Britta Fecke: Mit dem Rücktritt von Ministerpräsident Ahmet Davutoglu wurde gestern ein neues Kapitel in der türkischen Regierungskrise aufgeschlagen. Schon in der letzten Woche spitzte sich der Machtkampf zwischen Davutoglu und Präsident Erdogan zu, als die AKP-Führung unter anderem die Befugnisse des Ministerpräsidenten einschränkte und ihm das Recht nahm, Funktionäre auf Bezirksebene zu ernennen. Der ehemalige Außenminister Davutoglu übernahm im August 2014 das Amt, aber nicht die Macht von dem damaligen Regierungschef jetzigen Präsidenten Erdogan.
Das sich Erdogans ehemaliger Gefolgsmann auch bei den Verhandlungen um die Visafreiheit mit der EU profilierte und innenpolitisch selbstbewusster handelte soll das Verhältnis zwischen ihm und Präsident Erdogan zunehmend belastet haben. Ich bin nun verbunden mit der freien Journalistin Luise Samman in Istanbul. Frau Samman: Kam dieser Rücktritt dennoch überraschend?
Samman: Also Gerüchte um einen möglichen Rücktritt Davutoglus, die gab es hier in der Türkei in der Tat schon seit knapp einer Woche. Insofern, ja, dieser Schritt schien sicher vielen schon nur noch eine Frage der Zeit für viele, besonders seit vor einigen Tagen das so genannte Pelikan-Dossier aufgetaucht ist, in dem ein anonymes AKP-Mitglied geradezu minutiös Davutoglus Illoyalitäten gegenüber Erdogan in den letzten Jahren aufgezeichnet hat.
Mit diesem Bericht war der Ministerpräsident ganz klar angezählt. Allerdings war es auch für die meisten Türken eine Überraschung, dass das Ganze jetzt so plötzlich und auch wirklich innerhalb weniger Tage vonstatten ging, hätten sie vor zwei Wochen gefragt, hätte kein Mensch hier mit einem so baldigen Ende des Herrn Davutoglu gerechnet.
"In der AKP gibt es längst keine wirklichen Erdogan-Widersacher mehr"
Fecke: Nun heißt aber, dass in der AKP auch Unterstützer für Davutoglu sitzen. Was bedeutet denn sein Rücktritt jetzt für die Partei, könnte sich die Partei spalten?
Samman: Nein, das sehe ich ehrlich gesagt nicht. Es hat solche Gerüchte ja schon vermehrt gegeben, als der ehemalige Präsident Abdullah Gül sich im vergangenen Jahr völlig aus der Partei zurückgezogen hat, nachdem Erdogan seinen Platz eingenommen hatte. Bisher ist nichts dergleichen passiert - und das obwohl Gül sicherlich noch eine sehr viel charismatischere Figur ist, als der ja oft etwas belächelte Davutoglu. Ich glaube, man muss einfach wissen, dass es in der AKP längst keine wirklichen Erdogan-Widersacher mehr gibt.
Die Partei ist, das hört man immer wieder, ganz und gar gleichgeschaltet und auf Erdogan ausgerichtet. Auch die Unterstützer Davutoglus machen da keine wirkliche Ausnahme. Man muss sich ja nur die Rede Davutoglus gestern vor Augen führen: Noch im Moment dieser, man muss ja schon sagen Schmach, bleibt er absolut loyal und betont, Erdogans Ehre sei seine Ehre und Erdogans Familie sei seine Familie. Und außerdem: Das wichtigste sei ihm jetzt, dass die AKP zusammenstünde.
Fecke: Stärkt dieser Rücktritt also am Ende Erdogans Position?
Samman: Ja, man könnte vielleicht sagen: Wenn es noch einen letzten Zweifel an Erdogans Alleinmacht in der AKP gegeben hat, dann ist sie mit diesem Schritt sicherlich endgültig ausgeräumt. Einige der wenigen kritischen Journalisten, die hier inzwischen noch verblieben sind, witzelten gestern: Die Putinisierung der Türkei ist abgeschlossen. Das beschreibt es vielleicht ganz gut.
Erdogans Schwiegersohn als möglicher Nachfolger
Fecke: Wie steht es um die Nachfolge Davutoglus?
Samman: Da kursieren die drei großen Bs hier in diesen Tagen: Binali Yildirim, der aktuelle Transportminister, Bekir Bozdag, der aktuelle Justizminister und Berat Albayrak, der Energieminister. Gemeinsam haben diese drei, dass sie als absolut Erdogan-loyal gelten, keine Überraschungen zu erwarten also. Ein besonderes Geschmäckle hat dabei sicherlich der letzte Name, nämlich Berat Albayrak, das ist der Schwiegersohn Erdogans, der jahrelang im Vorstand einer der größten Bauholdings des Landes saß, und dann im letzten Jahr sozusagen aus dem Nichts heraus zum Energieminister gemacht wurde. Im Gegensatz zu den anderen beiden ist er also kein alter AKP-Kader, er ist auch gerade mal 38 Jahre alt, wäre also ein geradezu rekordverdächtig junger Premier.
"Keine der Oppositionsparteien in der Türkei kann die AKP gefährden"
Fecke: Wie reagiert denn die türkische Bevölkerung darauf - geht diese Bündelung der Macht auf nur eine Person nicht selbst dem ein oder anderen Erdogan-Anhänger zu weit?
Samman: Es hat in den vergangenen Jahren so häufig Punkte gegeben, an denen man sich das gefragt hat. Fakt ist, was der geschasste Davutoglu gestern in seiner Rede sagte: Wären morgen Wahlen, würde die AKP deutlich mehr als 50 Prozent erreichen. Keine der Oppositionsparteien in der Türkei hat auch nur ansatzweise irgendetwas zu bieten momentan, um die AKP zu gefährden. Und das, trotz kriegsähnlichen Zuständen im Südosten des Landes, trotz kriselnder Wirtschaft und politischem Chaos.
Das heißt: Die große Mehrheit der wählenden Türkei will offensichtlich weiter einen Erdogan, der ganz und gar unverhohlen ein Präsidialsystem mit sich selbst an der Spitze propagiert. Und jeder, der das in irgendeiner Weise gefährden könnte, gilt hier ganz schnell als jemand, der das Wohl der Türkei gefährden wolle, eine Art Landesverräter also. Und in dieser Logik gilt: Je vertrauter der neue Premier Erdogan ist - und sei es der eigene Schwiegersohn - desto besser ist es am Ende.
Fecke: Eine Einschätzung der Journalistin Luise Samman aus Istanbul.
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