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Regierungsbildung
Özoğuz: Keine politischen Scharmützel um Familiennachzug

Beim Thema Familiennachzug könnte es bei Gesprächen über eine mögliche Regierungsbildung mit der Union und der SPD durchaus schwierig werden, sagte die stellvertretende SPD-Vorsitzende Aydan Özoğuz im Dlf. Sie betonte: Es dürfe keine politischen Scharmützel geben, wenn es um Menschen gehe, die vor Krieg und Verfolgung fliehen müssten.

Aydan Özoğuz im Gespräch mit Christiane Kaess    | 06.12.2017
    Die Integrationsbeauftragte der Bundesregierung, Aydan Özoguz (SPD)
    Die Integrationsbeauftragte der Bundesregierung, Aydan Özoguz (SPD) (Imago)
    Christiane Kaess: Wir haben es gehört: Der Familiennachzug beschäftigt weiter die Politik und wird anscheinend wieder ein brisantes Thema bei möglichen Gesprächen zwischen SPD und Union über eine Regierungsbildung. Noch ist es aber nicht soweit, dass SPD und Union schon über eine Regierungsbildung reden. Erst muss ein SPD-Parteitag ab morgen grünes Licht für erste Gespräche geben und dazu muss die Parteiführung die Delegierten von ihrer 180-Grad-Wendung überzeugen, von einem strikten Nein zu einer Großen Koalition hin zu einem "alles ist möglich". Und dann sollen zum Schluss auch noch die Mitglieder entscheiden.
    Vor wenigen Minuten habe ich mit Aydan Özoğuz gesprochen. Sie ist stellvertretende SPD-Vorsitzende und Integrationsbeauftragte der Bundesregierung. Ich wollte zuerst von ihr wissen, was sie Herrn Seehofer beim Thema Familiennachzug entgegenhalten will, wenn es zu Gesprächen mit der Union kommt.
    Aydan Özoğuz: Ja, Sie sagen es schon: Gespräche haben ja nun noch nicht mal angefangen. Und wir wissen ja noch nicht einmal, ob wir überhaupt miteinander sprechen. Aber ich sage mal, als Integrationsbeauftragte möchte ich hier in jedem Fall einmal deutlich machen, dass es nicht darum geht, etwas wieder einzuführen, sondern eine Ausnahmesituation, die wir ja nun vor zwei Jahren beschlossen haben, wieder in die Normalität zurückzubringen, nämlich dass natürlich bei Flüchtlingen, bei denen wir ja sagen, ja, sie haben ein Recht, hier zu sein, ob jetzt als subsidiär geschützte oder auf anderen Wegen, sei jetzt mal dahingestellt, aber dass diejenigen selbstverständlich dann auch ihre Familien nachholen können, wobei damit immer die Kernfamilie gemeint ist.
    Das ist mir noch mal wichtig. Manche denken ja, dann darf sozusagen gleich jeder kommen, der irgendwie zu der Familie gehört. Das ist natürlich nicht der Fall. Aber die Kernfamilie, also Ehepartner und Kinder, und das ist selbstverständlich für uns auch geltendes Recht und das werden wir nicht weiter aussetzen wollen.
    "Keine politischen Scharmützel, wenn Menschen vor Krieg und Verfolgung fliehen"
    Kaess: Aber, Frau Özoğuz, Sie wissen genauso wie alle anderen Beteiligten an möglichen Gesprächen, dass diese Forderung der CSU ein Kernanliegen für die CSU ist. Das ist ja auch klar geworden in den Jamaika-Gesprächen, dass die CSU davon nicht abrücken wird. Auf der anderen Seite die Position der SPD. Ist das für die Partei eine rote Linie?
    Özoğuz: Ich spreche nicht von roten Linien, bevor man überhaupt mit Gesprächen begonnen hat. Das ist ja eine Eigenartigkeit der letzten Tage. Aber ich möchte schon noch mal ganz, ganz deutlich machen: Man kann nicht wirklich immer wieder politische Scharmützel daraus ziehen wollen oder führen, wenn es um Menschen geht, die wirklich vor Krieg und Verfolgung fliehen - und das stellen wir ja zunächst einmal fest bei denjenigen, die hier herkommen -, und dann zu sagen, damit wir jetzt noch mal ganz stark auftreten können, werden wir das begrenzen. Es war eine Ausnahmesituation, weil so unglaublich viele Menschen gekommen sind. Darauf spielt Herr Seehofer ja auch an. Das ist wahr. Unsere gesamten Auslandsvertretungen waren völlig überlastet in den Jahren 2015/2016. Da haben wir gesagt, es werden eh nicht mehr Anträge überhaupt bearbeitet werden können. Aber diese Situation haben wir heute nicht mehr.
    Kaess: Ich möchte noch mal gerne zurück zu diesen roten Linien, von denen Sie sagen, die gibt es gar nicht. Die SPD nennt es essentielle Punkte.
    Özoğuz: Das habe ich nicht gesagt! Ich möchte nicht, dass man ständig immer weiter rote Linien auffährt, bevor man überhaupt sagt, dass man miteinander reden wird.
    Kaess: Ja, gut. Im Moment heißt es essentielle Punkte. Aber da würde die Öffentlichkeit doch ganz gerne wissen, wie ernst meint es die SPD damit. Wie verrückbar sind diese essentiellen Punkte beziehungsweise sind es nicht?
    Özoğuz: Das ist schon ganz geschickt gefragt von Ihnen und ich sage Ihnen, ich bin ja auch Integrationsbeauftragte, und als solche kann ich mir überhaupt nicht vorstellen, dass man weiterhin sagt, Familien bleiben auseinandergerissen. Und ich weiß, dass natürlich auch eine absolute Mehrheit meiner Partei diese Position teilt, und das werden wir auch immer sehr klar sagen.
    "Minderjährige haben beispielsweise keine Chance, noch jemanden zu holen"
    Kaess: Das heißt, das ist auch ein Punkt, an dem die Gespräche scheitern …
    Özoğuz: Ob wir überhaupt zu Gesprächen kommen, wissen wir noch nicht.
    Kaess: Aber an diesem Punkt könnten die Gespräche scheitern, sollte es zu Gesprächen kommen?
    Özoğuz: Das weiß ich nicht. Ich weiß nicht, ob wir Gespräche führen werden, und ich weiß nicht, ob Herr Seehofer noch ganz andere Punkte finden würde, wenn es zu solchen Gesprächen käme. Da sind so viele Konjunktive drin, dass ich sagen würde, bleiben wir mal einfach bei dem Thema. Das Thema Familiennachzug gibt es wirklich nicht her, daraus nun Koalitionsscharmützel zu betreiben.
    "Repräsentative Studie spricht von ungefähr 60.000 berechtigten Personen"
    Kaess: Einmal möchte ich noch nachfragen, und zwar mit Hilfe von Markus Söder. Der hat noch mal darauf hingewiesen, dass sogar die Grünen in den Jamaika-Gesprächen die CSU-Position akzeptiert hätten. Zumindest ist das offenbar seine Interpretation. Ist das vorstellbar für die SPD, ein Kompromiss, der sich ein bisschen angedeutet hat bei den Jamaika-Gesprächen, Kontingente und Einzelfallentscheidungen in Härtefällen, wenn es um das Thema Familiennachzug geht?
    Özoğuz: Na ja. Es ist ja ohnehin so, dass jeder einzelne Fall ganz genau geprüft wird, ob es überhaupt geht. Faktisch ist es so, dass beispielsweise Minderjährige, die 16, 17 sind, fast gar keine Chance haben, noch jemanden zu holen. Faktisch ist es so, dass wir teilweise ja auch Familien hier haben, die niemanden holen werden. Ich glaube, der wichtige Punkt ist, dass wir zunächst einmal sehr deutlich machen, dass nicht jeder aus seinem Bauchgefühl heraus jetzt irgendwelche Zahlen nennen kann, wie viele sind es denn überhaupt. Wir haben nur eine repräsentative Studie, die spricht von ungefähr 60.000 berechtigten Personen, die überhaupt einen Antrag stellen können. Und wenn solche Zahlen im Raum stehen, braucht man nicht noch weiter über Kontingente sprechen.
    Kaess: Und von diesen Zahlen gehen Sie aus? Das ist für Sie die Argumentationsgrundlage? Denn es gibt ja verschiedene. Es gibt die, die Sie gerade genannt haben. In der Union kursierte mal die Zahl von 300.000. Die AfD nennt zwei Millionen. Für Sie sind es diese, ich sage jetzt mal, paar zehntausend Menschen?
    Özoğuz: Ich nehme mal die für mich seriösen Zahlen. Das ist einmal diese repräsentative Studie vom IAB, Institut für Arbeitsmarktforschung. Die haben die 60.000 gesagt. Dann sagt das Bundesinnenministerium, sie gehen ungefähr von 100.000 aus. Gehen wir mal irgendwo in die Zahlen dazwischen. Das ist für mich schon eine Grundlage. Aber das können wir ja auch noch weiter verifizieren. Wir werden da auf jeden Fall keine Eile haben, irgendwelche faulen Kompromisse zu schließen.
    Kaess: Aber wenn ich Sie richtig verstanden habe, dann gäbe es schon eine Kompromisslinie, wo die SPD von ihrer eindeutigen Position abrücken könnte, wie Sie das jetzt angedeutet haben mit einer Härtefallregelung?
    Özoğuz: Nein, das habe ich nicht angedeutet. Ich gehe jetzt gerade von denjenigen aus, die nachzugsberechtigt sind, und ich sage, es sieht ganz danach aus, als ob alle möglichen Zahlen - Ich meine, die AfD-Zahlen braucht man ja nun wirklich nicht zur Grundlage nehmen. Aber die Zahlen, die einfach mal immer wieder irgendwo genannt werden, haben keine Grundlage.
    Das Bundesinnenministerium nennt eine, das IAB nennt eine, und wenn die Zahlen gar nicht so hoch sind, dann ist ja das, was immer gesagt wird als Argument, wenn Herr Seehofer sagt, es wird wieder eine Situation wie 2016, die ist damit ja wunderbar geregelt. Er kann aufatmen, wir können alle aufatmen und wir können dafür sorgen, dass Familien wieder zusammenkommen und dass auch die Kinder und Ehepartner in Sicherheit sind und nicht mehr in einem Kriegsland leben müssen.
    "Keinen Automatismus für eine Große Koalition"
    Kaess: Frau Özoğuz, es wird ja schwer genug werden für die SPD-Spitze, diese 180-Grad-Wende in Bezug auf die Regierungsbildung auf dem Parteitag morgen und dann später eventuell auch noch den Mitgliedern zu verkaufen. Wie wollen Sie denn generell diese essentiellen Punkte, wie es die SPD im Moment nennt, durchsetzen? Sie glauben doch nicht ernsthaft, dass Sie zum Beispiel mit der Union eine Bürgerversicherung auf den Weg bringen können.
    Özoğuz: Wir werden erst einmal sehr genau ausloten, wo steht die SPD. Es kommt ja im Moment sehr stark auf die Sozialdemokratie an, denn es haben nicht wir verursacht, dass die Jamaika-Koalition geplatzt ist. Da waren die anderen schuld dran, das haben die nicht geschafft. Ob das jetzt CSU, CDU oder die FDP hauptsächlich waren, lasse ich jetzt mal dahingestellt. Aber letztendlich müssen sich alle bewegen, wenn sich etwas verändern soll im Land, und deswegen sagen wir - und ich finde, das tun wir auch zurecht -, wir haben hier keinen Automatismus für eine Große Koalition. Wir haben auch keinen Automatismus, irgendeine Regierung bilden zu müssen. Da müssen sich jetzt alle bewegen und wir müssen das ausloten miteinander auf dem Parteitag.
    Kaess: Dass es keinen Automatismus gibt, haben wir jetzt schon öfter gehört. Aber heißt das denn auch, diese essentiellen Punkte, wie die SPD sie nennt, sind eigentlich eine Wunschliste, mehr nicht?
    Özoğuz: Nein, natürlich nicht. Ich meine, alle gehen mit Forderungen ja nun in diesen Tagen hausieren. Das ist auch nicht ganz unnormal, muss man sagen. Aber auch wir zeigen schon deutlich, ja, da sind Punkte, die für uns sehr, sehr wichtig sind. Die sind ja auch nicht ganz neu und auch nicht unbekannt. An manchen Punkten wird es dann immer härter sein, an manchen Punkten weicher, aber das alles sagen wir jetzt vor dem Fakt, wir wissen noch nicht einmal, wer mit wem Gespräche führen wird.
    Da muss die SPD auf dem Parteitag jetzt sehr klarmachen, was ist ihr der wichtigste Punkt bei der ganzen Situation heute, wie kann sie sich am besten dort auch positionieren, um natürlich auch für Deutschland das beste jetzt zu machen. Denn wir wissen alle, Neuwahlen sind sicherlich nicht der Wunsch der allermeisten in unserem Land, aber es kann auch nicht sein, dass man sagt, na ja, dann wirft man seine Ideen über den Haufen. Das werden wir sicher nicht tun.
    Kaess: … sagt Aydan Özoğuz, stellvertretende SPD-Vorsitzende und Integrationsbeauftragte der Bundesregierung. Danke für das Gespräch heute Morgen.
    Özoğuz: Ich danke Ihnen auch.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.