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Regierungskrise in Spanien
"Generationswechsel in der gesamten politischen Elite"

Nach der Abwahl vom spanischen Ministerpräsidenten Mariano Rajoy hat sich mit der Regierung unter Pedro Sánchez "eine Negativkoalition zusammengefunden", sagte Günther Maihold von der Stiftung Wissenschaft und Politik im Dlf. Diese Übergangsregierung könne aber nun die Verhärtungen, die unter Rajoy entstanden seien, aufbrechen.

Günther Maihold im Gespräch mit Philipp May | 01.06.2018
    Der vom Parlament abgewählte Ministerpräsident Rajoy schüttelt seinem Nachfolger Pedro Sánchez im Parlament die Hand.
    Der vom Parlament abgewählte Ministerpräsident Rajoy gratuliert seinem Nachfolger Pedro Sánchez. (AFP / Emilio Naranjo Pool)
    Philipp May: Spanien hat eine neue Regierung. Der bisherige sozialdemokratische Oppositionsführer Pedro Sánchez hat den konservativen Mariano Rajoy erfolgreich gestürzt in einem konstruktiven Misstrauensvotum.
    Mitgehört hat Günther Maihold von der Stiftung Wissenschaft und Politik. Guten Tag.
    Günther Maihold: Guten Tag.
    May: Ist Spanien jetzt das neue Italien?
    Maihold: Nein, sicher nicht. In Spanien stehen ja nicht die Grundfesten der Zugehörigkeit zur Europäischen Union infrage. Alle Parteien haben den Weg der Stabilisierung mitgetragen, wenn auch Kritik an der sozialen Abfederung vorhanden gewesen ist. Insofern unterscheidet sich die Situation von Italien deutlich von der spanischen.
    May: Aber wenn wir jetzt mal auf den akuten Grund schauen, Korruption in großem Ausmaß in der langjährigen Regierungspartei, die ja bisher zumindest die strukturelle Mehrheitspartei gewesen ist, das ist ja schon besorgniserregend.
    Maihold: Na ja. Wir haben gesehen, dass in Spanien sich ja das Parteiensystem grundlegend gewandelt hat. Die frühere Dominanz der Sozialisten und der Konservativen ist ja nun aufgebrochen worden. Wir haben zwei neue Großparteien und da muss sich jetzt ein neues Verständnis untereinander herausbilden. Rajoy hat stark auf das Lagerdenken gesetzt und das war in der jetzigen Situation, nachdem seine eigene Partei so durch das Gerichtsurteil gebrandmarkt wurde, nicht mehr haltbar.
    "Ich glaube nicht, dass er noch mal als Kandidat antreten wird"
    May: Welche Folgen kann das denn für den Partido Popular von Rajoy haben?
    Maihold: Es muss sicherlich eine Erneuerung geben. Ich glaube nicht, dass er noch mal als Kandidat antreten wird. Und er steht natürlich besonders unter Druck, weil mit Ciudadanos, dieser neuen Partei, ein Konkurrent entstanden ist, der in letzten Umfragen sogar vor der Konservativen Partei in der Wählergunst stand. Das heißt, hier wird auch eine Auseinandersetzung um die Priorität, um die Vorherrschaft im konservativen Lager beginnen.
    May: Sie glauben auch, die Regierung, die seit gerade eben am Ruder ist in Madrid, das wird nur eine Übergangsregierung sein bis zu den nächsten Wahlen, Pedro Sánchez wird kein langer Regierungschef?
    Maihold: Das wird eine Übergangsregierung sein. Es ist eine Negativkoalition, die sich zusammengefunden hat. Aber es ist gleichzeitig auch ein Aufbruch, weil die Verhärtungen, die durch Rajoy entstanden sind, dieses Lagerdenken, die Blockaden jetzt aufgebrochen werden können durch Dialog, natürlich auch bezogen auf die Frage der Autonomie und auf Katalonien.
    May: Das heißt, wir haben jetzt eine ähnliche Situation in Spanien im Prinzip wie in Deutschland, wo jeder mit jedem koalieren muss?
    Maihold: Das könnte sich einstellen. Aber es gibt noch gar keine Tradition darin und diesen Weg kann eigentlich diese Übergangsphase, in der alle irgendwie zueinander finden müssen, sich neu aufstellen müssen, sich auch neu profilieren müssen, sicherlich bewerkstelligen.
    Maihold: Derzeit ist es auch für Pedro Sánchez eine Bewährungsprobe
    May: Jetzt kommen ausgerechnet erst einmal die überall totgesagten Sozialdemokraten wieder ans Ruder, gemeinsam mit den Linken möglicherweise. Was bedeutet das für Europa?
    Maihold: Sicherlich ein Signal, dass es Alternativen gibt. Meist wird ja das kleine Ländchen Portugal nicht ins Gesichtsfeld gezogen, wo auch eine linke Regierung einen ganz ordentlichen Anpassungsprozess angesichts der Krise gemacht hat. Die Frage ist, ob Pedro Sánchez das gelingen kann, weil er natürlich auch in seiner eigenen Partei erhebliche Gegenströmungen hat, und insofern ist das jetzt eine Bewährungsprobe für ihn, ob er überhaupt erfolgreich in einen bald anstehenden Wahlkampf treten kann.
    "Generationswechsel in der gesamten politischen Elite"
    May: Sollten sich die SPD und die Linkspartei das spanische Modell der Kooperation zum Vorbild nehmen?
    Maihold: Ob es ein Modell ist, wird sich noch erweisen. Es ist jetzt ein Abschnitt abgeschlossen worden. Es kommt zu einem Generationswechsel in der gesamten politischen Elite und das kann ja oftmals eine Möglichkeit sein, sich neu zu positionieren und neue Anschlüsse zu finden.
    "Eine Lösung wird sicherlich länger dauern"
    May: Herr Maihold, Sie haben es gerade schon angedeutet: wichtiges Thema natürlich, gerade auch aus europäischer Perspektive. Wenn wir in den letzten Monaten über Spanien geredet haben, dann immer vor allem im Zusammenhang mit der Katalonien-Krise. Könnte das jetzt eine große Chance sein für die Entspannung im Katalonien-Konflikt?
    Maihold: Sicherlich könnte es ein politischer Impuls sein, der dringend fehlt, weil wir haben ja gesehen, es geht nichts mehr vorwärts, es geht nicht mehr rückwärts. Es sind Blockadekonstellationen, es liegt alles bei der Justiz oder wird der Justiz zugeschoben. Wenn jetzt ein Dialog zustande kommt, wenn die Gesprächsdimensionen wieder entwickelt werden, und dazu hat sich ja Sánchez verpflichtet, könnte es zumindest zu einer Normalisierung kommen. Eine Lösung wird sicherlich länger dauern. Aber die jetzige Konstellation der Blockade war sicherlich keine dauerhaft haltbare.
    May: Auch die Separatisten haben jetzt Sánchez gewählt, wenn ich das richtig verfolgt habe. Die werden ja sicherlich im Vorfeld Zugeständnisse gefordert haben von den Sozialdemokraten, von der PSOE.
    Maihold: Die werden sicherlich erwarten, dass jetzt sozusagen aufeinander zugegangen wird. Sie haben natürlich das zentrale Argument, dass sie eine Freilassung ihrer "politischen Gefangenen" haben wollen. Da kann Sánchez nicht gegen die Justiz agieren. Aber er kann natürlich Zugeständnisse in der Anwendung des Artikel 155, in der Zwangsverwaltung machen und dort einen Weg bahnen, der auf größere Verständigung hinzielt.
    Spanien und die europäische Finanzstabilität
    May: Und die europäische Finanzstabilität? Müssen wir uns darüber Sorgen machen?
    Maihold: Ich glaube nicht, dass jetzt eine Krise aus dem spanischen Regierungswechsel in Richtung auf die europäische Stabilitätspolitik entsteht. Da ist Italien sicherlich der größere Unsicherheitsfaktor. Spanien in der Regierung von Sánchez wird sicherlich hier auf eine Kontinuität setzen, wenn sie natürlich auch soziale Akzente setzen wollen in Bezug auf Jugendarbeitslosigkeit, in Bezug auf die Chance, wieder einen Wachstumspfad durch Investitionen zu beschreiten.
    May: Warum hat Spanien eigentlich stabilere Verhältnisse als Italien, auch was jetzt die Wahlen angeht? Da gibt es ja jetzt keine große Sorge, dass dort die, ich sage jetzt einfach mal, Populisten im allgemeinen Jargon von rechts oder links an die Macht kommen. Warum gibt es da trotzdem ein einigermaßen stabiles Parteiengefüge?
    Maihold: Sie haben jetzt erst den ersten Schritt in Richtung auf eine Neuordnung des Parteiensystems hinter sich. Und zum anderen ist in Spanien natürlich die Anpassungspolitik nach der großen Krise schon viel weiter fortgeschritten. Die großen Kosten, die in der Gesellschaft entstanden sind, sind weitgehend verdaut. Nicht alle sind dabei positiv mitgenommen worden. Aber damit ist ein Neuanfang begonnen. Wir haben wieder Wachstum und es muss jetzt für die soziale Dimension was getan werden, damit die Leute wieder Beschäftigung kriegen und insbesondere die Jugendlichen eine Zukunftschance haben.
    May: … sagt Günther Maihold, Spanien-Experte der Stiftung Wissenschaft und Politik. Herr Maihold, vielen Dank für das Gespräch.
    Maihold: Gerne.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.