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Regierungskrise im Irak
"Der Neue muss auch bei den Sunniten Gehör finden"

"Maliki muss weg", sagte Grünen-Politiker Omid Nouripour über den amtierenden Regierungschef Iraks im Deutschlandfunk. Einem zukünftigen Regierungschef müsse es gelingen, nicht nur von den Schiiten akzeptiert zu werden. Im Nahen Osten brennt es an jeder Ecke, aber laut Nouripour gäbe es noch einiges, was man dringend tun sollte.

Omid Nouripour im Gespräch mit Gerd Breker |
    Omid Nouripour, außenpolitischer Sprecher der Grünen
    Omid Nouripour, außenpolitischer Sprecher der Grünen (dpa / Hannibal Hanschke)
    Omid Nouripour berichtete im Deutschlandfunk von einem Besuch in Bagdad noch vor dem Vormarsch der Terroristengruppe Islamischer Staat (IS). Bereits damals habe niemand daran geglaubt, dass Maliki eine integrative Regierung zustande bringe. "Ich glaube, dass der Mann weg muss", sagte der außenpolitische Sprecher der Grünen-Bundestagsfraktion im Deutschlandfunk.
    Wichtigste Stütze für Maliki sei der Iran gewesen, doch auch die Iraner begriffen zunehmend, dass es nun auf die Bekämpfung der IS-Terroristen ankomme, die mit Maliki nicht zu machen sei. Nouripour sagte, für Maliki bedeute der nachlassende Rückhalt Irans eine enorme Schwächung. Nun rückten aber auch die entscheidensten Akteure, die Iraker, weiter von ihm ab und das sei gut so. Er befürchte jedoch, dass es wenig hilfreich sei, wenn Malikis ehemaliger Innenminister übernehme, der ganze Städte beschossen habe, sagte Nouripour weiter.

    Das Interview in voller Länge:
    Informationen waren das von Martin Zagatta. Und am Telefon begrüße ich nun den außenpolitischen Sprecher von Bündnis90/Die Grünen, Omid Nouripour. Guten Tag, Herr Nouripour!
    Omid Nouripour: Ich grüße Sie!
    "Ich glaube, dass da jemand Neues kommen muss"
    Breker: Wir haben es gerade gehört – wenn wir auf den Irak schauen, der Islamische Staat, vormals ISIS, ein Produkt des fehlenden Ausgleichs zwischen Sunniten und Schiiten, und dafür verantwortlich gemacht wird der Ministerpräsident Maliki. Kann es mit Maliki eine Lösung der Krise im Irak geben?
    Nouripour: Ich kann mir das kaum vorstellen. Ich war ja selbst vor dem Vormarsch von ISIS nach Norden in Bagdad, die Woche vorher, und habe kaum jemand getroffen, der noch da schon geglaubt hat, dass das mit Maliki eigentlich ginge, dass er imstande wäre, eine integrative Regierung aufzustellen, und jetzt ist es ja noch viel dramatischer.
    Es gibt ja herbe Kritik auch aus Teheran; sie haben ja ihn immer gestützt, jetzt gibt es viele in Teheran, die sagen, Maliki ist auch schuld an der Misere. Und sein eigener Außenminister macht ihn dafür verantwortlich, dass ISIS viele Clanchefs der Sunniten hat für sich gewinnen können. Ich glaube, dass der Mann weg muss, und die Konditionierung der Hilfe der Amerikaner zeigt, dass es für den Irak nicht mehr wirklich viele andere Wege gibt. Ich befürchte aber, dass es nicht besonders hilfreich ist, dass Herr Maliki geht und dafür sein ehemaliger Innenminister, der zum Beispiel für das Beschießen von ganzen Sunniten-Städten verantwortlich ist, ihnen dann tatsächlich ersetzt. Also ich glaube, dass da jemand Neues kommen muss, der tatsächlich auch bei den Sunniten Gehör finden kann.
    "Maliki ist der Falsche, um ISIS tatsächlich aus dem Land zu jagen"
    Breker: Wer kann denn Maliki davon überzeugen, dass er ein Mann von gestern ist? Sind die Iraner nun am Zug? Muss die Regionalmacht Iran eingreifen?
    Nouripour: Die Iraner sind ja die wichtigste Stütze gewesen von Maliki in den letzten drei Jahren. Mein Eindruck ist, wie gesagt, und das stützt sich sowohl auf Äußerungen von Geistlichen im Iran als auch vom Außenminister des Landes, dass auch sie begreifen, dass es deutlich Wichtigeres gibt als die Unterstützung für Maliki, nämlich das Bekämpfen von ISIS, und dass das nicht zusammen geht. Und dass Maliki der Falscheste ist, um ISIS tatsächlich aus dem Land zu jagen und die herrschenden Köpfe der Sunniten zurückzugewinnen.
    Ohne die Unterstützung der Iraner wäre er schon sehr, sehr geschwächt. Da sind wir auf einem guten Wege, hoffentlich geschieht das auch. Aber man merkt vor allem, dass die entscheidendsten Akteure, und das sind die irakischen selbst, immer weiter von ihm abrücken. Und das ist gut. Ich hoffe nur, dass das schnell geschieht.
    Breker: Die Amerikaner drängen auf eine Einheitsregierung in Bagdad. Der Weltpolizist hat sich allerdings selber zurückgezogen, und wenn man offen die Lage analysiert, Herr Nouripour, dann spielt Amerika eigentlich gar keine einflussreiche Rolle mehr.
    Nouripour: Das ist völlig richtig, aber wir reden ja über mögliche Notfalloperationen. Es ist ja immer noch nicht ausgeschlossen, dass es einen Marsch von ISIS gibt nach Bagdad. Wenn man sich anschaut, dass sie in den letzten Tagen den größten Damm, neue Ölfelder und einige neue Städte auch gegen die Kurden erobert haben, was ja wahnsinnig beängstigend ist, dann weiß man nicht, wohin es als Nächstes hingeht, man weiß nur, dass diese Kraft immer stärker wird. Und da kann es auch mal möglich sein, und das müssen auch die Politiker in Bagdad wissen, dass eine Notoperation militärischer Art möglich sein kann, um die zumindest erst mal aufzuhalten. Das löst kein einziges politisches Problem, aber würde natürlich den Vormarsch möglicherweise stoppen. Und dafür brauchen sie die Amerikaner und das wissen sie.
    "Amerikaner haben wahnsinnig viele Fehler im Irak gemacht"
    Breker: Bleiben wir mal bei dieser Terroristengruppe ISIS beziehungsweise Islamischer Staat, wie sie heute genannt werden wollen. Dahinter steckt doch auch irgendeine der Ordnungsmächte der Region.
    Nouripour: Ich bin nicht sicher. Ich glaube, dass mittlerweile tatsächlich die Saudis begriffen haben, und das vor fast einem Jahr schon, dass sie in Syrien so nicht mehr weiterkommen, wenn sie immer nur die härtesten Dschihadisten unterstützen. Und wenn man sich das anschaut, wie ISIS, was wir zumindest wissen, wie ISIS finanziert ist, dann sind das sehr viele Einzelpersonen aus dem Golf, aber nicht Staaten, die ihnen Spenden zukommen lassen, aber das ist auch die Staatlichkeit, die sie mittlerweile tatsächlich in einigen Gegenden, allen voran in Syrien, aufgebaut haben. Sie generieren dort Geld, Steuern, die Christen müssen jetzt Schutzgelder zahlen oder konvertieren im Irak. Und die haben natürlich da Beute gemacht.
    Und deshalb ist es nicht mehr so, dass sie unbedingt davon abhängig sind, dass jetzt ein Königreich am Golf tatsächlich ihnen Geld zukommen lässt. Es gibt drei Gründe insgesamt, wenn man sich anschaut, warum ISIS so stark geworden ist. Das eine ist, dass die Amerikaner wahnsinnig viele Fehler im Irak gemacht haben, die Staatlichkeit sehr, sehr geschwächt haben. Das Zweite ist der autistische, brutale Kurs von Maliki den Sunniten gegenüber, und das Dritte ist die Situation in Syrien und die Unübersichtlichkeit dort und die Tatsache, dass die Assad-Regierung in den letzten Jahren alle möglichen Gruppierungen in der Opposition bekämpft hat, aber nie die harten Dschihadisten, weil man die ja selbst zur Legitimität braucht, um zu sagen, es gibt Schlimmeres als Assad. Und das kann man nur im Zusammenhang sehen.
    Goldenes Zeitfenster
    Breker: Dann haben wir, Herr Nouripour, doch eigentlich die seltsame Lage, dass alle gegen ISIS sind, aber keiner sich zusammentut, um ISIS wirklich zu bekämpfen, denn die sind ja militärisch, Sie haben es auch erwähnt, sehr erfolgreich. Und es sieht so aus, als würde sie keine regionale Macht wirklich stoppen können.
    Nouripour: Das ist ja erstens leider so nicht richtig, weil Assad tatsächlich bisher nicht sehr viel dagegen getan hat, um ISIS zu stoppen. Der hat eher ein Programm gefördert, es gibt super viele Beispiele, in denen klar ist, da gibt es eine Linie an Bombardements, und die hört genau kurz vor dem Lager der Dschihadisten auf. Aber auf der anderen Seite ist es natürlich völlig richtig, dass das das goldene Zeitfenster wäre, dass die Saudis und die Iraner sich an einen Tisch setzen.
    Ich war in den letzten Wochen auch in Teheran und hatte das Gefühl, dass es da eine extreme Obsession gibt Saudi-Arabien gegenüber. Sie werfen Saudi-Arabien vor, hinter ISIS zu stecken. Und Saudi-Arabien hat natürlich selber Obsessionen in die andere Richtung auch.
    Es wäre hilfreich, wenn die Staaten im Westen, die Saudi-Arabien unterstützen, mal ein bisschen nachgucken würden, das ist auch die Bundesrepublik Deutschland, die wollen ja, wir wollen ja, dass sie unsere Partner sind, sonst würden wir denen ja keine Panzer verkaufen. Und da gibt es natürlich auch andere auf der anderen Seite, die den Iran unterstützen. Und natürlich wäre es hilfreich, wenn wir es tatsächlich schaffen würden, wenigstens in diesem Bereich mit den Russen mal ein entscheidendes Wort zu reden, dass diese beiden Akteure, die wirklich wichtig wären, auch um den Irak zu befrieden, und auch, um die Situation in Syrien ein Stückchen zu befrieden, an einen Tisch zu kriegen.
    "Situation ist hoch dramatisch"
    Breker: Stichwort Gesamtlösung, Herr Nouripour. Es wurde immer vor einem Flächenbrand im Nahen Osten gewarnt. Nun haben wir möglicherweise keinen wirklichen Flächenbrand, aber es brennt im Nahen Osten an jeder Ecke. Syrien im Bürgerkrieg, der Irak auf dem Weg in die Unregierbarkeit, Israel führte bis heute zumindest Krieg gegen Gaza, und die Außenwelt, die schaut einfach nur zu, kann das gehen?
    Nouripour: Es gibt einiges, was man noch tun kann, und das sollte man dringend tun. Sie haben zwei Länder nicht genannt, Gott sei Dank, und das sind Jordanien und Libanon, zwei Länder die kurz vor der Implosion sind aufgrund der unglaublich großen Zahl von Flüchtlingen, die sie aufgenommen haben aus Syrien, die auch natürlich den Konflikt ein Stückchen mit rein bringen. Diesen beiden Ländern müssen wir dringend helfen, damit das Feuer nicht überschwappt.
    Aber es ist völlig richtig, dass die Situation hochdramatisch ist, wobei es einen Nukleus gibt für mich für die vielen Länder, das ist Syrien. Aber es gibt natürlich auch eine Sondersituation, nämlich Israel und Palästina. Diese Sondersituation besteht darin, dass es der eine Konflikt ist, der am längsten besteht, der am besten reflektiert ist, von dem alle wissen, wie die Lösungen gehen – wenn man sich die Clinton-Initiative, die Genfer Initiative, Oslo und die [unverständliches Wort; Anmerkung der Redaktion] Initiative anschaut, die Lösungen sind objektiv klar und liegen auf dem Tisch.
    Der politische Befehl, dieser Konflikt ist nicht unbedingt militärisch überschwappend, aber es schürt natürlich wahnsinnig viel Hass in alle Richtungen. Und deshalb wäre es wichtig, dass hoffentlich diese Feuerpause, die derzeit besteht, endlich genutzt wird, damit erstens der Krieg in Gaza aufhört, zweitens aber eine politische Lösung zumindest wieder angestoßen werden kann, weil doch jedem klar sein muss, dass diese Logik von Schlag und Gegenschlag - die Hamas schießt Raketen auf Israel, Israel verteidigt sich, hat das Recht dazu, aber überzieht dann. Das führt dann natürlich dazu, dass wir überhaupt nicht weiterkommen. Und diese Logik muss durchbrochen werden.
    Breker: Im Deutschlandfunk war das die Ansicht des außenpolitischen Sprechers von Bündnis 90/Die Grünen, von Omid Nouripour. Herr Nouripour, ich danke Ihnen sehr für dieses Gespräch!
    Nouripour: Danke Ihnen!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.