Bürger direkt und ohne journalistische Vermittlung anzusprechen - das ist für Regierende das Reizvolle an den sozialen Netzwerken. "Weil es Informationen gibt, die für die Medien nicht interessant wären. Also, gute Botschaften beispielsweise sind für die Medien vollkommen uninteressant", findet Andrea Bähner, Sprecherin der rheinland-pfälzischen Ampel-Regierung und langjährige SWR-Fernsehredakteurin. "Und natürlich bieten die sozialen Medien auch eine Plattform, um gute Nachrichten zu verbreiten."
Regierungs-Erfolge twittern und posten, um das lästig-kritische Potential des Journalismus zu umgehen? Markus Maurer, Publizistik-Professor an der Uni Mainz, kommentiert: "So negativ würde ich das nicht formulieren. Es sind immer zwei Dinge: Das eine ist die Kommunikation an Journalisten vorbei. Und das andere ist die Kommunikation an Journalisten, damit die Journalisten das weitertransportieren. Und das ist im Augenblick – glaube ich - sogar der lohnenswertere Weg, weil es immer noch viel zu wenige Menschen gibt, die direkt Politikern in sozialen Medien folgen."
Die Regierungskommunikation auf Facebook, Twitter und Co. kommt zumindest auf Länderebene in der Regel fast ohne zusätzliches Personal aus. Thorsten Klein, Sprecher der Großen Koalition im Saarland, räumt Nachholbedarf ein. "Wir brauchen in der Ausbildung von jungen PRlern dringend eine Ausbildung für die Digitalisierung und müssen die jungen Köpfe dort fitmachen, denn alles, was wir in Pressestellen jetzt brauchen dank der Digitalisierung, ist im vorhandenen System nicht vorhanden. Wir brauchen neues Personal, das mit diesen digitalen Kanälen umgehen kann, weiß, wie die zu bestücken und zu bearbeiten sind."
Emotionen und Attacken
Das Berliner Bundespresseamt mit 500 Mitarbeitern - kein Vergleich mit der Schmalspurbesetzung in den Pressestellen der Länder. Nur jeweils Zehntausende User erreichen die Staatskanzleien der kleineren Länder mit ihren Posts und Tweets, hat Medienforscher Maurer ermittelt. Die AfD als erfolgreichste Partei in den sozialen Netzwerken kommt auf das Zehnfache. Allerdings besteht zwischen parteipolitischer und Regierungskommunikation ein Unterschied: Partei-Kanäle dürfen Gefühlen und Attacken auf den politischen Gegner Raum geben. Für die behördliche Kommunikation sind dagegen Fakten Pflicht. Doch ist der Gegensatz tatsächlich so krass? Zweifel im Publikum: "Ich würde mir ja manchmal wünschen, dass es emotionaler wird, weil ich der Meinung bin, dass Inhalte auch emotional gut rübergebracht werden können, aber einfach mehr Aufmerksamkeit erzeugen können", findet die Mainzerin Tina Reimann, "dadurch vielleicht auch mehr Bürgerinnen und Bürger Interesse dafür zeigen und sich bei der richtigen Stelle informieren können."
Die sozialen Netzwerke mit ihren zuspitzenden, bildorientierten Kommunikationsmustern eigneten sich prinzipiell besser für emotionale Strategien. Aber auch für Attacken und Aggression, die sich behördlicher Kommunikation verböten, konstatiert Medienwissenschaftler Markus Mauerer. "Genau das ist der Punkt. Also, wenn ich eine Regierung bin, muss ich eigentlich konstruktiv argumentieren. Aber genau diese konstruktiven Argumente, die ziehen in sozialen Medien relativ schlecht. Und das ist ein Dilemma, für das es eigentlich keine wirklich gute Lösung gibt. Das stimmt schon, ja."
Dilemma Tempo
Ein weiteres Dilemma ergibt sich aus dem Tempo, das die digitale Kommunikation erfordert. Michael Bußer ist Regierungssprecher für Schwarz-Grün und den hessischen Ministerpräsident Volker Bouffier von der CDU. "Wenn ich mich jetzt auf diese Geschwindigkeit einlasse, dann ist die Fehlerquote der Regierung und des Apparates natürlich viel höher, und damit sinken die Glaubwürdigkeit und die Zuverlässigkeit." Populistische Verflachung und Hass-Kommunikation macht Professor Maurer als weitere Risiken sozialer Netzwerke aus. Die Regierungssprecher müssten lernen, damit umzugehen. "Und wenn dann die Kommunikation interaktiver ist und interessanter für die Nutzer, dann werden sich mehr Menschen den sozialen Medien zuwenden, und dann wird man merken, dass dieser Kanal schon ganz gut funktionieren kann, wenn man es halt richtig macht."
"Es ist ein schmaler Grat. Wir sind uns ja einig, dass es einen Staatsfunk nie wieder geben darf in Deutschland." Aber, so Thorsten Klein: Die Pressestellen der Länder müssten künftig journalistischer arbeiten. Machten sie das gut, so glaubt der Sprecher der Saarbrücker Regierungschefin Kramp-Karrenbauer, könne das der Bürgerbeteiligung einen Schub geben.
Hinweis: Die Töne des Beitrags stammen von einer Podiumsdiskussion am Institut für Publizistik der Johannes Gutenberg-Universität.