Die Regierungsberater berufen sich bei ihrer Empfehlung auf ein Gutachten des Wissenschaftlichen Beirats im Bundeswirtschaftsministerium. Diesem zufolge drohen bereits ab dem Jahr 2025 "schockartig steigende Finanzierungsprobleme in der gesetzlichen Rentenversicherung."
Im vergangenen Jahr hatte die Rentenkommission der Bundesregierung in einem Bericht empfohlen, die gesetzlich festgelegten Haltelinien für das Sicherungsniveau bei der Rente und dem Beitragssatz über das Jahr 2025 hinaus fortzuschreiben. Denn mit diesen Haltelinien von derzeit maximal 20 Prozent bei den Beiträgen und nicht weniger als 48 Prozent beim Rentenniveau würde sowohl für die Beitragszahler als auch für die Rentenbezieher eine große Verlässlichkeit einhergehen, so die Prognose.
Nun hält der Wissenschaftliche Beirat des Bundeswirtschaftsministeriums mit einem Gutachten für eine Reform der gesetzlichen Rentenversicherung dagegen und spricht davon, dass die rentenpolitischen Maßnahmen der vergangenen Jahre in eine Sackgasse geführt hätten – mit deutlichen Ausgabensteigerungen in der Zukunft.
Rente nicht von veränderter Lebenserwartung abkoppeln
Der Beirat fordert, dass die Lebensphase, in dem ein Mensch Rentenbezüge erhält, auf Dauer nicht von der allgemeinen Entwicklung der Lebenserwartung abgekoppelt werden dürfe. Mit Blick auf die steigende Lebenserwartung müssten die zusätzlichen Lebensjahre "nach einer klaren Regel" zwischen 'mehr arbeiten' und 'länger Rente beziehen' aufgeteilt werden. Wie das Gutachten aufführt, würde bei Anwendung dieses vorgeschlagenen dynamischen Modells das Renteneintrittsalter im Jahr 2042 68 Jahre erreichen. Der Beirat betont aber zugleich, dass die Errechnung auf zum jeweiligen Zeitpunkt aktuellen Prognosen der Lebenserwartung basiert. Im eher unwahrscheinlichen Fall einer stagnierenden Lebenserwartung würde die Regel also nicht greifen. Sollte die Lebenserwartung sogar abnehmen, würde auch das Rentenalter sinken.
Ausnahmen für Kranke
Das Gutachten hebt außerdem hervor, dass Menschen mit gesundheitlichen Beeinträchtigungen von der Regel ausgenommen werden müssten. Umgekehrt dürfe das Renteneintrittsalter jene Menschen nicht einschränken, die sich fit fühlen und eigentlich gerne länger arbeiten würden. Der Wissenschaftliche Beirat im Bundeswirtschaftsministerium schlägt deshalb zusätzlich die Einführung eines begrenzten Weiterbeschäftigungsrechts jenseits des Rentenalters vor – "solange nicht betriebliche Gründe dagegensprechen".
Neben der dynamischen Kopplung des Rentenalters an die Lebenserwartung hält der Beirat weitere Schritte für notwendig, um die Nachhaltigkeit des Rentensystems zu gewährleisten. Dafür setzen die Wissenschaftler um den Beiratsvorsitzen Prof. Klaus Schmidt (LMU München) auf eine Reformstrategie mit wahlweise zwei unterschiedlichen Wegen, die sich zum Teil deutlich von den gängigen Prinzipen der Deutschen Rentenversicherung abwenden.
Weg 1: Bestandsrenten und Zugangsrenten
Dieser Weg bezieht sich auf Bestandsrenten und Zugangsrenten. Bestandsrenten sind die Gesamtheit aller Renten, die zu einem bestimmten Stichtag an Leistungsberechtigte ausgezahlt werden. Zugangsrenten bezeichnen jene Renten, die bis zum jeweiligen Stichtag erstmals gewährt oder aber neu berechnet worden sind.
Bestandsrenten weniger stark dynamisieren
Nach dem Vorschlag des Beirats sollen Bestandsrenten nun weniger stark "dynamisiert", also weniger den wirtschaftlichen Entwicklungen angepasst werden als Zugangsrenten. Im Gutachten heißt es: "Während die Zugangsrenten durch eine Haltelinie von z.B. 48 Prozent gesichert werden, werden anschließend die Bestandsrenten nur noch mit der Kaufkraft dynamisiert"
Beitragssatz unter 23 Prozent
Durch diesen Schritt erhofft sich der Beirat eine Stabilisierung des Rentenbeitragssatzes von dauerhaft unter 23 Prozent, betont aber auch die Nachteile des Modells, welches beispielsweise in Österreich und Frankreich zur Anwendung kommt: In Zeiten starker Lohnanstiege bekämen Menschen, die ein sehr hohes Alter erreichen, im Verhältnis zu den Löhnen nur geringe Renten. Steigen aber die Löhne nur schwach, bleibt der beitragsentlastende Effekt zudem gering. Das heißt: Dieses Modell spielt seine Stärken vor allem in Phasen eines durchschnittlichen Lohnanstieges aus.
Weg 2: Aufwertung geringer Renten gegenüber hohen
Dieser Weg soll dem Gutachten zufolge eine relative Aufwertung geringer Renten gegenüber hohen Renten vornehmen und so die Gefahr von Altersarmut mindern. Neu eingeführt würde hier ein "degressiver", also stufenweise abnehmender Zusammenhang zwischen Entgeltpunkten und letztendlichem Rentenzahlbetrag. Demnach würde mit steigender Anzahl der Entgeltpunkte die Rente abnehmen. Damit Gutverdiener mit vielen Entgeltpunkten aber vor einer unverhältnismäßig niedrigen Rente bewahrt werden, sieht das Modell vor, zumindest einen Teil der erworbenen Entgeltpunkte von der Regelung zu befreien.
Kritiker des Vorstoßes
Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) hat sich gegen den Vorschlag des Renteneintritts mit 68 ausgesprochen. Wie eine Sprecherin mitteilte, mache sich der Minister die Schlussfolgerungen des Beirats nicht zwingend zueigen. Altmaier selbst stellte klar, das Rentenalter sei auf Vorschlag des damaligen Arbeitsministers Müntefering auf 67 Jahre festgesetzt worden. Dabei solle es bleiben.
Scholz: Horrorszenario
Bundesfinanzminister Olaf Scholz (SPD) sprach angesichts des Vorstoßes sogar von einem Horrorszenario, das dazu dienen solle, Rentenkürzungen durchzusetzen. Johannes Geyer, Rentenexperte des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung, stellte im Dlf-Interview klar, dass die Gruppe der Beitragszahler in das umlagenfinanzierte System vergrößert werden müsse, um das Rentenniveau langfristig zu halten.
Längeres Arbeiten, so Geyer, sei dabei zwar auch ein möglicher Baustein, denkbar seien aber auch weitere Wege - zum Beispiel mehr Menschen in Arbeit zu bringen, weniger Verbeamtungen zu genehmigen und die Einwanderung von qualifizierten Arbeitskräften zu fördern.
Das Problem ist seit Jahrzehnten bekannt: Immer weniger erwerbstätige Menschen müssen für immer mehr Rentenbezieher aufkommen. Aufgrund der steigenden Lebenserwartung vergrößert sich zudem der Zeitraum mehr und mehr, in der die Renten bezogen werden.
Bereits heute fließt mehr als ein Viertel des Bundeshaushalts in die Rentenversicherung. Der Anteil dürfte sich – wenn nichts passiert – zur Mitte des Jahrhunderts der 50-Prozent-Marke-nähern, so das Weckruf-Szenario der Gutachter.
Quelle: bmwi, Bundeszentrale für politische Bildung, Dlf-Nachrichten, Volker Finthammer, jma