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Regierungskrise in der Türkei
"Beziehung zu Europa bleibt, wie sie ist"

Der ehemalige Vorsitzende der Union europäisch-türkischer Demokraten, Süleyman Célik, sieht im Rücktritt des türkischen Ministerpräsidenten Ahmet Davutoglu keinen Grund zur Sorge. Streitigkeiten innerhalb der Regierung habe es immer gegeben, sagte er im DLF. Auch das Verhältnis zur EU werde nicht darunter leiden.

Süleyman Célik im Gespräch mit Thielko Grieß |
    Süleyman Celik, ehemaliger Vorsitzender der Union europäisch-türkischer Demokraten, sprechend, im Hintergrund unscharf sitzt eine Frau mit Kopftuch
    Süleyman Celik, ehemaliger Vorsitzender der Union europäisch-türkischer Demokraten (dpa/picture alliance/Oliver Berg)
    Thielko Grieß: Verfassungsfachleute kennen den Unterschied zwischen Verfassungstext auf der einen Seite und Verfassungswirklichkeit auf der anderen. Dass zwischen beiden, also dem Gehalt des Textes und der gelebten politischen Realität, in der Regel ein Unterschied besteht, das ist nun wirklich kein Spezifikum der Türkei. Aber was auffällt beim Blick auf die Türkei, er ist dort recht eklatant. Das Land ist den Worten der Verfassung nach eigentlich eine parlamentarische Demokratie. Den Staatspräsidenten gibt es zwar, aber er repräsentiert zuvörderst, und der Regierungschef, er regiert. Nun aber zieht sich der Regierungschef zurück, weil der Staatspräsident sich mit ihm überworfen hat und ein Machtkampf zugunsten des Staatspräsidenten ausgegangen ist, zugunsten von Recep Tayyip Erdogan. Der Verlierer heißt Ahmet Davutoglu.
    Und jetzt begrüße ich am Telefon Süleyman Célik. Herr Célik, guten Tag!
    Süleyman Célik: Guten Tag, Herr Grieß!
    Grieß: Sie sind Gründungsmitglied und ehemaliger Vorsitzender der Union europäisch-türkischer Demokraten, ich sage einmal, das ist eine Organisation, die als Auslandsorganisation der in der Türkei regierenden AKP gilt.
    Célik: So wird sie wahrgenommen, aber wir stehen der AKP nahe.
    Grieß: Sie stehen der AKP nahe?
    Célik: Ja.
    "Es gab unterschiedliche Meinungen"
    Grieß: Gut. Das als Präambel unseres Gesprächs, Herr Célik. Warum gibt Davutoglu, der Ministerpräsident, resigniert auf?
    Célik: Herr Davutoglu war circa 20 Monate Premierminister der Türkischen Republik und war auch sehr erfolgreich. Er wurde im September 2014 einstimmig gewählt, nachdem Recep Tayyip Erdogan Staatspräsident geworden war. Er wollte ein starker Ministerpräsident beziehungsweise Premierminister sein, ist er auch geworden. Die Türkei hatte einen starken Ministerpräsident und Staatspräsident gehabt. Es gab natürlich unterschiedliche Meinungen bei bestimmten Themen zwischen Staatspräsident und Ministerpräsident. Das hat nicht funktioniert, das heißt, sie waren bei einigen Punkten nicht einig. Es ist aber nicht von heute auf morgen passiert. Es hat monatelang gedauert, das wussten die Parteimitglieder schon, auch die Abgeordneten, auch die anderen AK-Partei-Angehörigen wussten darüber Bescheid.
    Grieß: Herr Célik, hat es den Präsidenten, hat es Recep Tayyip Erdogan gestört, dass Ahmet Davutoglu überhaupt eine eigene Meinung gehabt hat?
    Célik: Das können wir nicht sagen. Wie gesagt, es gab unterschiedliche Meinungen. Das war nicht bei einem Punkt, sondern sie waren bei mehreren Punkten unterschiedlicher Meinung. Es hat gedauert und sich so gesammelt, und einmal musste der Premierminister entscheiden, dass es so nicht funktioniert.
    Grieß: Und warum ist es in der Türkei, wie konnte es so weit kommen sozusagen, dass der Präsident die Geschicke des Landes so komplett steuert, wie er es zurzeit tut?
    Célik: Der Staatspräsident hat natürlich sehr großen Einfluss auf die AK-Partei, er ist ja Gründer der AK-Partei gewesen. Mehrere Jahre hat er als Vorsitzender natürlich die Partei geführt, und er war auch erfolgreicher Ministerpräsident, der Recep Tayyip Erdogan. Obwohl er Staatspräsident geworden ist, hat er immer noch den Einfluss auf die Partei.
    "Die Türkei ist ein demokratisches Land"
    Grieß: Und damit ist die Türkei er. Also der Staat ist Erdogan.
    Célik: Man kann das so nicht sagen. Die Türkei ist ein demokratisches Land mit mehreren Parteien. HDP, die Oppositionspartei, ist sehr, sehr schwach, und die Regierungspartei ist sehr, sehr stark.
    Grieß: In Europa geht ein bisschen die Sorge um, dass mit Ahmet Davutoglu ein redlicher Gesprächspartner verloren geht. Sehen Sie das auch so?
    Célik: Er hat sehr gute außenpolitische Beziehungen gehabt, vor allem mit Europa hat er sehr gute Politik geführt, er war nämlich mehrere Jahre auch Außenminister gewesen, der Herr Davutoglu. Man kann es so annehmen, aber in Zukunft werden sich die Beziehungen zwischen Europa und der Türkei auch nicht verschlechtern. Man wird sich bemühen, die guten Beziehungen weiterzuführen.
    Grieß: Was war denn jetzt das Ausschlaggebende, sozusagen der letzte Tropfen, der das Fass, das bei Erdogan im Büro steht, zum Überlaufen gebracht hat?
    Célik: Ich habe eben mehrmals erwähnt, es waren wirklich unterschiedliche Meinungen.
    "Davutoglu wollte eine starke Trennung der Gewalten"
    Grieß: Das stimmt. Ich dachte, es hätte zum Schluss jetzt wirklich noch einen konkreten Anlass gegeben. Es wird ja geschrieben, es sei der Streit um eine neue Verfassung gewesen.
    Célik: Der Ministerpräsident Davutoglu, der ist auch für die Veränderung der Verfassung gewesen. Er hat auch stark daran gearbeitet. Er ist auch nicht gegen das Präsidialsystem, aber er ist dafür, dass die Gewaltenteilung völlig dastehen muss, eine starke Gewaltenteilung möchte er haben, der Ministerpräsident Davutoglu. Ich glaube, da hat es auch unterschiedliche Meinungen zwischen Staatspräsident und Premierminister gegeben, da könnte es hängen. Aber für die Verfassungsänderung hat der Ministerpräsident auch sich eingesetzt, er war auch dafür.
    Grieß: Das sind aber schlechte Nachrichten für die Gewaltenteilung in der Türkei.
    Célik: Ja, meine ich mal.
    Grieß: Inwiefern, also worauf läuft es hinaus? Auf einen Zuschnitt immer weiter auf den Präsidenten auf Erdogan zugeschnitten?
    Célik: Man diskutiert über ein Präsidialsystem, aber es gibt mehrere Versionen von Präsidialsystemen. Da gab es unterschiedliche Meinungen.
    Grieß: Gibt es einen bestimmten Punkt in der Kompetenz, der Kompetenz, bei der Davutoglu gesagt hat, also das können wir nicht dem Präsidenten anheimgeben?
    Célik: Ja, der wollte völlig starke Trennung der Gewalten, dafür hat er sich eingesetzt. Er möchte starke Gewaltenteilung haben zwischen Regierung und Parlament und Juris. Er wollte eine starke Trennung haben.
    "Die Beziehung zu Europa bleibt so"
    Grieß: Wer auch immer Nachfolger wird, er wird sich diesem Wunsch Erdogans unterordnen müssen?
    Célik: Das kann man (unverständlich, Anm. d. Red.) sagen. Wie gesagt, der Herr Staatspräsident hat im Jahr 2001 die Partei gegründet, und er hat immer noch sehr starken Einfluss auf die Partei. Die Parteiangehörigen sind ja langjährige Freunde. Und die werden –
    Grieß: Wachsenden Einfluss.
    Célik: Natürlich.
    Grieß: Wachsenden Einfluss, ja. Herr Célik, ist das das Ende der parlamentarischen Demokratie in der Türkei?
    Célik: Nein. Solange die türkische Verfassung nicht geändert wird, kann man das nicht vorher so sagen.
    Grieß: Aber Sie haben uns ja gerade auch angekündigt, dass eine Verfassungsänderung betrieben wird und recht wahrscheinlich ist.
    Célik: Es wird getan, darum bemüht man sich, sogar vor allem die Regierungspartei. Die ist momentan sehr, sehr stark mit 317 Abgeordneten. Aber man benötigt noch 13 Abgeordnete, damit man ein Referendum einführen kann. Solange das nicht geschieht, kann man ja nicht über eine Verfassungsänderung reden. Die Oppositionsparteien sind dagegen, vor allem die CHP, die sozialdemokratische Partei ist dagegen, auch die kurdische Partei, sie sind beide dagegen. Die nationale Partei ändert in der Zeit ihre Meinung, manchmal stimmen sie dafür, manchmal dagegen.
    Grieß: Kennt der Machthunger Erdogans denn gar keine Grenzen?
    Célik: Da würde ich mich nicht äußern, aber –
    Grieß: Schade.
    Célik: Da würde ich mich nicht natürlich äußern. Aber was ich sagen kann, dass die Beziehung zu Europa so bleibt, wie sie momentan ist, man wird sie sogar zu verbessern versuchen.
    Die Türkei wird kein autoritärer Staat
    Grieß: Während der türkische Präsident die Türkei zu einer Autokratie umbaut.
    Célik: Das werden wir erleben. Die Türkei ist im Jahr 1923 gegründet - die Türkische Republik, pardon - und wir haben Zeiten gehabt, in denen auch zwischen dem Ministerpräsidenten beziehungsweise dem Premierminister und Staatspräsidenten es Krisen gegeben hat, sogar zuletzt im Jahr 2001 hat es eine Riesenkrise gegeben zwischen Staatspräsident Ahmet und dem Premierminister Bülent Ecevit. Das hat es auch gegeben, obwohl der Staatspräsident von dem damaligen Premierminister empfohlen worden war und gewählt wurde. Das hat die Türkei ein paar Mal in der Geschichte der Türkischen Republik erlebt.
    Grieß: Aber diesmal steht es ja vielleicht für etwas, nämlich für einen Umbau der Türkei. Noch einmal die Frage: Wird die Türkei zu einem autoritären Staat?
    Célik: Nein. Die Türkei wird eine neue Verfassung haben, weil keine der Parteien mit der jetzigen Verfassung einverstanden ist, weil die Verfassung, die jetzt momentan existiert, 1982 vom Militär entworfen wurde und auch von der (unverständlich, Anm. d. Red.) abgestimmt wurde. Das ist eine Verfassung, die das Militär gemacht hat. Das möchte man ändern.
    Grieß: Süleyman Célik, Gründungsmitglied und ehemaliger Vorsitzender der Union europäisch-türkischer Demokraten, der AKP in der Türkei nahestehend. Herr Célik, danke schön für das Gespräch heute Mittag!
    Célik: Bitte schön! Schönen Tag!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.