Zur Kritik der CSU am Kooperationsmodell sagte Stegner: Wer glaube, dass auf die SPD Druck ausgeübt werden könne, der irre sich. "Wir haben eine Verantwortung gegenüber den Wählern und sollten Drohkulissen lassen." Es sollte möglich sein, vernünftig über das Modell Kooperationskoalition - kurz KoKo - zu sprechen. Seine Partei gehe jedoch nicht mit einem festen Modell in die Gespräche mit der Union.
"Wir müssen zeigen, dass wir verstanden haben, was die Wähler gestört hat an der Großen Koalition", sagte Stegner. Er sehe bisher nicht, dass die Union das verstanden habe.
Seehofer zu KoKo: Vorschlag aus der "Krabbelgruppe"
Das Modell einer sogenannten Kooperationskoalition war von der SPD-Linken ins Spiel gebracht worden. Dabei sollen nicht mehr alle, sondern nur noch einige Themen fest vereinbart werden. Andere Vorhaben würden dann ohne Koalitionszwang im Bundestag beraten. In der Union stößt das aber auf Skepsis. Ablehnend äußerten sich unter anderem die stellvertretende CDU-Vorsitzende Klöckner und CSU-Chef Seehofer. Seehofer sagte, er halte "gar nichts" von der Idee. Er sprach von einem Vorschlag aus der, so Seehofer wörtlich, "Krabbelgruppe".
Das Interview in voller Länge:
Silvia Engels: In Berlin kommen am Abend Menschen zusammen, die sich nach der Bundestagswahl eigentlich vorgenommen hatten, sich nicht mehr so häufig zu treffen. Die Rede ist von den Partei- und Fraktionschefs von Union und SPD. Doch dann erlebte die Union das Scheitern der Sondierungen zu einer Jamaika-Koalition und dann reifte die Einsicht in der SPD, sich einer Regierungsarbeit vielleicht doch nicht komplett verweigern zu können. Und deshalb sitzen sie nun, zweieinhalb Monate nach der Bundestagswahl, dann doch wieder an einem Tisch. Und die SPD bringt auch noch neue Regierungsmodelle mit.
Michael Kretschmer, der designierte Ministerpräsident von Sachsen von der CDU, hat gestern hier im Deutschlandfunk ebenfalls von der SPD statt Kooperations-Koalition ein klares Entgegenkommen in Richtung Großer Koalition verlangt. Er sagte:
O-Ton Michael Kretschmer: "Diese Art, Politik zu machen, von Martin Schulz mag im Europäischen Parlament gut angekommen sein. Ich glaube, auch dort war sie nicht nur segensreich. Aber in Deutschland ist sie wirklich gefährlich. Er sollte endlich damit aufhören und die Vernünftigen in der SPD sollten sich durchsetzen. Dieses Land braucht eine Koalition. Das ist doch das, weswegen wir gewählt werden, weswegen es Wahlen gibt. Das ist doch das, auch wenn man sich mal anschaut, wie die Weimarer Republik am Ende zugrunde gegangen ist: aus Egoismen und aus Eitelkeiten und aus nur noch parteipolitischen Interessen, die im Mittelpunkt gestanden haben."
Engels: Michael Kretschmer (CDU). Mitgehört am Telefon hat Ralf Stegner, stellvertretender SPD-Parteivorsitzender. Guten Morgen, Herr Stegner.
Ralf Stegner: Schönen guten Morgen, Frau Engels.
"In der Situation, in der wir jetzt sind, sind wir nicht durch die SPD"
Engels: Freuen Sie sich angesichts dieser Töne schon wieder darauf, mehr mit der CDU zu tun zu haben?
Stegner: Nein, das ist ja auch albern. Ich sage mal: Jemand, der wie die Sachsen-CDU hinter der AfD landet, der sollte jetzt nicht anderen Ratschläge geben. Und die brauchen wir auch wirklich nicht, denn in der Situation, in der wir jetzt sind, sind wir ja nicht durch die SPD. Am Wahlergebnis hat sich ja leider nichts geändert. Das war schlecht. Sondern wir sind in der Situation deswegen, weil die Union, FDP und Grüne ihre schwarze Ampel-Verhandlungen krachend gegen die Wand gefahren haben. Das heißt, die Überschrift lautet doch, ohne die SPD läuft in Deutschland nichts, und da brauchen wir keine öffentlichen Ratschläge, wie das geht, sondern da müssen wir ergebnisoffen - das hat unser Parteitag beschlossen - darüber reden, ob und wie wir zu einer stabilen Regierung in Deutschland kommen. Dazu hat uns auch der Bundespräsident aufgefordert. Und nichts anderes tun wir. Und das Argument, kennen wir nicht, machen wir nicht, das, finde ich, ist vielleicht nicht angemessen als Reaktion auf die Wähler, die immerhin gesagt haben, minus 14 Prozent für die Partner der Großen Koalition. Das ist nun wirklich kein Auftrag für ein "weiter so!" und das wird es mit der SPD auch nicht geben, ein "weiter so!".
Engels: Bevor wir aufs Inhaltliche gehen, schauen wir aufs Atmosphärische. Es ist ja erstaunlich: Herrn Kretschmer haben wir gerade gehört. Herr Seehofer spricht von Vorschlägen aus der Krabbelgruppe. Und ähnliche Aufforderungen sind drastisch auch aus der CDU/CSU zu hören. Was bedeutet es eigentlich für das Gespräch heute Abend, wenn die Atmosphäre im Vorfeld schon wieder mit solchen Begriffen aufgeladen wird?
Stegner: Ich muss Ihnen ehrlich sagen, wir nehmen das gar nicht ernst. Wir machen ja Politik nicht für uns selbst, sondern für die Bürgerinnen und Bürger. Und es soll doch eher ablenken davon, dass die Union in eine Lage geraten ist, wo sie doch gar nichts anderes mehr kann. Sie hat das wirklich nicht geschafft. Diese große Zukunftskoalition, von der die Rede war, die ist gescheitert, und jetzt kommt man zur SPD. Und ich kann nur sagen: Wer ernsthaft glaubt, dass Druck ausgeübt werden kann auf die Sozialdemokraten, aus der Öffentlichkeit, aus der Wirtschaft oder aus anderen Parteien, der täuscht sich. Wir gehen da selbstbewusst rein. Wir haben eine Verantwortung auch gegenüber den 9,5 Millionen Wählern, die uns gewählt haben - leider zu wenig, aber immerhin die waren das. Und wir gehen in die Gespräche selbstbewusst. Wir müssen gar nichts, aber wir wollen einen Beitrag dazu leisten, wie immer übrigens in der Geschichte der SPD, dass am Ende was Vernünftiges rauskommt. Und da kann man diese Drohkulissen lassen. Alle kennen die Parteiprogramme. Wir müssen reden darüber, was wir inhaltlich wollen und ob wir zusammenkommen. Und wenn wir dann sagen, lasst uns mal gucken, ob man in so einer Lage das Parlament nicht stärken könnte, dann finde ich dieses mit den Etiketten, die da verteilt werden, nicht besonders sinnvoll. Im Übrigen zeigt das ja mehr die Schwäche derjenigen, die so was sagen, als dass das eine starke Verhandlungsposition wäre.
"Auf dem Wahlzettel stehen nicht Koalitionen, sondern Parteien"
Engels: Höre ich da heraus, dass Sie sich dieses Modell Kooperations-Koalition vorstellen könnten, also nur bestimmte Kernprojekte in einem Koalitionsvertrag festzuschreiben und den Rest dann mit wechselnden Mehrheiten zu organisieren?
Stegner: Jedenfalls muss man darüber doch mal vernünftig reden, ob das ein Modell sein kann. Was ist das für eine Haltung in einer Demokratie zu sagen, uns interessiert gar nicht, was die Wählerinnen und Wähler gesagt haben. Die haben gesagt, sie wollen kein "weiter so!". Die haben leider die Rechten gestärkt im Parlament. Das kann man doch nicht ignorieren. Und da reden wir momentan darüber, was gibt es da an Möglichkeiten, um es anders zu machen als das, was die Wählerinnen und Wähler offenkundig nicht wollten.
Herr Kretschmer hat übrigens noch in einem Unrecht. Auf dem Wahlzettel stehen eben nicht Koalitionen, sondern Parteien. Die Bürgerinnen und Bürger wählen Parteien und Inhalte und wir müssen sehen, wie demokratische Parteien zusammenkommen können. Und ob es am Ende eine Kooperation ist oder ob es eine Koalition werden kann oder muss, das werden wir sehen am Ende der Gespräche, aber am Ende der Gespräche. Bei uns entscheiden das übrigens die Mitglieder. Das kommt noch hinzu. Nicht die Parteiführung, sondern die Mitglieder entscheiden das, und das ist auch gut so. Das zeigt, dass wir eine moderne demokratische Partei sind und unsere Mitglieder mitnehmen. Das ist auch notwendig, wenn man in so schwierigen Zeiten zu einer Regierungsbildung kommen will.
Engels: Aber dann schauen wir doch mal konkret auf dieses Modell Kooperations-Koalition. Was hätte denn die SPD davon, fest zuzusagen, gewisse Themen der Union zu unterstützen, denn vom Wähler wird es ja wahrscheinlich wieder am Ende nur der Union gutgeschrieben werden?
Stegner: Das weiß ich eben nicht. Die Wählerinnen und Wähler haben das letzte Mal gesagt, ihr habt zwar gute Arbeit gemacht - das haben wir übrigens auch in der Koalition -, aber ihr habt euch nicht genug unterschieden. Und was war das für ein Gewürge, bis am Ende zum Beispiel die Ehe für alle durchgesetzt worden ist? Da hat Frau Merkel taktiert und das hat man dann irgendwie hinbekommen. Aber man hatte im Koalitionsvertrag wirklich bis ins kleinste Detail alles Mögliche festgelegt. Das war offenbar nicht das Richtige und deswegen müssen wir darüber reden.
Engels: In der letzten Legislaturperiode hätten Sie auch für die Ehe für alle eine Mehrheit gehabt, die Sie dann ja am Ende auch genutzt haben. In der jetzigen haben Sie das nicht. Das heißt, bei wechselnden Mehrheiten kann die SPD nicht auf Rot-Rot-Grün setzen.
Stegner: Deswegen ist es ja auch nicht so einfach und deswegen gehen wir auch nicht mit einem festen Modell in die Gespräche, sondern sagen, wir machen das ergebnisoffen. Wir reden über die Inhalte, Maßstab unser Wahlprogramm, und wir reden über Formen der Kooperation oder Koalition, und ich kann dem ja gar nicht vorgreifen. Ich weiß gar nicht, was am Ende dabei herauskommt. Wir sollten uns dafür auch die Zeit nehmen. Wir haben ja übrigens auch eine stabile geschäftsführende Regierung. Wenn ich mal von diesem Glyphosat-Unfug absehe, den die CSU da veranstaltet hat, dann funktioniert die ja im Prinzip auch. Das heißt, man kann und muss sich jetzt die Zeit nehmen, miteinander auszuloten, was da geht, und da helfen im Übrigen öffentliche Beschimpfungen, glaube ich, wenig. Und das Wort ergebnisoffen meinen wir wirklich ernst. Ich habe das ja als Karikatur gelesen in den letzten Tagen und ich glaube, dass das gar nicht so schlecht ist, mal darüber nachzudenken, ob man noch was anderes machen kann, damit vielleicht auch die Wählerinnen und Wähler zufriedener sind, als sie es offenkundig waren nach der letzten Wahl.
"Macron geht voran mit Frankreich. Deutschland sitzt da und guckt zu"
Engels: Über dieses Modell wollen Sie reden. Aber was halten Sie von dem Modell, dann lieber sauber eine Minderheitsregierung nur zu tolerieren, um die SPD dann wirklich sauber herauszuhalten?
Stegner: Das ist eine andere Variante, über die man reden kann. Da muss man gucken, ob man am Ende wirklich was davon hat. Das heißt, ob dabei was rauskommt, was dem Land auch wirklich nützt und was uns weiterbringt. Wir reden ja nicht über Kleinigkeiten, Frau Engels. Wir reden darüber, dass wir eine ganz andere Europapolitik brauchen. Macron geht voran mit Frankreich. Deutschland sitzt da und guckt zu. Wie kommen wir raus aus der Austeritätspolitik, dass wir eine gemeinsame wachstumsorientierte Politik für Europa kriegen? Das ist eine wesentliche Frage. Oder wie schaffen wir es, dass man nach einem langen Arbeitsleben eine ordentliche Rente sicher hat, oder dass wir in der digitalen Gesellschaft gute stabile Arbeitsverhältnisse haben, die nicht prekär sind, oder wie kommen wir zu Milliarden-Investitionen in der Bildung, oder wie geht es mit Gesundheit und Pflege weiter. Das sind alles wichtige Themen und da muss man schon ernsthaft reden.
Engels: Aber wie passt es da zusammen, dass Sie sagen, in der Europapolitik passiert im Moment zu wenig, auf Macron wird nicht reagiert? Auf der anderen Seite sagen Sie, die SPD nimmt sich Zeit. Ist nicht gerade mit Blick auf Europa und andere, auch internationale Themen hier wirklich Zeitdruck angesagt, dass man sich nicht bis weit ins nächste Frühjahr von der SPD her Zeit nehmen kann?
Stegner: Mit Zeit nehmen meinte ich nur, man kann jetzt nicht in der Hektik der Tagesaktualität mit Politik unterm Weihnachtsbaum, was die Wählerinnen und Wähler übrigens auch nicht gut finden, das eben mal schnell regeln. Wir haben ja eine stabile Regierung. Aber wir haben ja nicht vor, das bis zum Sommer auszudehnen. Aber ernsthaft die Fragen auszuloten, und ich sage noch mal, auch zu zeigen, dass wir was verstanden haben, was die Wählerinnen und Wähler uns gesagt haben. Einfach weiter so zu machen, dafür gibt es kein Mandat bei niemandem. Das würde nicht nur keine Zustimmung in der SPD finden, sondern das ist nicht die richtige Reaktion. Schauen Sie doch mal das Argument zum Beispiel, dass wir bei einer Großen Koalition den Oppositionsführer Gauland hätten von den Rechtspopulisten. Das ist ja nicht weg. Und dass die Bürgerinnen und Bürger sich abgewandt haben, auch nicht. Wir nehmen das wirklich ernster. Ich habe den Eindruck, CDU und CSU haben noch gar nicht begriffen, was da passiert ist. Dieses wochenlange Winken von Balkons mit ihren komischen Jamaika-Verhandlungen hat offenbar den Blick ein bisschen dafür getrübt, dass die Lage ja schon so ist, dass wir da ernsthaft was ändern müssen, und das will die SPD. Uns geht es um die Inhalte. Wir wollen nicht regieren um jeden Preis. Das unterscheidet uns übrigens auch von anderen. Aber wir wollen auch nicht nicht regieren um jeden Preis, wie Martin Schulz gesagt hat. Also wir gehen da selbstbewusst heran, aber eben auch ergebnisoffen und mit Seriosität in die Gespräche.
Engels: Und wieviel Zeit brauchen Sie, um dann die mehrheitlich ablehnende SPD-Basis zu überzeugen?
Stegner: Na ja. Ich glaube, dass die Basis der SPD auch weiß, dass das Land stabil regiert werden muss. Aber sie will eben nicht regieren um jeden Preis. Sie will, dass wir für unsere Inhalte kämpfen, dass am Ende etwas herauskommt, was man auch insgesamt vertreten kann. Es liegt, glaube ich, weniger an der SPD-Basis als an der Einsichtsfähigkeit der Union. Wie es mit der aussieht, weiß ich nicht so genau. Die CSU ist sich nicht besonders einig, immer noch nicht. Seehofer sagt, er will den Söder gar nicht dabei haben bei Verhandlungen. Und ob Frau Merkel verstanden hat, was das bedeutet, dass ihre Sondierungsgespräche mit der schwarzen Ampel gescheitert sind, weiß ich auch nicht. Wie stark der Partner ist, mit dem man da verhandelt, das werden wir sehen. Die SPD ist jedenfalls bereit dazu, offen, konstruktiv, aber auch klar, dass es kein "weiter so!" geben kann, in die Gespräche zu gehen.
Engels: Ralf Stegner, SPD-Parteivize, heute Früh im Deutschlandfunk. Danke für das Gespräch.
Stegner: Sehr gerne! Tschüss, Frau Engels.
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