Silvia Engels: Italien wird wohl bald in Neuwahlen gehen. Beobachter erwarten, dass die Abstimmung nach der gescheiterten Regierungsbildung zwischen rechtsgerichteter Lega und populistischer Fünf Sterne Bewegung zu einem Votum über den Verbleib Italiens im Euroraum werden könnte. Die italienischen Börsen waren gestern auch deshalb auf Talfahrt gegangen.
Italien steckt in turbulenten Zeiten. Hin und her ging es gestern, ob der parteilose Finanzexperte Carlo Cottarelli tatsächlich die Expertenregierung bilden wird oder nicht. Am Telefon ist Laura Garavini. Sie sitzt für die PD, die italienischen Sozialdemokraten, im italienischen Senat. Guten Morgen, Frau Garavini.
Laura Garavini: Schönen guten Morgen, Frau Engels.
"Gehe von einem Premierminister der Lega aus"
Engels: Wie sind Ihre Informationen in diesem Hin und Her? Wird Herr Cottarelli heute das Expertenkabinett auf die Beine stellen?
Garavini: Es hat eine neue Wende gegeben. Bis gestern Nachmittag um 16 Uhr sah es so aus, als ob tatsächlich Herr Cottarelli der nächste Regierungschef wäre. Jetzt aber hat es sich doch wieder geändert. Ich gehe davon aus, dass es doch eine politische Regierung geben wird, und zwar unter einem Premierminister der Lega. Das hat damit zu tun, dass sowohl Lega als auch die Fünf Sterne Bewegung völlig unberechenbare Leute sind. Die verstehen Politik als Spiel.
Sie behaupten heute etwas und machen ein paar Stunden später genau das Gegenteil. Ich denke, es ist nicht auszuschließen, dass der Staatspräsident eine politische Regierung erlauben wird aufgrund der Tatsache, dass es im Parlament doch eine entsprechende Mehrheit gibt, und das würde heißen, dass Neuwahlen vermieden werden – Neuwahlen, wo es nicht sicher wäre, dass es, nachdem sie stattgefunden hätten, andere Mehrheitsverhältnisse gäbe. Wir wollen natürlich als Sozialdemokraten im Wahlkampf alles dafür unternehmen, dass wir eine europafreundliche Regierung schaffen wollen, aber die Sicherheit ist leider natürlich nicht da und aus diesem Grund gehe ich davon aus, dass es heute doch in die Richtung gehen wird, dass es eine politische Regierung unter der Leitung der Lega Nord geben wird.
Cottarelli wird zum Staatspräsidenten gehen
Engels: Aber gestern wurden ja Gerüchte dementiert, Cottarelli werde den Regierungsauftrag zurückgeben. Heute ist er dann wieder beim italienischen Staatspräsidenten. Das, denken Sie, wird nicht von Dauer sein?
Garavini: Das ist die Frage. Ich kann mir gut zwei Szenarien vorstellen. Ich gehe wie gesagt davon aus, dass Herr Cottarelli heute schon zum Staatspräsidenten geht, aber einfach, um die Regierung abzulehnen, gerade aufgrund dessen, dass es gestern Abend spät Statements sowohl von der Seite der Lega Nord als auch von der Fünf Sterne Bewegung gegeben hat, die sich wieder für eine politische Regierung geäußert haben – dieses Mal anscheinend ohne einen Finanzminister, der europafeindlich wäre.
Engels: Paolo Savona wäre nicht mehr dabei?
Garavini: Davon gehe ich aus. Ansonsten würde Herr Mattarella weiterhin sich dagegen äußern. Daher gehe ich schon davon aus, dass es diese Veränderung geben wird. Und dann ist die Frage: Auf der einen Seite könnte es sein, dass die Regierung aus Lega Nord und Fünf Sterne Bewegung entsteht, es aber innerhalb kurzer Zeit innerhalb der Koalition kracht und es doch Neuwahlen geben würde. Aber auf der anderen Seite könnte ich mir auch gut vorstellen, dass es im Gegenteil eine Regierung wird, die länger hält oder lange hält, aufgrund der Tatsache, dass sie doch viele Gemeinsamkeiten haben. Sie sind beide nationalistische politische Kräfte, europakritische Kräfte, sie machen eine Art Trump-Politik a la Italiana, wo die Linie sein wird, Italien first. Und unter diesem Motto könnte ich mir gut vorstellen, dass so eine Regierung doch eine lange Zeit dauern würde.
Engels: Denken wir mal Ihren Gedanken weiter. Nehmen wir an, dass der Eurogegner Paolo Savona nicht Wirtschafts- und Finanzminister würde, aber dann doch noch dieses Bündnis zustande käme aus Fünf Sternen und der Lega-Partei. Was würde das für die italienische Finanzstabilität und die europäische Politik bedeuten?
Garavini: Was wir jetzt an Chaos von der Fünf Sterne Bewegung und der Lega Nord erleben, ist ein Vorgeschmack auf das, was Europa an Chaos mit dieser Regierung erleben wird. Man kann sich bei diesen Parteien auf nichts verlassen. Sie sagen heute das und machen morgen genau was anderes. Daher ist das wirklich keine gute Nachricht, weder für das Land Italien, noch für Europa.
"Wir zeigen die Gefahr dieser politischen Kräfte"
Engels: Dann schauen wir auf den Weg, den dieses Land in den letzten Wochen und Monaten ja genommen hat. Damals hat ja kurz nach den Wahlen schon Ihre Partei, die sozialdemokratische PD, ein Zusammengehen mit den Fünf Sternen ausgeschlossen. War das im Nachhinein betrachtet ein Fehler? Hat man die Radikalisierung, die wir danach gesehen haben, vielleicht dadurch befeuert?
Garavini: Nein. Ich gehörte zu denjenigen Abgeordneten und Mitgliedern der Partei, die von Anfang an eine mögliche Koalition mit der Fünf Sterne Bewegung ausgeschlossen haben. Und gerade auch nach dem Benehmen dieser politischen Kraft auch in den letzten Wochen betone ich wieder, das sind politische Kräfte, die die Demokratie gefährden.
Ich bin der Meinung, es war gut und es ist gut, dass wir nicht mit solchen Kräften in einer Koalition regieren, mitregieren. Wir sind auf der Seite der Opposition diejenigen, die der Bevölkerung zeigen, wie gefährlich solche politischen Kräfte sind, und ich bin der Meinung, wenn es Neuwahlen gäbe – und wahrscheinlich wird es auch bald Neuwahlen geben -, dann wissen die Italiener genau, die Bevölkerung weiß genau, wie gefährlich so eine Regierung sein kann und welchen Schaden sowohl das Land als auch Europa davon hat. Das hat bestimmt nicht nur mit der Reaktion der Märkte zu tun, wie Herr Oettinger gestern gesagt hat. Das war eine völlig unglückliche Reaktion und Behauptung von ihm. Aber wie gesagt, unsere Position ist die Opposition, weil nur dann können wir genau erläutern, wie schädlich solche politischen Kräfte sind.
Haltung gegen Europa und gegen Deutschland
Engels: Sie haben eben schon die Anmerkung von EU-Haushaltskommissar Oettinger angedeutet. Er hat gestern Schlagzeilen gemacht. In einem Interview der Deutschen Welle hat er gesagt, er hoffe, dass die negative Reaktion der Finanzmärkte die Italiener bei Neuwahlen davon abbringen werde, Populisten zu wählen. Der Lega-Chef Salvini hat das als Drohung und Einschüchterungsversuch eines Deutschen an die Adresse Italiens verstanden. Oettinger hat sich mittlerweile entschuldigt. Aber wie kommt das generell in Italien an. Dass die Lega dagegen harte Kritik äußert, ist zu erwarten. Aber verfängt diese Kritik auch bei einer breiten Mehrheit der Italiener, die Oettinger und die Deutschen für so etwas ablehnen?
Garavini: Gerade diese Haltung gegen Europa und gegen Deutschland, insbesondere gegen Deutschland, insbesondere gegen Frau Merkel, ist genau die politische Haltung, die schon seit Jahren sowohl die Lega Nord als auch die Fünf Sterne Bewegung gemacht haben, benutzt haben. Auf der einen Seite eine Banalisierung der Politik. Ich hatte gestern den Artikel von Stefan Kornelius in der Süddeutschen Zeitung gelesen. Das entspricht sehr gut der Realität Italiens, gerade der Haltung von solchen politischen Kräften. Eine Banalisierung der Politik auf der einen Seite, so dass die etablierten Parteien, die etablierte Politik ständig lächerlich gemacht wird, ständig nicht ernst genommen wird und man damit vernichtet wird, und auf der anderen Seite auch diese ganz harte kritische Haltung gegenüber Europa und gerade gegenüber Deutschland.
Engels: Wird denn diese Haltung gerade mehrheitsfähig in Italien?
Garavini: Leider schon. Die Mehrheitsverhältnisse sind im Parlament zurzeit genau diese. Gerade deswegen gehe ich davon aus, dass Mattarella auch eine Lega Nord und Fünf Sterne Bewegung letztendlich annehmen wird, akzeptieren wird. Und leider ist das natürlich auch entsprechend in der Bevölkerung zu betrachten.
Engels: Laura Garavini war das. Sie sitzt für die PD, die italienischen Sozialdemokraten, im italienischen Senat, und wir sprachen mit ihr über die Entwicklungen in Italien. Vielen Dank für Ihre Zeit heute Morgen.
Garavini: Schönen Tag noch.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.