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Regierungsgegner wollen erneut in Moskau demonstrieren

In Moskau haben Regierungsgegner für den Abend zu einer Großdemonstration aufgerufen. Der Grund: Am 6. Mai 2012, dem Vorabend von Wladimir Putins Amtseinführung, war eine Protestdemonstration in Moskau in Gewalt umgeschlagen. Viele Aktivisten wurden seither verhaftet.

Von Gesine Dornblüth |
    Die Regierungsgegner werden sich heute erneut auf dem Bolotnaja-Platz in Kreml-Nähe treffen, auf dem es vor einem Jahr zu den Zusammenstößen gekommen war. Die Behörden haben lediglich eine Kundgebung genehmigt, ein Demonstrationszug durch die Stadt wurde hingegen verboten. Führende Politiker der außerparlamentarischen Opposition haben zur Teilnahme aufgerufen. Das Motto lautet schlicht: "Für die Freiheit". Der liberale Politiker Boris Nemzow:

    "Wir müssen alles tun, um die politischen Gefangenen zu befreien. Unsere einzige Chance, das zu erreichen, ist Solidarität mit ihnen. Wir müssen alle zusammenstehen und am 6. Mai gemeinsam auf die Straße gehen. Wir müssen mehr als hunderttausend Menschen werden."

    Der Begriff "Politischer Gefangener" wird oft missbraucht. In diesem Fall scheint er naheliegend. Gezielt werden seit einem Jahr Aktivisten der Protestbewegung verhaftet und vor Gericht gestellt. Im Fall "Bolotnaja" wurden bereits zwei mehrjährige Haftstrafen verhängt.

    Die Staatsanwaltschaft wirft den Gefangenen Widerstand gegen die Staatsgewalt und die Teilnahme an "Massenunruhen" vor. Noch weiter geht die Anklage gegen den Linkspolitiker Sergej Udalzow und zwei seiner Mitstreiter. Sie sollen die sogenannten Massenunruhen organisiert haben, und zwar im Auftrag ausländischer Kräfte. Ziel sei es gewesen, einen gewaltsamen Umsturz in Russland herbeizuführen, so die Anklage weiter.

    Für die populäre Fernsehmoderatorin Tatjana Lazarjewa ist all dies ein Ansporn, erst recht auf die Straße zu gehen.

    "Ich bin überzeugt, dass in nächster Zeit noch mehr politische Aktivisten verhaftet werden. Widerstand kostet Kraft. Wir müssen auf den Bolotnaja-Platz gehen. Wir müssen um das Land kämpfen, in dem wir bisher noch leben. Dann wird Russland aus seinem Schlaf erwachen, und diese Macht wird zusammenbrechen."

    Die Regierungsgegner gehen davon aus, dass die Polizei die Menge vor einem Jahr bewusst provoziert hat, um die bis dahin friedliche Protestbewegung zu diskreditieren.

    Russische Menschenrechtler haben die Vorkommnisse am 6. Mai untersucht und Hunderte Zeugenaussagen und Videos analysiert. Ihr Ergebnis: Von Massenunruhen könne keine Rede sein. Auch Dmitrij Agranowskij, Anwalt einiger der Angeklagten, meint:

    "Massenunruhen gab es bei uns 2002 nach einem verlorenen Fußball-Länderspiel. Da wurden Schaufenster eingeschlagen, Autos umgeworfen. Am 6. Mai 2012 geschah nichts dergleichen. Im internationalen Vergleich waren die Ausschreitungen auf dem Bolotnaja-Platz nichtig. Die Reaktion des Staates ist absolut unangemessen."

    Die Menschenrechtler meinen, die Polizei, allen voran die Elitetruppe Omon, habe vor einem Jahr entgegen den Absprachen die Strecke für die Demonstration wesentlich verengt. Dadurch sei vor dem Bolotnaja-Platz ein Gedränge entstanden, aus dem sich die Menschen nur hätten retten können, indem sie die Polizeikette durchbrachen. Viele Teilnehmer haben außerdem gesehen, wie Sicherheitskräfte Provokateure einschleusten. Sergej Sharow-Delaunay, ein Demonstrant:

    "Vor meinen Augen haben Männer in schwarzen Trainingsanzügen und mit schwarzen Masken von hinten die Kette der Omon durchbrochen, haben sich zu den Demonstranten gesellt, Steine geworfen und sind dann wieder hinter den Omon-Leuten verschwunden. Und das mehrfach."

    Unabhängige Beobachter bestätigen das.
    Der Schriftsteller Boris Akunin, Teilnehmer vieler Protestdemonstrationen, spricht von Polizeiwillkür und Unrechtsjustiz.

    "Die Ausschreitungen vom 6. Mai müssen umfassend untersucht werden. Sicher gab es auch Schuldige unter den Demonstranten. Aber noch mehr Schuldige gibt es meiner Ansicht nach unter den Polizisten. Die Ermittlungen werden aber einseitig geführt. Das Urteil steht schon fest. Am Ende werden die Demonstranten hinter Gittern sitzen, und die Polizeichefs bleiben auf ihren Posten und sorgen dafür, dass so etwas wie letztes Jahr auf dem Bolotnaja-Platz wieder passiert."

    Wie die Sicherheitskräfte sich heute verhalten werden, ist ungewiss. Michail Prochorow, unterlegener Kandidat bei der vergangenen Präsidentschaftswahl und Teilnehmer der Proteste 2012, hat die Demonstranten aufgerufen, auf Provokationen friedlich zu reagieren.