Die CDU-Vorsitzende Angela Merkel setzt offenbar auf eine Neuauflage der Koalition von Union und SPD. Sie halte nichts davon, dass man die Menschen bitte, neu zu wählen, nur weil man mit dem Ergebnis nichts anfangen könne, sagte sie auf dem Landesparteitag der CDU Mecklenburg-Vorpommern in Kühlungsborn. Es sei bedauerlich, dass Jamaika nicht zustande gekommen sei, jetzt müsse man aber nach vorne schauen.
Mit der SPD habe man in den vergangenen Jahren gut zusammengearbeitet, so die Bundeskanzlerin. Maßstab für die CDU bei der Entscheidung über eine Regierungsbeteiligung sei, ob es den Menschen besser gehe und die richtigen Weichen für die Zukunft gestellt würden.
Jusos widersprechen Schulz
Die Jusos beraten derweil auf ihrem Bundeskongress in Saarbrücken über die Rolle der SPD bei der Bildung einer neuen Bundesregierung. Die SPD-Fraktionschefin Nahles sagte auf dem Kongress, mit dem Scheitern der Jamaika-Sondierungen sei eine neue Lage entstanden. Das heiße nicht, dass die SPD zum "Notnagel der gescheiterten Bundeskanzlerin" werde. Vielmehr gehe es jetzt darum, gemeinsam zu überlegen, wie man sich positioniere. Dabei sei offen, "in welcher Form und in welcher Konstellation" die Sozialdemokraten nun Verantwortung übernähmen.
Der neue Vorsitzende der Nachwuchsorganisation, Kevin Kühnert, hatte sich gestern gegen eine mögliche Neuauflage der Großen Koalition ausgesprochen. Er steht damit im Widerspruch zu Parteichef Martin Schulz, der dies nicht mehr explizit ausschließt.
Schulz hat bei den Jusos seine Entscheidung verteidigt, nun doch Gespräche mit der Union zu führen. Wenn Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier zu einem Treffen mit anderen Parteien einlade, wolle er dies nicht abschlagen. Schulz betonte, es sei offen, was danach komme: Er selbst strebe weder eine Große Koalition noch eine Minderheitsregierung oder eine Neuwahl an. Der Termin beim Bundespräsidenten ist für Donnerstag angesetzt.
SPD-Vizechef Thorsten Schäfer-Gümbel stellte allerdings bei einem Landesparteitag in Frankfurt klar, das Gespräch bei Steinmeier werde "keinen Automatismus" auslösen. Eine Entscheidung über die mögliche Neuauflage der Großen Koalition werde nicht vor dem Bundesparteitag fallen, der vom 7. bis 9. Dezember in Berlin stattfindet.
Clement für Minderheitsregierung
Der ehemalige SPD-Politiker Wolfgang Clement würde die Bildung einer Minderheitsregierung begrüßen, hält diese Lösung aber nicht für eine realistische Option. "Die Minderheitsregierung ist ein Traum, der nicht wahr werden wird", sagte der frühere Ministerpräsident von Nordrhein-Westfalen im Deutschlandfunk. Für die großen Volksparteien sei das eine Chance, sich zu erneuern. SPD und auch die CDU befänden sich in einer dramatischen Situation und verlören ununterbrochen Wähler. Die Minderheitsregierung würde ein "völlig verkrustetes, veraltetes System" aufbrechen. Eine Regierung mit offenen Mehrheiten würde neue Gesichter und neue Themen auf die Agenda bringen.
Die Sondierungsgespräche über ein Jamaika-Bündnisseien ein "unerträgliches Gewürge" gewesen, so der frühere SPD-Politiker, darum habe er auch Verständnis für den Rückzug von FDP-Chef Christian Lindner. Clement vermutet, dass es wieder zu einer Großen Koalition kommen wird. Seine Einschätzung: "Steinmeier wird nicht ruhen, bis eine Regierung steht."
Grüne: FDP schuld an Jamaika-Aus
Der Grünen-Vorsitzende Cem Özdemir sagte, man sei weiterhin bereit, Verantworung zu übernehmen und schließe auch eine schwarz-grüne Minderheitsregierung nicht aus. Wenn es wieder eine Große Koalition geben werde, komme es darauf an, für Klimaschutz, Menschlichkeit, Europa und Weltoffenheit einzustehen. Auf dem Bundesparteitag der Grünen in Berlin rief er die Delegierten dazu auf, gezielt um Wähler der FDP zu werben. Man sollte sich um diejenigen FDP-Anhänger bemühen, die nicht antieuropäisch seien und vor allem den Staat zurückdrängen wollten, sagte er.
Özdemir warf der FDP erneut vor, die Schuld am Scheitern der Sondierungen für eine Jamaika-Koalition zu tragen. Wenn FDP-Chef Lindner Kompromisse für eine Demütigung halte, dann fehle es ihm offensichtlich an der nötigen Demut vor den Aufgaben.
Grünen-Fraktionschef Anton Hofreiter erklärte, die FDP habe bei den Sondierungsgesprächen versucht, die CSU rechts zu überholen und sich als europafeindliche Partei zu profilieren. Er widersprach zudem der Darstellung Union und Grüne seien sich bei den Verhandlungen sehr nahegekommen. Es habe etwa in der Klimapolitik große inhaltliche Differenzen gegeben.
FDP: Jamaika wurde romantisch verklärt
Lindner selbst hat den Ausstieg seiner Partei aus den Jamaika-Sondierungen erneut verteidigt. Er sagte auf dem NRW-Landesparteitag in Neuss, die FDP erkläre Politik zu einer Charakterfrage und hafte mit ihrer Grundüberzeugung. Die Liberalen seien bereit, Verantwortung zu übernehmen und auch fähig zum Kompromiss. Das zeige man in vielen Landesregierungen. Man müsse aber hinter der Grundidee einer Regierung stehen können, erklärte Lindner und fügte hinzu, Jamaika sei in den Medien zu einem "romantischen Sehnsuchtsort" verklärt worden.
(gri/kis/mw)