Dirk-Oliver Heckmann: Herr Morrow, nach drei Jahren faktischer Unregierbarkeit einigen sich Sinn Féin und DUP auf eine Zusammenarbeit. Wie überrascht waren Sie von dieser Nachricht?
Duncan Morrow: Ja, auf der einen Seite natürlich, nach drei Jahren weiß keiner, ob es wieder weitergehen wird, und man kann dann von einer gewissen Überraschung sprechen. Aber auf der anderen Seite, im Dezember gab es in Großbritannien eine Wahl, wo die beiden Großparteien sehr schlecht vorangekommen sind, und es gab einen großen Druck auf sie, eigentlich etwas zu tun, um die Situation zu ändern. Also keiner hat gewusst letzte Woche, ob wir eine Regierung kriegen würden, aber letztendlich war es eigentlich in ihrem Interesse, denke ich.
"Hass gibt es immer noch"
Heckmann: Der Nordirland-Konflikt ist ja vor vielen Jahren beigelegt worden durch das Karfreitagsabkommen. Wie weit sind denn Sinn Féin und DUP heute voneinander entfernt? Ist da einfach nur große Distanz, oder ist da nach wie vor regelrechter Hass auf beiden Seiten?
Morrow: Ich würde sagen, immer noch regelrechten Hass, so wie Sie es ausdrücken, gibt es sicher noch. Ich würde sagen, Gewalt hat sich geändert im Großen und Ganzen, aber es gibt immer noch einen sehr großen Konflikt über die Grenze, ob Nordirland zu Großbritannien oder Irland gehören sollte, und Brexit und die ganze Geschichte von der EU hat das eigentlich vertieft in den letzten Jahren. Deswegen ist es auch in den kommenden Jahr auch sehr schwierig zu sehen, wie das wieder weitergehen wird. Aber zumindest sind sie wieder an der Regierung, das ist irgendwie ein Schritt.
"Großer Druck" aus der Bevölkerung auf die Parteien
Heckmann: Werden wir gleich noch mal drauf zurückkommen, was den Brexit angeht und die zukünftige Entwicklung, aber vielleicht noch mal einen Schritt zurück, Herr Morrow: Was hat denn jetzt den Ausschlag gegeben dafür, dass eine Zusammenarbeit jetzt doch möglich war, aus Ihrer Sicht?
Morrow: Ja, es gab einen großen Druck von der Bevölkerung. Bei der Wahl im Dezember – es war eine britische Wahl – haben die Oppositionsparteien oder die kleineren Parteien zumindest einen großen Fürwind (Aufwind) gekriegt. Deswegen war eigentlich ein großer Druck auf den großen Parteien irgendwie, entweder eine Regierung zu bilden oder zu einer anderen Wahl zu kommen. Deswegen, glaube ich, war es sehr wichtig für sie, irgendwie ein Abkommen zu finden. [...] Auf der anderen Seite sind sie einig, dass sie gegen das Abkommen der britischen Regierung sind. Also, es gibt eine große Arbeit zu tun über die Zukunft von Nordirland, also beide Seiten sind wichtig.
"Brexit hat politische Situation sehr verändert"
Heckmann: Sie haben es gesagt, Nordirland war ja eines der Kernprobleme auch bei den ganzen Brexit-Verhandlungen. Bei einem Austritt Großbritanniens, was ja jetzt Ende Januar ansteht, da hat man einen Wiederausbruch des Bürgerkriegs sogar befürchtet, neue Gewalt befürchtet, sollte es nämlich zu einer harten Grenze zwischen Irland und Nordirland kommen. Und das Problem, das wurde ja bekanntlich insofern gelöst, dass die Zollgrenze jetzt in der Irischen See verläuft. Trotzdem weiß man nicht, ob nicht auch in Nordirland die Unabhängigkeitsbestrebungen neuen Auftrieb bekommen. Was bedeutet die Neubildung jetzt in der Regierung für diesen Aspekt?
Morrow: Das ist interessant. Eigentlich weiß keiner, wie das jetzt in der Zukunft gehen wird, weil die Situation so (an)gespannt ist. Ja, wie Sie gesagt haben, haben wir jetzt keine harte Grenze zu Irland, aber eine Zollgrenze innerhalb Großbritanniens. Wie hart diese Grenze sozusagen wird, wie groß die Zollgrenze wird, wird jetzt besprochen zwischen Großbritannien und der EU. Und deswegen wissen wir noch nicht, was die genaue Situation wird, aber auch mit einer Binnengrenze hat es Kosten für Nordirland. Und die Unionisten fürchten sich, dass eine Zollgrenze eigentlich auf längere Sicht Nordirland auf Irland orientieren wird. Deswegen, für beide Seiten gibt es immer noch sehr viel von der EU-Sache im Spiel, gerade hier in Nordirland.
Heckmann: Wie ist denn insgesamt die Stimmung in Nordirland, wie stark ist die Stimmung gegen beziehungsweise für den Brexit beziehungsweise für ein Verlassen möglicherweise Großbritanniens? Das steht ja in Rede, dass möglicherweise ja auch wie in Schottland vielleicht es eine Abstimmung geben wird.
Morrow: Ja, Brexit hat eigentlich die politische Situation sehr verändert, vielleicht ein Drittel der protestantischen Bevölkerung hat gegen den Brexit gewählt, und das auf mehrere Weise. Und jetzt ist es zum ersten Mal möglich, obwohl immer noch nicht wahrscheinlich, dass es eine Mehrheit für eine irische Wiedervereinigung geben würde. Das ist dann für die Unionisten, für die Protestanten, für die Briten in Nordirland irgendwie ein großes Risiko, und jetzt ist immer eigentlich diese Frage von der Grenze immer die große Frage in der nordirischen Politik. Deswegen wissen wir immer noch nicht, wie das (ausgehen) wird, aber diese Regierung heißt zumindest, dass sie sich auf andere Sachen konzentrieren können und ein bisschen mehr miteinander arbeiten können. Und vielleicht können wir dann mögliche Zwischenlösungen finden in dieser Zusammenarbeit.
Gewaltbereitschaft "ein bisschen gesunken"
Heckmann: Das heißt, die Wahrscheinlichkeit, dass es zu neuer Gewalt zwischen den früheren Konfliktparteien kommt, die ist jetzt mit der Neubildung der Regierung eher gesunken, verstehe ich Sie richtig?
Morrow: Ja, ein bisschen gesunken, würde ich sagen. Es ist sicherlich besser, als dass sie keine Regierung bilden könnten. Auf der anderen Seite, jeder in Nordirland wird sagen, das Risiko bleibt. Das Risiko ist weniger geworden in den letzten Tagen, aber wir müssen das immer noch aushandeln und es liegt noch vor uns.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.