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Regierungserklärung von Angela Merkel
"Europa ist ein Hort der Demokratie und Menschenrechte"

Äußerst emotional gab sich Bundeskanzlerin Angela Merkel in ihrer Regierungserklärung vor dem EU-Gipfel. Europa als Ort von Frieden und Wohlstand zu erhalten, sei das wichtigste Ziel, sagte Merkel. Die Zustimmung zu der beantragten Brexit-Verschiebung knüpfte sie an Bedingungen.

Von Barbara Schmidt-Mattern |
Angela Merkel redet im roten Blazer im Deutschen Bundestag
"Europa ist ein Hort der Demokratie und Menschenrechte trotz aller Anfechtungen, die wir auch innerhalb der EU spüren", sagt Angela Merkel vor dem EU-Gipfel (picture alliance/Kay Nietfeld/dpa)
Weggefährten und Beobachter wissen schon lange: Angela Merkel kann durchaus in ihren Reden leidenschaftlich werden. Das war damals in der Flüchtlingspolitik so, beim "Wir schaffen das", und auch heute klang die Kanzlerin im Bundestag durchaus eindringlich. Der Brexit, die europäische Industriepolitik, die Frage, wie sich Europa gegenüber China und den USA aufstellt – Merkel reagiert auf all das für ihre Verhältnisse geradezu emotional: "Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich bitte uns nicht immer reflexartig darauf zu reagieren, wenn es um Industriepolitik und strategische Industriepolitik geht. Das heißt mitnichten, dass der Staat anstelle der Wirtschaftsunternehmen tritt."
Ein Appell für eine starke gemeinsame europäische Industriepolitik – auch sie ist heute angesichts des verschärften globalen Wettbewerbs Thema beim EU-Gipfel in Brüssel. Ganz oben auf der Arbeitsliste der Staats- und Regierungschefs steht dort aber der Brexit. Großbritanniens Bitte, die Europäische Union erst am 30. Juni statt schon nächste Woche zu verlassen, diesen Wunsch will Merkel gerne erfüllen, aber nur unter einer Bedingung: "Diesem Wunsch können wir im Grundsatz entsprechen, wenn wir in der nächsten Woche ein positives Votum zu den Austrittsdokumenten im britischen Parlament bekommen würden."
Brexit: Deutschland ist auf alles vorbereitet
Rechtlich und auch politisch würde das jedoch kompliziert werden, zumal Ende Mai die Europawahlen anstehen. Und sollte das britische Parlament kommende Woche gegen ein Abkommen stimmen, bliebe wohl nur der Hard Brexit und ein weiterer Krisengipfel in Brüssel. Wir sind auf alles vorbereitet, so die Botschaft aus Berlin:
"Erasmus-Studierende sollen ihre Studien ohne Einschränkungen fortführen können. Britische Staatsbürger sollen für Kurzaufenthalte in der EU 27 von der Visumspflicht befreit sein. So sollen etwa britische Staatsbürger, die bei uns eine neue Heimat gefunden haben, auch weiter rechtssicher leben und arbeiten können. Wir haben Fragen zur Krankenversicherung in beiden Ländern gelöst und unsere Personalkapazitäten beim Zoll deutlich aufgestockt, um Engpässe bei der Warenabfertigung zu vermeiden."
Die Koalitionspartnerin SPD erhebt kurz darauf schwere Vorwürfe gegen die britischen Abgeordneten. Partei- und Fraktionschefin Andrea Nahles will endlich Lösungsvorschläge aus dem Unterhaus in London sehen, ansonsten solle man das britische Volk entscheiden lassen: "Wenn es das Parlament nicht schafft, dann allerdings müssen wir das Volk fragen und dann brauchen wir ein zweites Referendum. Das ist dann die logische Konsequenz, die sich daraus ergibt."
Alle Redner außergewöhnlich emotional
AfD-Fraktionschef Alexander Gauland sieht sich hingegen bemüßigt, daran zu erinnern, dass "die Entscheidung zum Brexit auf demokratischem Wege gefallen ist." - "Herr Gauland, der Brexit wird nicht als Sternstunde der Demokratie in Erninnerung bleiben, sondern als der Scherbenhaufen, den Populisten mit falschen Argumenten hinterlassen haben.", erwidert FDP-Chef Christian Lindner.
Die Redner fast aller Fraktionen klingen an diesem Vormittag im Bundestag ungewöhnlich emotional – die näher rückenden Europawahlen Ende Mai werfen ihre Schatten voraus. Europa als Ort von Frieden und Wohlstand zu erhalten, sei das wichtigste Ziel, sagt Angela Merkel, auch als Bollwerk gegen Populisten: "Europa ist ein Hort der Demokratie und Menschenrechte trotz aller Anfechtungen, die wir auch innerhalb der EU spüren."
Der Name des umstrittenen ungarischen Regierungschefs Viktor Orban muss gar nicht erst fallen, die Abgeordneten im Plenarsaal verstehen die Andeutung auch so. Der Zankapfel Rüstungspolitik mit Saudi-Arabien kommt ebenfalls zur Sprache – die Kanzlerin warnt vor deutschen Alleingängen: "Ansonsten gelten wir nämlich als moralisch überheblich – das kommt mir entgegen – oder wir gelten als zu prinzipientreu oder wir gelten als kompromissunfähig."
Grüne und Linkspartei weisen diese Argumentation scharf zurück. Beide Fraktionen fordern zugleich, mehr für ein soziales Europa und für den Klimaschutz zu tun.