Sandra Schulz: Dass sie zur Verfügung stehe als CDU-Kanzlerkandidatin, das hat Angela Merkel gestern im Fernsehen klargestellt. Damit ist eine ganze Menge allerdings noch nicht gesagt, nämlich ob es überhaupt Neuwahlen geben wird. Und diese offene Formulierung, die Merkel da wählt, die im Moment geschäftsführende Kanzlerin ist, die ja dafür bekannt ist, ihre Worte genau zu wägen, die lässt natürlich völlig offen, wie Merkels Partei, nämlich die CDU, zu diesem Angebot steht. Die Aufräumarbeiten nach dem Scheitern der Jamaika-Sondierungen gehen mühsam voran.
Diese alles in allem sehr unübersichtliche Situation, die versuchen wir in den kommenden Minuten weiter zu sortieren. Am Telefon ist Julia Klöckner, Parteivize der CDU im Bund und Landesvorsitzende in Rheinland-Pfalz. Schönen guten Morgen.
Julia Klöckner: Guten Morgen, Frau Schulz.
Gute Grundlage war nach vier Wochen erreicht
Schulz: Wie tief geht denn jetzt die Zerrüttung zwischen CDU und dem früher ja fast natürlichen Partner FDP?
Klöckner: Zerrüttung ist etwas, was, glaube ich, in der Demokratie nicht das Leitmotiv sein soll. Wir sind enttäuscht, denn wir waren auf der Zielgeraden. Wir hatten eine gute, gute Grundlage nach vier Wochen wirklich erreicht. Jeder hat sich aufeinander zubewegt in der Klimapolitik, in der Finanzpolitik, aber auch in der Migrationspolitik. Und wenn dann ein Partner 30 Minuten vor Durchbruch erklärt, er steigt aus, dann ist das mehr als schade, weil die Folgen nicht nur persönliche sind, sondern vor allen Dingen für unser Land jetzt diese Situation herbeibringt, die Unsicherheit bringt, Instabilität, und ganz Europa schaut ja auch auf Deutschland.
Schulz: Aber es hat ja nicht nur nicht geklappt, dieses Bündnis zu schmieden, sondern es hat auch diese ganz harschen Vorwürfe aus der FDP gegeben. Volker Wissing, der FDP-Mann, der hat getwittert, die Kanzlerin sei gescheitert. Der FDP-Vize Kubicki, der hat der Süddeutschen Zeitung gesagt, die Kanzlerin habe gar nicht gewusst, wo sie denn hin wolle. Was ist an dieser Schilderung falsch, dass Angela Merkel es nicht geschafft hat, diese ja zugegebenermaßen wirklich schwierigen Verhandlungen erfolgreich zu moderieren?
Klöckner: Ich bin erstaunt, wie sehr Aussagen der FDP-Kollegen sich ändern können. Noch am Samstag hat der Kollege Wissing in der Rheinpfalz bei uns in Rheinland-Pfalz ein Zeitungsinterview gegeben und wörtlich gesagt, dass Angela Merkel sehr sachlich und konstruktiv verhandelt. Und Herr Lindner hat davon gesprochen, dass Frau Merkel sehr gute Vorschläge macht. Also man hat den Eindruck, dass jetzt eine Geschichtserzählung vielleicht – ich kann das auch nachvollziehen aus Sicht der FDP, weil sie jetzt auch eine Erklärung braucht. Man hat so ein bisschen den Eindruck gehabt, vielleicht liegt das auch an ihren Erfahrungen damals, dass sie aus dem Bundestag rausgefallen ist, dass sie Sorge hat vor einem neuen Experiment vielleicht. Jamaika hat es noch nie gegeben. Aber es hat auch noch nie Neuwahlen bei uns in Deutschland gegeben. Und die FDP war es ja, die von "German Mut" gesprochen hat. Hier hätte man es zeigen können.
Obersätze der Kanzlerin wären nicht angebracht gewesen
Schulz: Wenn wir jetzt mal von den Interpretationen der FDP wegkommen – es ist ja so, dass die CDU, dass speziell die geschäftsführende Bundeskanzlerin Angela Merkel während dieser Sondierungen quasi überhaupt nicht wahrgenommen wurde. Es wurde dann immer gesagt, na ja, sie hat jetzt diese Rolle als Moderatorin. Aber hätte nicht gerade die stärkste Kraft in diesen Sondierungen, die CDU, hätte die nicht gerade die Obersätze liefern müssen für ein sogenanntes Jamaika-Projekt, von dem ja bis heute keiner weiß, was das eigentlich sein soll?
Klöckner: Angela Merkel hat sich sehr besonnen und meiner Meinung nach sehr gut und richtig verhalten. Das haben ihr übrigens alle auch hinter verschlossenen Türen bescheinigt. Wenn Angela Merkel vor die Presse getreten wäre während der Verhandlungen als Verhandlungsführerin und hätte die Obersätze der CDU durchgegeben, und alle anderen hätten sich darunter versammeln müssen, ich glaube, dann wäre nicht nur die FDP, sondern die Grünen schon drei Wochen vorher ausgestiegen.
Ein solches Bündnis heißt nicht, dass die stärkste Partei nur die Obersätze liefert. Wir haben klare Ideen geliefert. Wir haben uns auch an vielen Punkten sehr stark durchgesetzt. Aber die Stärke von Angela Merkel und einer Person, die das Ganze zusammenbindet, ist ja gerade nicht, sich selbst in den Vordergrund zu spielen, rote Linien zu setzen, hinter denen man dann nicht mehr zurück kann, sondern die Menschen zusammenzubringen, und das hat sie wirklich in einer Weise getan, die sehr, sehr sachlich, sehr, sehr wohlwollend, informierend war. Und sie hat keine Gräben gerissen. Im Gegenteil! Insofern, glaube ich, sollte man von Personen auch nicht alles verlangen, was man nachher auch wieder kritisieren würde. Es war gut, dass sie eben nicht nach draußen gegangen ist und rote Linien gesetzt hat.
Klare Haltung zu den drei Optionen
Schulz: Okay. Wir halten aber trotzdem fest: Die Moderation von Angela Merkel, wenn es eine war, die war nun nicht erfolgreich. – Wir sind jetzt in dieser vollkommen überraschenden Lage, dass die Jamaika-Sondierungen gescheitert sind, und in dieser Situation schließt Angela Merkel, schließt die Union eine Minderheitsregierung sofort aus, die ja eine der Optionen wäre. Warum diese Eile?
Klöckner: Na ja. Die Frage ist gestellt worden. Wenn sie keine Antwort darauf gegeben hätte, würde man ihr vorwerfen, sie hätte keine Haltung. Das hat mit Eile nichts zu tun. Wir haben jetzt vier Wochen miteinander zusammengesessen. Der Vorwurf war eher, warum es so lange dauert, und nicht, dass wir jetzt Eile hätten. Und eine klare Haltung zu den drei Optionen zu haben, finde ich richtig.
Schulz: Frau Klöckner, da kritisiere ich jetzt nicht, dass die Kanzlerin eine gestellte Frage beantwortet hat, sondern es geht mir inhaltlich um die Frage, warum ist denn jetzt schon klar, dass eine Minderheitsregierung die schlechteste die schlechtere Variante wäre als Neuwahlen.
Klöckner: Ich bin auch der Meinung, dass das die schlechteste und die schlechtere Variante wäre. Denn es gibt die beste Variante, dass sich diejenigen, die dazu beitragen können, dass der Wähler nicht wieder an die Urne gehen muss, und die dazu beitragen können, dass es eine stabile Regierung gibt, dass sie sich selbst befragen. Denn die SPD hat sich sofort, zwei Minuten nach 18 Uhr am Wahlabend vom Acker gemacht der Verantwortung, und so einfach kann es meiner Meinung nach nicht gehen.
Deshalb hat der Bundespräsident auch mahnende Worte gesprochen. Eine Große Koalition wäre möglich, Jamaika wäre rechnerisch möglich. Aber eine Minderheitenregierung, Frau Schulz, führt ja zu einer Unsicherheit auch in Europa, führt zu einer Unsicherheit mit wechselnden Mehrheiten, die man sich immer wieder suchen muss. Und Deutschland hat so eine entscheidende und maßgebliche Rolle auch innerhalb Europas. Da können wir nicht unsicher jeden Tag daherkommen.
Zur SPD passt staatspolitische Verantwortung
Schulz: Aber dann sagen Sie noch mal, welche Sicherheit dann im direkten Vergleich dazu das Szenario Neuwahlen bringt, das ja sehr wahrscheinlich nach aktuellen Umfragen einen ganz ähnlichen Ausgang hätte.
Klöckner: Richtig. Da haben Sie absolut recht. Deshalb sieht unser Grundgesetz, unsere Verfassung Neuwahlen auch nicht als Mittel der besten Wahl vor. Es gibt ganz große Hürden, bis man dort hinkommt. Denn es ist eigentlich ein Ausrufezeichen der Mahnung, dass sich nicht die SPD und andere hinter die Büsche schlagen können. Deshalb ist ja auch nicht unsere Forderung, wir wollen Neuwahlen, sondern wenn es gar keine Alternative mehr gibt, bleiben Neuwahlen. Aber wir sind jetzt in einer Phase, wo man das Wort des Bundespräsidenten auch noch mal wägen muss für sich, und das gilt auch für die SPD, die ehemals stolze große Volkspartei. Ich glaube schon, dass staatspolitische Verantwortung zu ihr passt.
Schulz: Das bespreche ich ja auch gleich in einer knappen Stunde mit Thorsten Schäfer-Gümbel. Jetzt müssen wir natürlich noch auf einen für die CDU ganz wichtigen Punkt kommen. Angela Merkel hat gestern auch schon gesagt, sie stünde auch als Kanzlerkandidatin wieder zur Verfügung. Das ist natürlich ein Angebot an die Partei. Wird die Partei das denn auch annehmen?
Klöckner: Wir sind froh und erleichtert, dass sie zur Verfügung steht, denn sie hat ja die Hauptlasten der Sondierung getragen. Sie war diejenige, die wirklich von morgens bis abends ganz konzentriert da war, die viel Engagement eingesetzt hat und einen klaren Kompass auch hat. Wir sind wirklich dankbar, dass es bei uns keine Kanzlerinnendebatte gibt, sondern sie ist unsere Vorsitzende und Kanzlerkandidatin.
Es bringt nichts, einen Sündenbock zu suchen
Schulz: Keine Diskussion über die Frau, die jetzt bei der Wahl das historisch schlechteste Ergebnis für ihre Partei eingefahren hat und jetzt auch diese ja wichtigen Jamaika-Sondierungen nicht erfolgreich führen und moderieren konnte.
Klöckner: Na ja. Ich meine, wir sind alle Menschen. Und dass Dinge auch mal gut oder schlechter laufen, ist das eine. Aber es ist nicht immer nur eine einzige Person, sondern es waren ja mehrere Beteiligte auch am Tisch. Ich halte wenig davon, einen Sündenbock zu suchen, der just jetzt in der Kanzlerin liegen würde.
Schulz: Weil es auch keiner besser könnte?
Klöckner: Da muss sich jeder selbst auch dann fragen, welchen Weg er da geht. – Und noch mal: Wir können ganz klar als CDU/CSU sagen – auch an dem Abend haben wir das noch mal verdeutlicht -, dass wir hinter Angela Merkel stehen, dass in einer so unruhigen Zeit ein Stabilitätsanker da sein muss, und das ist Angela Merkel.
Schulz: Die stellvertretende CDU-Chefin Julia Klöckner heute Morgen hier bei uns im Deutschlandfunk. Danke Ihnen für das Interview.
Klöckner: Ich danke Ihnen.
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