue Regierung auf keinen konkreten Pfad zur Klimaneutralität einigen konnte".
    Quelle: Nina Voigt, Martin Teigeler, Felicitas Boeselager, Vivien Leue, Gudula Geuther, Katharina Hamberger, dpa, rtr, AFP, epd, pto